Chess mit Jazz: Nils Strunk triumphiert mit "Schachnovelle" an der Burg. Der Burgschauspieler verkörpert in Zweigs letztem Werk alle Rollen selbst in einer engen Verzahnung mit Livemusik - Standing Ovations für außergewöhnlichen Abend
Alle spielen einen, einer spielt alle: In der noch nicht einmal einen Monat alten Burgtheaterdirektion von Stefan Bachmann hat man sowohl auf kollaborative Ensembleleistungen ("Hamlet" und "Orlando") als auch auf eine bemerkenswerte Soloperformance mit Musik ("Holzfällen") gesetzt. Mit Nils Strunks Interpretation von Stefan Zweigs "Schachnovelle" hat das Burgtheater nun ein weiteres Sologlanzstück zu bieten, das am Sonntag zu minutenlangen Standing Ovations führte.
Gemeinsam mit Lukas Schrenk, mit dem Strunk bereits die erfolgreiche "Zauberflöten"-Adaption am Haus realisiert hat, ist eine Textbearbeitung entstanden, die in enger Verzahnung mit der dreiköpfigen Schiffskapelle (Martin Ptak, Hans Wagner und Jörg Mikula) die Geschichte rund um das Aufeinandertreffen des Schachweltmeisters Mirko Czentovic und dem ehemaligen Gestapo-Häftling Dr. B. auf hoher See erzählt. Dabei sitzt Strunk nicht nur immer wieder selbst am Klavier, um innere Vorgänge genauso wie einzelne Schachzüge hörbar zu machen, sondern er schlüpft auch in sämtliche Rollen, deren intensive Verkörperung nur minimal identifizierenden Requisiten wie einer Brille, einem Hut oder einem Mascherl geschuldet ist.
Dass man sich auf einem Schiff auf dem Atlantik befindet, mit dem der österreichische Emigrant und Ich-Erzähler nach Buenos Aires reist, wird durch eine großflächige Meereskulisse verdeutlicht, im Laufe des Abends wird Strunk weitere Aufsteller mit Kohlezeichnungen von Bullaugen, einem Lampenschirm oder einem dem Publikum den Rücken zukehrenden Kind (Zeichnungen: Herbert Nauderer, Bühne: Maximilian Lindner) auf die Vorderbühne schieben, auf der sich der gesamte, äußerst intim wirkende Abend abspielt.
In manischer Inbrunst wechselt Strunk zwischen dem großkotzigen schottischen Geschäftsmann McConnor, der den Schachweltmeister dafür bezahlt, mit ihm eine Partie zu spielen, dem zurückhaltenden Ich-Erzähler, dem verschrobenen und letztlich von der Haft traumatisierten Dr. B. und dem schweigsamen, aber weltmännisch daherkommenden Schachweltmeister. Zu den eindringlichsten Szenen gehört dabei sicherlich jene, in der der ehemalige Vermögensverwalter Dr. B. von seiner Isolationshaft nach der Machtergreifung Hitlers erzählt, in der ihm ein Buch über berühmte Schachpartien als einzige Lektüre das Leben rettete. Auch wie Strunk bei den Schachpartien zwischen den Stühlen wechselt, zwischendurch zum Klavier hechtet, um stümperhafte sowie geniale Schachzüge zu vertonen, ist sehens- wie hörenswert.
Das musikalische Spektrum reicht von eigens komponierten Liedern (Musik: Strunk, Texte: Schrenk) bis hin zu Walzer, Jazz und Tango, um das Geschehen zwischen der alten Heimat, aus der die Protagonisten flüchten müssen, und der Neuen Welt, die für Zweig selbst nie zur Heimat wurde, verorten. Zweig, der die "Schachnovelle" 1941 und 1942 im brasilianischen Exil schrieb, wählte nach Abgabe des Manuskripts den Freitod.
Mit Stefko Hanushevskys Fassung von Chaplins "Der große Diktator" steht am Samstag im Akademietheater das nächste Solo an, wenn der gebürtige Oberösterreicher seinen Einstand als neues Ensemblemitglied mit einem Abend feiert, in dem er seine eigene Biografie mit dem berühmten Chaplin-Film verschränkt. Das Thema bleibt: die Schrecken des Nationalsozialismus. Mit der Premiere der "Schachnovelle" am Wahlabend hat man jedenfalls ein Zeichen gesetzt, das das Publikum nach zwei Stunden gedankenversunken in den Abend entließ.