Wohnhäuser

Naftogaz: Verlieren russische Diplomaten in Wien Immobilien?

Im Zuge der Naftogaz-Exekution droht Russland ein massiver Immobilienverlust in Wien. Der Immobilienbesitz war nach Ende der UdSSR 15 Jahre lang ungeklärt.

Russland könnte einen Großteil des von der Sowjetunion akkumulierten und 2009 auf die Russische Föderation überschriebenen Immobilienbesitzes in Österreich verlieren. Das zeigen Einträge im Grundbuch, die im Zusammenhang mit zivilrechtlichen Schritten des ukrainischen Gaskonzerns Naftogaz angelegt worden sind. Das Bezirksgericht Wien Innere Stadt bestätigte dem "Standard" am Montagabend die Bewilligung eines diesbezüglichen Exekutionsantrags. Es kann aber noch berufen werden.

Grundlage der Schritte von Naftogaz ist ein Spruch des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag, das dem ukrainischen Konzern 2023 mehr als fünf Milliarden Dollar (4,33 Mrd. Euro) Schadenersatz für Verluste im Zusammenhang mit der Annexion der Halbinsel Krim im Jahr 2014 zugesprochen hatte. Ansprüche aus derartigen Schiedsverfahren können auch in Österreich vollstreckt werden, wobei diesbezügliche Entscheidungen in die Kompetenz örtlich zuständiger Bezirksgerichte fallen. Das Bezirksgericht Innere Stadt in Wien dürfte im Zusammenhang mit seiner Zuständigkeit für den dritten Wiener Gemeindebezirk gewählt worden sein, wo die russische Botschaft ihren Sitz hat.

Diplomatische Objekte von Exekutionsantrag nicht tangiert

Keinen Anspruch erhebt der ukrainische Gaskonzern auf all jene Gebäude der Russischen Föderation in Wien, die vom österreichischen Außenministerium als Sitz von konkreten diplomatischen Missionen gelistet werden und derart unter einem besonderen Schutz stehen. Neben der Botschaft in der Reisnerstraße selbst sind dies die Handelsmission in der Argentinierstraße und das Kulturinstitut am Brahmsplatz jeweils in Wien-Wieden, der große Gebäudekomplex in der Erzherzog-Karl-Straße in Wien-Donaustadt sowie das Generalkonsulat in Salzburg.

Naftogaz selbst schrieb am Montag in einer Aussendung von über 20 russischen Objekten, die bei Vollstreckung des Schiedsspruchs in Österreich versteigert werden sollen und insgesamt einen Wert von mehr als 120 Millionen Euro repräsentieren, nannte aber keine konkrete Adressen. Nach APA-Recherchen dürfte es sich mit Ausnahme der im Staatsbesitz befindlichen russisch-orthodoxen Kathedrale neben dem Botschaftsgebäude um den Großteil oder vielleicht sogar alle nicht unmittelbar diplomatischen Immobilien der Russischen Föderation in Österreich handeln.

Wohnhäuser und TASS-Büro in ukrainischer Wunschliste

Zur Versteigerung gebracht könnten etwa seit Jahrzehnten von sowjetischen und später russischen Diplomaten verwendete Wohnkomplexe in der Technikerstraße in Wieden, in der Schiffmühlenstraße in der Donaustadt, in der Sternwartestraße, Gentzgasse sowie Dr.-Heinrich-Maier-Straße in Währing. Aber auch zu kleineren Objekten finden sich im Grundbuch Vermerke zum ukrainischen Exekutionsantrag, unter anderem beim nach der Ausweisung von zwei russischen Korrespondenten 2024 verwaisten Büro der Nachrichtenagentur TASS in der Großen Neugasse in Wieden.

Bei diesen Immobilien handelt es sich um ehemaligen sowjetischen Besitz, der im österreichischen Grundbuch jedoch erst 2009 auf Russland überschrieben wurde. Wie die meisten Staaten hatte auch Österreich die Russische Föderation nach dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 als dessen Nachfolge- und Fortsetzungsstaat anerkannt - letzteres implizierte unter anderem die Übernahme des permanenten sowjetischen Sitzes im UN-Sicherheitsrat sowie eine Relevanz Russlands für den österreichischen Staatsvertrag von 1955. Die weiteren 14 ehemaligen Republiken des aufgelösten Staates wurden indes nur als bloße Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit einer geringeren weltpolitischen Bedeutung eingestuft.

Österreich zunächst gegen Übertragung von sowjetischem Immobilienbesitz auf Russland

In Bezug auf den sowjetischen Immobilienbesitz gab es in Wien dennoch lange Zeit keine Entscheidung. Ohne der Rechtsprechung vorgreifen zu können, sei bei russischen Versuchen, Liegenschaftsvermögen der ehemaligen UdSSR auf die Russische Föderation "umschreiben" zu lassen, von den Gerichten Einvernehmen mit dem Justiz- und Außenministerium herzustellen, schrieb der zuständige Abteilungsleiter im Justizministerium, Werner Schütz, in einem Erlass vom 31. Juli 1992 an die Präsidenten der Landesgerichte für Zivilrechtssachen.

Nach Auffassung des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten sei die Russische Föderation nicht als alleiniger Rechtsnachfolger in das Vermögen der ehemaligen GUS-Staaten zu betrachten, informierte er. "Nach völkerrechtlichen Grundsätzen bedarf es zur Aufteilung des Vermögens der ehemaligen UdSSR jedenfalls einer einvernehmlichen Regelung seitens ihrer Gebietsnachfolger. An einer derartigen einvernehmlichen Regelung wird gearbeitet", erklärte der Abteilungsleiter.

Ministerien revidierten 2008 Rechtsmeinung zu Gunsten Russlands

Zu einer solchen Lösung aller involvierter Staaten kam es jedoch nie - Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine scheiterten stets. Nachdem ähnliche Entscheidungen auch in anderen EU-Staaten getroffen worden waren, änderten die österreichischen Ministerien 2008 ihre Rechtsmeinung. Sie meinten, nunmehr über die Nichteinigung mit der Ukraine hinwegsehen zu können.

"Aufgrund der völkerrechtlichen Entwicklungen der letzten Jahre, die die vollständige Identität der Russischen Föderation mit der ehemaligen UdSSR anerkannt haben, ist das Eigentum der Russischen Föderation an den Liegenschaften, als deren Eigentümerin noch die UdSSR aufscheint, nunmehr geklärt, weshalb das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten im Interesse der Rechtssicherheit eine entsprechende Berichtigung befürwortet", schrieb das Außenministerium am 7. August 2008 an die russische Botschaft. Am 28. Oktober 2008 folgte auch ein Erlass des Justizministeriums, in dem der Erlass aus dem Jahr 1992 explizit aufgehoben wurde. Die Russische Föderation ließ sich 2009 als Besitzer ehemals sowjetischer Immobilien im österreichischen Grundbuch eintragen.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.
OE24 Logo
Es gibt neue Nachrichten