Wien-Alsergrund

Bunte Graffitis tarnen Kriegsrelikt

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Der Luftschutzbunker steht im Arne Carlsson Park.

Der Zeuge aus Beton mahnt an eine triste Zeit. Darüber täuschen auch die farbenfrohen Malereien an der Außenmauer nicht hinweg, die dem Bauwerk im Alsergrund eine skurrile Tarnung verleihen. Der "Erinnerungsbunker" im Arne-Carlsson-Park Ecke Spitalgasse/Währinger Straßewurde in der ersten Bauwelle 1940/41 zum Schutz vor Luftangriffen für die Wiener Bevölkerung errichtet. Im Inneren geht es im Zickzack hinab und endet vorerst in der "Gasschleuse".

"Die Gänge im Labyrinth hatten den Zweck, einer einschlagenden Bombe die Wirkung zu nehmen, indem der Druck durch die Umwege reduziert wurde. Die hermetisch abzudichtende Gasschleuse sollte vor Kampfstoffen schützen", erklärt der Historiker Marcello La Speranza.

Klassischer Mutter-Kind-Bunker

Der Luftschutzbunker im Alsergrund wurde als Mutter-Kind-Bunker konzipiert. Er funktionierte völlig autark, weil angeschlossen an das öffentliche Wasser- und Stromnetz sowie zusätzlich ausgestattet mit einem Notstromaggregat. Auf 760 Quadratmetern fanden nach einem Alarm 300, bei Überfüllung sogar bis zu 500 Personen Platz. "Um Panik zu verhindern und damit sich Krankheiten nicht verbreiten konnten, wurde statt eines großen Sammelraumes der Bunker in mehr als 40 kleinere Kammern geteilt. Diese Einzelräume in den öffentlichen Schutzbauten waren zunächst mit Stockbetten, Bänken und anderen Gegenständen eingerichtet. Im Laufe des Krieges wurden sie entfernt, um mehr Menschen aufnehmen zu können", weiß der Historiker.

"Bunkerwart" La Speranzahat zum Beispiel eine "Rettungsstelle" mit realistischen Utensilien wie Verbandsmaterialien, Spritzen, Skalpellen und anderen medizinischen Bestecken, die er zusammengetragen oder auf Flohmärkten entdeckt hat, nachgestellt. "Die Nähe zum AKH führte dazu, dass auch dieser Luftschutzbunker über einen eigenen Erste-Hilfe-Raum verfügte. Mit Baldriantropfen wurden Ohnmachtsanfälle bekämpft, mit einfachen Gerätschaften Verwundete gepflegt", so La Speranza. Auch der Vermerk "geboren im Bunker" fand sich auf Urkunden aus dieser Zeit. Zusätzlich sind Kammern mit Originalgegenständen wie Feuerlöscher, Feldbett, Gasmasken, Feldgeschirr und Erste-Hilfe-Apotheke eingerichtet.

La Speranzafand im Schutt und auf Flohmärkten Gegenstände, die den Zustand im Luftschutzbunker der 1940er-Jahre lebendig werden lassen.

Gedenkräume für Anne Frank und Erich Fried

Eine der zahlreichen Bunkerkammern wurde von Schülerinnen und Schülern des Realgymnasiums im 9. Bezirk fachgerecht arrangiert. Die Dauerausstellung "Durch die Dunkelheit und wieder zurück" haben die Kinder und Jugendlichen gestaltet, gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern, darunter der Direktor des Bezirksmuseums Alsergrund.

Ein Raum ist Anne Frank gewidmet, dem jüdischen Mädchen, das mit ihrem Tagebuch traurigen Weltruhm erlangte. In einem anderen wird über den gebürtigen Alsergrunder Erich Fried informiert. Er musste 1938 vor den Nazis fliehen und wurde nach seiner Rückkehr in Österreich ein bekannter Lyriker. Das Realgymnasium im 9. Bezirk ist nach ihm benannt. In der "Angst-Box" haben Schülerinnen und Schüler der Kunstschule Lazarettgasse versucht nachzuempfinden, wie es den Schutzsuchenden im Bunker damals ergangen sein könnte.

Küche statt Operationsbunker

Insgesamt sind in Wien rund 20 öffentliche Bunkeranlagen dieses Bautyps erhalten. Zum Beispiel jener im Schönbornpark, unter dem Phorusplatz oder unter dem Arthaberplatz. Zusätzlich gab es Bahnhofs- und Spitalsbunker sowie Werksbunker neben Fabriken, ebenso wie Stollenanlagen. Flaktürme wurden erst ab 1943 gebaut. Sie stellen eine spezielle Form von Luftschutzanlagen dar. Die Bauformen der "Festungsbauwerke" variierten. Manche haben eine neue Bestimmung: "Im ehemaligen Operationsbunker des Alten AKH, 1. Hof, befindet sich heute die Küche eines Lokals", so La Speranza.

Nach dem damaligen Stand der Technik waren die Luftschutzbunker, die ab 1940 nach den gängigen Schutzkriterien errichtet wurden, modern ausgestattet. Am Ende des Krieges waren die Bauwerke bereits veraltet. Zu sehen sind im "Erinnerungsbunker" heute noch die verrostete Belüftungsmaschinerie mit Handkurbel sowie die Schwebstoffe- und Gasfilter, die die Luft von außen gereinigt haben. "Der Bunker war leer geplündert und diente Jahrzehnte lang als Lagerraum. Vor einigen Jahren war er noch in einem sehr desolaten Zustand. Schimmel und Feuchtigkeit setzten ihm zu. Die Alsergrunder Bezirksvorsteherin Martina Malyar steht dahinter, dass dieses wertvolle Mahnmal an die Kriegsgräuel erhalten bleibt", betont La Speranza.

Zeitzeugin macht Kinderführungen

Monika Schmid fand als Kleinkind im "Erinnerungsbunker" Schutz. Mit Lebensmittelmarken und anderem Papier gestaltete sie später Ostereier, die in einem der Räume ausgestellt wurden.

Monika Schmid, Jahrgang 1941, bietet Führungen durch den Bunker speziell für Kinder an. Von den grässlichen Kriegserfahrungen, die sie bis heute verfolgen, erzählt sie den Kindern selbstverständlich kein Wort. Sie versucht den Zehnjährigen, die in der Schule die Zeit des Nationalsozialismus kennen lernen, näher zu bringen, wie sie selbst ihre Kindheit erlebt hat.

"Sobald der Kuckuck-Ruf aus dem Radio tönte, das war die Luftwarnung, habe ich meine Puppe genommen und bin in einen Keller oder Bunker gegangen", erzählt Monika Schmid und nimmt genau diese Puppe zur Hand. Damit veranschaulicht sie den Kindern, wie Spielzeug in den 1940er-Jahren ausgesehen hat und erklärt kindgerecht, was damals geschehen ist. Eine Symbiose aus persönlichen Erlebnissen und historischen Daten ist das Ziel der Führungen für Schulkinder.

Zeichnungen und Briefe der Kinder zeugen davon, wie einfühlsam und anschaulich die Erzählungen bei den Schülerinnen und Schülern aufgenommen werden. Kriegsbäckerei wie die köstliche, saftige Spinattorte nach einem alten Rezept geben den Führungen eine besonders persönliche Note. "Meine Oma hat mehr zufällig einen Kuchen aus dem Sud von Malzkaffee gemacht. Das Rezept verwende ich ebenfalls noch", sagt die Zeitzeugin, die heuer eine Sonderausstellung "Ostern in der Kriegs- und Nachkriegszeit" zusammengestellt hat, in der sie unter anderem mit Lebensmittelkarten verzierte Ostereier aus ihrem privaten Bestand zeigte.

Zwei Koffer voll Kleidung und Essen

Monika Schmid arbeitet derzeit an den Vorbereitungen für eine ganz besondere Ausstellung über die Länder, die in der Nachkriegszeit Kinder aufgenommen haben, obwohl sie selbst nicht viel hatten. Quasi als Dank an die Gastfamilie in Holland fürs "Aufpäppeln". "Die Kirche organisierte nach dem Krieg diese Transporte für tausende Kinder. Sie wurden je nach Konfession in den Sommerferien verschickt: In die Schweiz, nach Schweden und Holland kamen vorwiegend evangelische Kinder, die katholischen nach Spanien oder Portugal. Wir fuhren mit einem kleinen Rucksack weg und kamen mit zwei Koffern, gefüllt mit Lebensmitteln und Kleidung, wieder nach Hause."

Daran möchte sie im Gedenkjahr 2015 erinnern und so allen Ländern, deren Menschen selbst wenig hatten, die Kinder aus den Kriegsgebieten in Österreich aufgenommen hatten, danken. Das sei nur eines der möglichen Vermittlungsprogramme im Bunker, die dabei helfen würden, das dunkle Kapitel der Stadtgeschichte nicht zu vergessen.

Arne Carlsson half mit Nahrungsmitteln

Der Namensgeber des Parks, Arne Carlsson, war Leiter einer schwedischen Hilfsorganisation, die die Wiener Bevölkerung nach Kriegsende mit Essensrationen versorgte. "Wir haben immer öfter Menschen aus den Balkanländern zu Gast, deren Kriegserfahrungen viel jünger sind als unsere. Für sie ist die Ausstellung besonders beklemmend", erzählt das Museumsteam um La Speranza.

Führungen

Spezielle historische Führungen sind nach Voranmeldung unter der E-Mail-Adresse klio@a1.netmöglich. Diese finden meist am Dienstagnachmittag statt und informieren besonders auch über die technische Seite des Bunkers.

An jedem ersten Samstag im Monat finden Führungen nach dem Konzept "Schüler führen Schüler" durch die Anlage. Auch Erwachsene sind dabei herzlich willkommen: Führungen durch den Erinnerungsbunker im Arne-Carlsson-Park.

In den Sommermonaten 2014 bleibt der Bunker wegen Umbauarbeiten im Park geschlossen.

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