Prozess wegen Mordversuchs

Auf Frau eingestochen – aus unverständlichem Grund

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Die 16-Jährige beging die Straftat, um nicht mehr daheim leben zu müssen.

Weil sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten hatte, hat eine 16-Jährige einen mehr als unverständlichen Grund gefunden, um von der Mutter wegzukommen: Sie stach im April in einem Wiener Park auf eine Studentin ein, um so lange wie möglich ins Gefängnis zu kommen und nicht mehr bei der Mutter leben zu müssen. Die Jugendliche bekannte sich bei Prozess wegen versuchten Mordes am Dienstag schuldig.

Die Eltern des Mädchens ließen sich im Jahr 2015 nach jahrelangen Streitigkeiten scheiden. Die junge Tschetschenin, die zum Vater ein inniges Verhältnis pflegte, blieb jedoch nach der Trennung wie ihre Schwestern bei der Mutter. Die Heranwachsende geriet sich aber des Öfteren mit ihrer Mutter in die Haare, die Frau schlug auf die Jugendliche auch ein. Die 16-Jährige, die eine muslimische Fachschule zur Kindergartenpädagogin besuchte, wandte sich daher der Religion zu und hoffte, dass sie im Islam Hilfe zu findet, "obwohl es meinen Eltern nicht recht war, dass ich ein Kopftuch trage". Die Religion war ein Streitpunkt zwischen Mutter und Tochter.

"Ich halte es bei der Mutter nicht mehr aus"

Da es die 16-Jährige, die bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich hatte, nicht mehr zu Hause aushielt, schnappte sie sich am 5. April ein Küchenmesser mit acht Zentimeter langer Klinge und nahm es auf einen Schulausflug mit. Einer Schulkollegin berichtete sie, dass sie etwas "ganz Verrücktes" tun werde. Bereits am Vortag hatte sie sich mit den Stichworten "tödliche Stiche" oder "erdolchen" im Internet erkundigt, wie man einen Menschen umbringt, gab die Angeklagte vor dem Schwurgericht unter Vorsitz von Richter Norbert Gerstberger freimütig zu. Denn bei Durchsicht des Jugendstrafrechts erkannte die 16-Jährige, dass sie bei schweren Straftaten wie Mord bis zu 15 Jahre ins Gefängnis kommen kann. Denn: "Ich halte es bei der Mutter nicht mehr aus", schrieb sie in ihr Tagebuch.

In der Mittagspause, die sie mit ihren Schulkolleginnen im Josef-Strauß-Park in Wien-Neubau verbrachte, wählte sie bereits ihr Opfer aus, das telefonierend auf einer Parkbank lag und die Sonne genoss. Als sich die Kolleginnen der 16-Jährigen bereits wieder auf den Weg in die Schule machten, pirschte sich die Tschetschenin an die 22-Jährige heran und stach ihr mit dem Messer in die Seite und in den Oberkörper. Vier Stiche erlitt die junge Frau, einer erwischte den linken Lungenflügel.

"Ich wollte von zu Hause weg"

Laut schreiend rannte die bereits schwer verletzte Studentin davon, die 16-Jährige verfolgte sie mit dem Messer in der erhobenen Hand. Passanten kamen der 22-Jährigen zu Hilfe, die Jugendliche rannte unterdessen zurück in die Schule, um sich dort zu stellen. Damit die Polizei schnell auf die 16-Jährige als Tatverdächtige kommt, ließ das Mädchen sogar ihre Handtasche im Park zurück. Noch in der Direktion wurde der Schülerin die Tatwaffe abgenommen und die Jugendliche festgenommen. "Ich stand unter Druck, ich wollte von zu Hause weg." Sie gab vor Gericht zu, dass sie es für möglich gehalten habe, dass sie die junge Frau mit den Messerstichen töten könnte. Einer anderen Schulfreundin habe sie kurz vor der Tat noch angekündigt, dass sie jemanden "abstechen" werde. Die 17-Jährige alarmierte die Klassenlehrerin und die Direktorin, die zeitgleich mit der Tat die Polizei informierten, deshalb konnte die 16-Jährige recht rasch festgenommen werden.

In einer ersten Aussage vor der Polizei gab sie an, dass sie die Studentin als "Scheißmuslima" beschimpfte und ihr deshalb die Sicherungen durchgebrannt wären. "Ich hab mir eingebildet, dass sie das gesagt hat", meinte die 16-Jährige, die damals noch regelmäßig ein Kopftuch trug. "Sind Sie denn schon öfter aufgrund ihrer Religion beschimpft worden?", fragte Richter Gerstberger. "Ja, von der Mutter." Das Opfer ist allerdings nicht fremdenfeindlich eingestellt und hat an der Universität sogar eine längere Arbeit zum Thema "Migration und Freiraumgestaltung" verfasst.

Jetzt sei ihr die Religion nicht mehr so wichtig, meinte die zierliche 16-Jährige, die ohne Kopftuch vor Gericht erschien. "Denn Gott hat das (die Tat, Anm.) nicht verhindern können."

Lungenflügel des Opfers kollabierte

Das Opfer der Messerstiche im Josef-Strauß-Park in Wien-Neubau hat nur mit viel Glück überlebt. Wie Gerichtsmediziner Wolfgang Denk in seiner Expertise ausführte, war durch den Stich in die Lunge der linke Lappen kollabiert. Dadurch ist meist die Atmung in Folge zumindest eingeschränkt oder im Extremfall sogar unmöglich.

Deshalb wurde der 22-Jährigen sofort eine Drainage gesetzt, um die Luft zwischen Lunge und Brustwand abzuleiten. Die Studentin wurde mit dem Notarzthubschrauber ins Wiener AKH gebracht. Zwei weitere Stiche verfehlten knapp den unteren Bereich der Wirbelsäule bzw. die Nieren, da das Messer nur zwei bis drei Zentimeter tief eindringen konnte. Der vierte Stich wurde der Frau auf der Rückseite des linken Oberschenkels versetzt.

Nach einer Mittagspause wird die Verhandlung um 13.00 Uhr mit der kontradiktorischen Einvernahme des Opfers fortgesetzt. Die Frau ist so traumatisiert, dass sie nicht persönlich vor Gericht aussagen wollte.

Opfer: "Verspürte stechenden Schmerz"

Das Opfer der Messerattacke durch eine 16-Jährige in Wien-Neubau leidet seit dem Vorfall an Angstzuständen und Panikattacken. Das geht so weit, dass sie schon an die Tat erinnert wird, wenn sie in der Küche ein Messer liegen sieht, wie die mittlerweile 23-Jährige in ihrer Einvernahme berichtete. Sie habe die Attacke erst mitbekommen, als sie "einen stechenden Schmerz" verspürte.

Die 23-Jährige sprang schreiend von der Parkbank auf und sah erst dann die 16-Jährige neben ihr mit dem Messer in der Hand stehen. Seit dem Angriff konnte die Studentin lange Zeit nicht mehr außer Haus gehen und studieren. Ihre Arbeit zum Thema "Migration und Freiraumgestaltung" konnte sie nicht mehr zu Ende führen, da sich die junge Frau außerstande sah, dazu in Parks Untersuchungen durchzuführen. Das Opfer schloss sich im Namen ihres Rechtsbeistandes mit einem Schmerzengeldbeitrag in der Höhe von 7.000 Euro dem Verfahren an. Ursprünglich waren 10.000 Euro verlangt worden, die Familie der 16-Jährigen hatte bereits 3.000 Euro bezahlt.

Die jugendpsychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter sah bei der Angeklagten keine Hinweise auf eine Geisteskrankheit, jedoch eine schwere emotionale Störung des Jugendalters mit einer "Pubertätskrise schwersten Ausmaßes". Die Beschuldigte sei "affektflach", sprich sie habe eine geringe Gemütsbewegung. Im Inneren habe sich jedoch ein enormes Aggressionspotenzial angestaut, das sich im Zuge der Messerattacke gegen eine völlig Fremde entlud. Ob von der Jugendlichen in Zukunft eine Gefährlichkeit ausgehen wird, da sah Wörgötter eine "eher günstige Prognose". Die Sachverständige glaube, dass bei intensiver psychologischer Betreuung und Behandlung in zwei Jahren die Pubertätskrise überwunden sein kann.

"Ich möchte mich beim Opfer entschuldigen", meinte die 16-Jährige in ihrem Schlusswort. Kurz nach 15.00 Uhr zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Mit einem Urteil ist am späten Nachmittag zu rechnen.

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