Soldaten hatten Leichen bei Grenzkontrolle in Klein-Lkw entdeckt - 19-jähriger Fahrer bekannte sich zu Schlepperei schuldig, zu Mord nicht
Eisenstadt. In Eisenstadt ist am Montag ein 19-jähriger Schlepper vor Gericht gestanden, in dessen Klein-Lkw im vergangenen Oktober an der Grenze zu Ungarn bei Siegendorf (Bezirk Eisenstadt-Umgebung) zwei tote Flüchtlinge gefunden worden waren. Die Staatsanwaltschaft warf ihm Schlepperei und Mord vor. Er soll 30 Flüchtlinge für rund acht Stunden Fahrt ohne Pause im Laderaum eingeschlossen haben. Zur Schlepperei bekannte er sich schuldig, zum Mord nicht.
Die Flüchtlinge hätten am 19. Oktober 2021 in einem Waldstück an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn auf den Letten gewartet, erläuterte die Staatsanwältin. Eigentlich hätten sie auf zwei Schlepperfahrzeuge aufgeteilt werden sollen, weil eines nicht auftauchte, seien aber alle in den Klein-Lkw "hineingeschlichtet" worden. Sie sind laut Anklage gebückt im Laderaum gekauert, ohne Trinken oder Essen. Schon nach knapp zwei Stunden sei der Sauerstoff im Fahrzeug verbraucht gewesen. Die Flüchtlinge hätten die Dichtungen der Türen rausgerissen, damit sie Luft bekommen, an die Scheiben und Türen geklopft und geschrien: "Menschen sterben hier, bleib stehen". Die Zustände seien katastrophal gewesen, im Laderaum habe Todesangst geherrscht, betonte die Staatsanwältin.
Transporter von Soldaten überprüft
Als der Transporter schließlich von Soldaten des Bundesheeres an der grünen Grenze bei Siegendorf angehalten und kontrolliert wurde, seien die Flüchtlinge aus dem Fahrzeug "herausgefallen". Zwei Syrer waren da bereits tot, sie sind erstickt. Der 19-Jährige konnte flüchten, wurde aber zwei Monate später in seinem Heimatland Lettland festgenommen. Er ist laut Anklage Teil einer größeren Schlepperorganisation, von der 19 Mitglieder im April bereits verurteilt wurden. Es dürfte sich um seine erste Fahrt gehandelt haben. Einen Führerschein hat der Schüler, der in einer Pizzeria jobbte, nicht. Er habe wohl aufs "schnelle Geld" gehofft, meinte die Staatsanwältin.
Der Angeklagte gab vor Gericht zu, die Schlepperfahrt gemacht zu haben. Den Vorwurf des Mordes leugnete er hingegen. Er sei als Fahrer angeworben worden, habe aber keine Details gekannt. Er habe nicht gewusst, dass die Fußschlepper 30 Personen in sein Fahrzeug gebracht hätten, dass der Laderaum dicht sei und dass die Fahrt so lange dauern werde. Sein Englisch sei nicht gut, weshalb er nicht mitbekommen habe, dass die Zustände im Laderaum so ernst gewesen seien. Für einen Mord fehle der Vorsatz, meinte sein Verteidiger. Vielmehr sei es Fahrlässigkeit gewesen. "Er wusste zu keinem Zeitpunkt, dass jetzt akute Lebensgefahr ist. Er hat immer gesagt, wenn er das verstanden hätte, wäre er stehengeblieben."
Der 19-Jährige gab an, nie nach hinten in den Laderaum geschaut zu haben - er habe gedacht, dort seien nur 15 bis 17 Personen. Die Schreie habe er wahrgenommen, aber zunächst nicht verstanden und geglaubt, die Flüchtlinge würden mit den zwei Migranten sprechen, die aus Platzmangel neben ihm am Beifahrersitz gesessen seien. Später hätten ihm diese dann gesagt, dass es den anderen Flüchtlingen schlecht gehe. Er habe aber nicht gedacht, dass sie sterben. "Da ist es um Menschenleben gegangen und Sie haben schon gewusst, dass es ihnen schlecht geht", hielt ihm Richterin Gabriele Nemeskeri vor. Deshalb habe er dann auch seinen Chef angerufen und ihm gesagt, dass es eine Notsituation gebe und die Leute kaum atmen können, meinte der Angeklagte. Dieser habe ihm aber gesagt, das sei egal, er solle einfach weiterfahren. "In dem Moment habe ich meinen größten Fehler gemacht, nicht stehen zu bleiben", meinte der 19-Jährige. Dass zwei Menschen gestorben seien, habe er erst bei seiner Festnahme erfahren.
Zustände im Fahrzeug geschildert
Einige der Syrer, die im Laderaum mitgefahren sind, schilderten vor Gericht die Zustände im Fahrzeug. "Wenn ich fünf Minuten länger im Auto geblieben wäre ohne Luft, wäre ich gestorben. Ich habe eine Aufzeichnung von meinem Leben vor meinen Augen gesehen", erzählte einer. Alle 30 Flüchtlinge seien eingestiegen, nachdem sie zuvor drei bis vier Tage im Wald verbracht hatten. Nach drei bis vier Stunden Fahrt hätten sie bemerkt, dass "kein Sauerstoff mehr da ist". Sie hätten auf Arabisch und Englisch geschrien, gegen die Trennscheibe zum Fahrer und gegen die Türen geschlagen und den Schlepper kontaktiert, der die Fahrt organisiert hatte. Der habe nur gesagt: "Wartet noch ein bisschen."
Ungefähr eine Stunde, bevor sie an der österreichisch-ungarischen Grenze angehalten wurden, hätten sie die Tür aufbekommen und immer wieder Luft in den Laderaum gelassen, sie zwischendurch aber geschlossen, um nicht rauszufallen oder die Polizei auf sich aufmerksam zu machen. Durch die rausgerissene Gummidichtung bei den Seitentüren hätten sich außerdem Luftschlitze ergeben. Die beiden Flüchtlinge, die letztlich erstickten, seien circa in der Mitte des Laderaums zwischen Trennscheibe und Tür gesessen - dort, wo am wenigsten Luft hingekommen sei.
Angst vor Schlepper
Einer der beiden Flüchtlinge, die am Beifahrersitz saßen, weil im Laderaum kein Platz mehr war, sagte bei seiner Befragung, er habe nicht eingegriffen und nicht versucht, den Fahrer zu überwältigen, weil er Angst gehabt habe, einen Unfall zu verursachen. Außerdem habe er geglaubt, der Schlepper sei bewaffnet. Sehr wohl habe er ihm aber mithilfe eines Online-Übersetzers mitgeteilt, dass es den Menschen hinten schlecht gehe und er anhalten soll.
Sachverständiger Wolfgang Denk erklärte, die zwei Syrer seien noch auf ungarischem Staatsgebiet erstickt - wohl schon mehrere Stunden bevor sie gefunden wurden. Dass gerade diese beiden gestorben seien, sei auf ihre Position im Fahrzeug und auf ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand zurückzuführen. Das 37-jährige Todesopfer sei untergewichtig gewesen, habe eine angeborene Trichterbrust und Bronchitis gehabt, außerdem sei bei ihm eine abgeklungene Coronainfektion festgestellt worden. Der zweite, ein 33-Jähriger, sei ebenfalls untergewichtig gewesen und habe eine beginnende Lungenentzündung und eine Zyste im Bereich der Nieren gehabt.
"Es hätte noch viel schlimmer kommen können"
Ein Ermittler betonte, dass die Einvernahmen der Überlebenden ergeben hätten: "Es hätte noch viel schlimmer kommen können." Viele seien bereits in einem schlechten Zustand gewesen. Die Trennscheibe zum Fahrer sei jedenfalls nicht besonders dick gewesen - "normalerweise hört man da alles".
Nach den Schlussplädoyers am Montagabend betonte der Angeklagte, er bereue die Situation zutiefst. "Ich habe sehr viel nachgedacht über diese Situation und ich habe eines verstanden: dass ich mein Leben kaputt gemacht habe", sagte er bevor sich das Geschworenengericht zur Beratung zurückzog.