Teil 2 der Serie zum Schulstart

Alarm! 'Jeder fünfte 15-Jährige kann nicht lesen'

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Bildungsexperten beklagen zum Schulbeginn ein völlig veraltetes System.

Heute ist Tag der Schultüten in Wien, Niederösterreich und im Burgenland. Für 474.500 Schüler sind die großen Ferien jetzt vorbei.

In genau einer Woche läuten die Schulglocken auch für die restlichen 643.500 Schüler in Österreich. Besonders aufgeregt sind die Familien der 88.500 Erstklässler – für sie beginnt eine ganz neue Lebensphase.

Schulstart bringt Handel 250 Millionen Euro Umsatz

Die Zahl der Schüler steigt heuer erstmals seit vielen Jahren – geburtenbedingt – auf 1,118.000 an, ein knappes Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Taferlklassler steigt sogar um 2,1 Prozent an.

Die größte Negativ-Veränderung gibt es bei den auslaufenden Hauptschulen – sie werden nur mehr von 2.000 Schülern besucht (-79,3%).

Wirtschaftlich ist der Papierhandel der Haupt-Gewinner dieser Tage. 250 Millionen Euro werden rund um den Schulstart mit Heften, Stiften und Co. umgesetzt.

Das kritisieren Experten konkret an Schulsystem

Überschattet wird dieser besondere Tag von heftiger Kritik. Bildungsexperten haben einen dicken Forderungs-Katalog – sie sind gar nicht zufrieden mit dem Stand der Erziehung in Österreich. „Schul-Papst“ Andreas Salcher kritisierte bereits in Teil 1 (heute Teil 2 – siehe rechts) der großen Schulstart-Serie in ÖSTERREICH etliche Missstände:

  • das Beharren der Verantwortlichen auf die 50-Minuten-Einheiten für Schulstunden;
  • dass die meisten unserer öffentlichen Schulen nur halbtags geöffnet sind, und an vier Monaten im Jahr gar nicht unterrichtet wird;
  • eine unzureichende Lehrer-Weiterbildung.
  • Größter Kritikpunkt: Jeder fünfte 15-jährige Schüler kann nicht sinnerfassend lesen!

Salcher: "Wir werden einige heilige Kühe opfern müssen"

„Schul-Papst“ und Bestseller-Autor Andreas Salcher („Der talentierte Schüler“) im Talk.

ÖSTERREICH: Wenn Sie zum Bildungsminister berufen würden, was wären Ihre ersten drei Maßnahmen?

Andreas Salcher: 1. Einen nationalen Konsens erreichen, dass wir innerhalb von fünf Jahren die besten Kindergärten der Welt schaffen wollen. 2. Die sofortige Abschaffung der Fünfzig-Minuten-Stunde. Diese ist der natürliche Feind von schülerorientiertem Lernen. 3. Den Lehrerberuf ins 21. Jahrhundert bringen, mit zeitgemäßen Arbeitsplätzen, Befreiung von unnötiger Bürokratie, Aufstiegschancen und exzellenter Weiterbildung.

ÖSTERREICH: Was wünschen Sie sich am dringendsten von der nächsten Regierung für den Schul- und Bildungsbereich?

Salcher: Wir werden einige heilige Kühe opfern müssen. Das bedeutet z. B. die Halbierung der Gruppengrößen in den Kindergärten und die akademische Ausbildung der Kindergartenpädagogen; Vorschulen, in denen Deutsch vor Schuleintritt vermittelt wird; verpflichtende echte Ganztagesschulen sind die einzige Chance für Kinder aus bildungsfernen Familien; eine neue Pädagogik, die technologischen Fortschritt mit persönlichem Coaching kombiniert.

ÖSTERREICH: Was liegt bei uns am meisten im Argen?

Salcher: Es ist ein Skandal, dass jeder fünfte Fünfzehnjährige nach neun Jahren Schule nicht sinnerfassend lesen kann. Die Sozial- und Gesundheitskosten werden explodieren, weil man jeden fünften jungen Menschen im Schulsystem völlig vernachlässigt, um ihn danach 60 Jahre erhalten zu müssen. Das ist ziemlich dumm.

ÖSTERREICH: Sie kommen gerade von einer Studienreise aus dem Silicon Valley. Was bedeutet die digitale Revolution für unser Schulwesen?

Salcher: Die Welt teilt sich in die Lerner und die Nicht-Lerner ein. Österreich verharrt schon viel zu lange zögernd vor der Weggabelung zwischen den lernenden und den nicht-lernenden Nationen. Wie die Zukunft aussehen wird, weiß natürlich niemand. Eines scheint jedenfalls sicher: Künstliche Intelligenz schlägt menschliche Dummheit. Kinder, die nicht lesen können, werden chancenlos gegen Computerintelligenz sein und keine Arbeit finden. Tafel und Kreide, veraltetes Schulwissen, das in Frontalvorträgen vermittelt wird, sind keine gute Vorbereitung auf eine Welt in der Kreativität, emotionale Kompetenzen und Problemlösungsfähigkeit gefordert sein werden. Wer sein Leben dagegen als ständiges Lernprogramm versteht, der kann optimistisch in die Zukunft blicken.

ÖSTERREICH: Was ist Ihr wichtigster Rat an Eltern zu Schulbeginn?

Salcher: Glaubt an die Fähigkeiten eurer Kinder.

Christoph Hirschmann

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