Coronavirus

Wie Island den Virus-Import aus den Alpen managte

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 Früheste Fälle in nordeuropäischem Land kamen aus Österreich und Italien 

Mit einem unliebsamen Mitbringsel von Skiurlaub und Hüttengaudi in den Alpen kehrten mehrere Isländer ab Ende Februar in ihre Heimat zurück - sie brachten das neue Coronavirus auf die nordeuropäische Insel. Dort reagierte man rasch mit Quarantäne, Selbstisolation, Maßnahmen zu Distanzierung und umfassenden Testkampagnen, deren Ergebnisse nun im "New England Journal of Medicine" vorgestellt wurden.
 
Die umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen von Forschern der isländischen Gesundheitsbehörde und des National University Hospitals in Islands Hauptstadt Reykjavik sowie von Wissenschaftern der Firma deCODE genetics wurden durchgeführt, um "zu verstehen, wie sich Covid-19 in der isländischen Bevölkerung ausbreitet". Das erklärt der Seniorautor der Veröffentlichung und Geschäftsführer von deCODE genetics, Kari Stefansson, in einem die Publikation begleitenden Video.
 

Paradebeispiel

In dem nur rund 360.000 Einwohner zählenden Land begannen die Gesundheitsbehörden bereits Anfang Februar mit Screenings auf das neue SARS-CoV-2-Virus. Erst nahezu einen Monat später - am 28. Februar - wurde der erste Fall bestätigt. Das Land gilt als internationales Paradebeispiel für den vorausschauenden Umgang mit der sich damals erst anbahnenden Pandemie. Neben den gezielten Testungen an Personen, die aus Hochrisikogebieten kamen und wahrscheinlich Symptome zeigten, begann Island sehr früh auch mit breiten Untersuchungen an Freiwilligen. So wurden von Mitte März bis zum 1. April fast 11.000 Personen freiwillig getestet. Dazu kamen die Tests einer echten Zufallsstichprobe von Anfang April mit weiteren rund 2.300 Teilnehmern.
 
Zu den Risikogebieten für Heimkehrer zählten die isländischen Behörden neben China die Alpen- und Skitouristikgebiete in Italien, der Schweiz und Österreich - und das lange bevor etwa Tirol hierzulande als Hochrisikogebiet eingestuft wurde. Im Rahmen der Untersuchungen wurde auch das Virus-Erbgut bei 643 bestätigten Fällen analysiert. Das erlaubte es den Forschern, sehr genau nachzuvollziehen, aus welcher Region die jeweilige Virus-Variante auf die Insel gekommen ist und wie sie sich dort in der Folge verbreitete.
 

Zielgerichtete Testungen

Tatsächlich zeigte sich im Rahmen der frühen, zielgerichteten Testungen von Reisenden, dass diese nahezu ausschließlich Viren der sogenannten A2-Gruppe mitbrachten, die damals offenbar schon in Skigebieten Österreichs und Italiens kursierte. Die Studie erlaubt sogar Rückschlüsse darüber, ob eine Untervariante eher aus Norditalien oder Österreich stammt. Gleichzeitig wurde aber anhand der breiten Untersuchungen klar, dass sich diese Virusgruppe in der restlichen Bevölkerung weniger stark verbreitete. Das zeigt auch, dass es den Experten gut gelungen ist, mit den raschen Tests und Quarantänemaßnahmen beispielsweise die Verbreitung der alpinen Variante stark einzudämmen.
 
In neueren gezielten Tests unter Heimkehrern und in den breiten Bevölkerungsscreenings waren dann SARS-CoV-2-Erreger der A1-Gruppe deutlich verbreiteter. Diese Variante findet sich etwa verstärkt in Großbritannien. Über die Zeit hinweg wurde die Vielfalt an Virus-Untergruppen in Island also größer. Das lasse darauf schließen, dass das Virus im Lauf der Zeit auch aus vielen andern Ländern, die damals noch nicht als Risikogebiete angesehen wurden, auf die Insel kam.
 
Die umfassenden Informationen über die Virusvarianten erlauben auch das detaillierte Nachzeichnen der Verbreitungswege und des Abschneidens selbiger in dem Land. Seit dem Beginn der breiten Testungen in der Bevölkerung am 13. März zeigte sich, dass die Infektiosität täglich um rund zwei Prozent zurückgegangen ist. Das illustriere auch, wie die Containment-Maßnahmen seither greifen, so Stefansson.
 

Sechs Prozent getestet

Insgesamt wurden in Island bereits rund sechs Prozent der Gesamtbevölkerung auf das neue Coronavirus getestet. Während unter den gezielt Untersuchten 1.221 Personen bzw. 13,3 Prozent positiv waren, fand man im Rahmen der Studie unter Freiwilligen 87 Fälle, was einem Anteil von 0,8 Prozent entsprach. In der Zufallsstichprobe kam mit 13 identifizieren Ansteckungen ein ähnlicher Anteil von 0,6 Prozent heraus. Immerhin 43 Prozent der positiv Getesteten klagten über keinerlei Symptome, auch wenn diese später in einigen Fällen noch auftraten, heißt es in der Arbeit. In Summe wurden in Island mit Stand 31. März 1.308 Infizierte registriert.
 
Die Datenlage erlaubt aber auch Rückschlüsse auf Verteilungsunterschiede innerhalb der Bevölkerung: So haben etwa Kinder unter zehn Jahren ein geringeres Risiko einer Ansteckung. Überdies waren in allen Untersuchungen weniger Frauen unter den positiv Getesteten.
 
Die Daten aus Island könnten auch anderen Ländern im Umgang mit der Epidemie helfen, so die Wissenschafter. Sie zeigen einerseits, wie sich das Virus in einem relativ isolierten Land ausbreitet, und andererseits, was "sinnvolle und nicht unbedingt drakonische" Eindämmungsmaßnahmen tatsächlich bewirken können, sagte Stefansson.
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