Das sagen die Experten und Stakeholder
„Wie eine heiße Kartoffel wird die Verantwortung für den eigenen Lebensstil, die Essgewohnheiten und das Bewegungsverhalten hin- und hergereicht. Geht man davon aus, dass alle verantwortlich sind, fühlt sich keiner unter Zugzwang. Es stellt sich also die Frage, in welchem Ausmaß die Politik, aber auch Schulen, Arbeitgeber, Sportförderung, die Lebensmittelwirtschaft und jeder Einzelne Verantwortung tragen sollen und können“, so Marlies Gruber, wissenschaftliche Leiterin des f.eh.
Hauptverantwortlich: Konsumenten, Eltern, Kindergärten und Schulen
Vertreter aus der Wissenschaft, der Gesundheitsförderung, Wirtschaft, Politik und Verwaltung, Medien sowie Eltern- und Konsumentenvertreter nahmen an der Konsensus-Umfrage des f.eh teil*. Als hauptverantwortlich für einen gesunden Lebensstil sehen sie in erster Linie Konsumenten und Eltern (90 %) sowie Bildungseinrichtungen (87 %).
Wer eigenverantwortlich handeln soll, braucht jedoch passende Rahmenbedingungen. Den größten Hebel sehen die Experten und Stakeholder bei Kindergärten und Schulen, schließlich verbringen Kinder und Jugendliche den Großteil ihres Alltags in Bildungseinrichtungen. Rund drei Viertel der Befragten bewerten das Vermitteln eines gesunden und freudvollen Lebensstils sowie mehr Bewegung und die tägliche Turnstunde als sehr effektiv. Jeder Zweite spricht sich für ein Schulfach „gesunder Lebensstil“ oder fächerübergreifende Projekte zum Thema aus. „Bildung und die Stärkung von Ernährungs- und Lebensstilkompetenzen müssen in den Mittelpunkt der Gesundheitsförderung rücken, um langfristig Übergewicht eindämmen zu können“, sagt Gruber.
© forum.ernährung heute
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Essen in Schulen und am Arbeitsplatz optimieren
„Eltern können heute das Ernährungs- und Bewegungsverhalten ihrer Kinder nicht mehr alleine lenken. Ihre Vorbildwirkung ist grundlegend, doch Kindergärten und Schulen haben ebenso großen Einfluss“, betont Gruber. Gefordert werden Verbesserungen beim Essensangebot im Bildungsbereich (61 %). „Dabei geht es nicht nur um reine Nährstoffoptimierung. Kinder sollen auch im wahrsten Sinne des Wortes Essen lernen – also die positiven, kulturellen Komponenten und den Stellenwert des Essens beispielsweise als gemeinschaftliches Erlebnis mitbekommen“, so Gruber. Was Kindern hilft, ist übrigens auch für Erwachsene am Arbeitsplatz sinnvoll: 68 % der Befragten sehen ein ausgewogenes Speisenangebot für Mitarbeiter in Betrieben als sehr zielführend, um bewusstes Essen einfacher zu machen.
Auftrag an die Hersteller: Gesundes muss schmecken
Damit die gesündere Wahl auch die leichtere wird, richten knapp zwei Drittel der Experten und Stakeholder eine klare Botschaft an die Lebensmittelhersteller: Gesundes Essen soll schmackhaft sein und Genuss vermitteln. Die Bedeutung von Genuss bestätigt auch das f.eh-Genussbarometer: „Genießen fördert die Gesundheit. Denn Genießer essen abwechslungsreicher und langsamer und haben auch deutlich häufiger Normalgewicht“, so Gruber. Darüber hinaus spricht sich ein Drittel der Befragten für eine höhere Produktvielfalt, kleinere Portionen in der Gastronomie sowie kleinere Packungsgrößen aus.
Bewegung fördern statt Extra-Steuern und Verbote
Oft diskutiert wurden jüngst Steuern auf energiereiche Lebensmittel und Getränke. Bei der f.eh-Umfrage befürworten jedoch nur 5 % Extra-Steuern, und nur 8 % sprechen sich für eine Regulierung des Lebensmittelangebots aus. „Das wundert nicht, tragen doch beispielsweise Limonaden in Österreich im Schnitt nur zu 3 % zur täglichen Energieaufnahme bei. Da ist klar, dass sich eine Steuer nur marginal auf die gesamte Kalorienmenge und letztendlich auf das Körpergewicht auswirken kann“, erklärt Gruber.
Neben dem Essen nimmt hingegen Bewegungsförderung großen Einfluss auf ein gesundes Körpergewicht. Jeder Zweite der Befragten sieht den Ausbau bewegungsfreundlicher Mobilität (Radfahrwege etc.) und Gebäudeplanung als sehr wirkungsvoll.
„Verschiedene Studien zeigten, dass in den vergangenen Jahrzehnten bei gleichbleibender Energieaufnahme die körperliche Aktivität bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen eklatant rückläufig ist. Die Ergebnisse der f.eh.-Umfrage verdeutlichen darum einmal mehr, wie wichtig es ist, im Alltag, in Bildungseinrichtungen und im Berufsleben zu mehr Bewegung und Sport zu motivieren und einen aktiven Lebensstil zu verankern“, sagt Gruber. Was viele vergessen: Wer mehr Muskeln hat, verbrennt auch im Ruhezustand deutlich mehr Energie. Sportlich aktive Menschen verbrauchen selbst im Schlaf mehr Kalorien und können daher grundsätzlich mehr essen. Aber auch Menschen, die etwas mehr Kilogramm auf die Waage bringen, profitieren von einer ausreichenden Muskelmasse. Denn sie schützt effektiv vor Diabetes Typ 2.
*zwei-wellige Delphi-Umfrage, Juli-August 2016; Respondenten Welle 1: n=57; Welle 2: n=38