"Bild": Schaut auf Österreich

Auslands-Presse lobt Kurz & Koalitions-Pakt

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NZZ: 'Die neue Koalition in Wien ist ein innovatives Experiment, das über die Landesgrenzen hinausstrahlt'

Deutsche und Schweizer Medien kommentierten am Donnerstag das türkis-grüne Regierungsübereinkommen in Österreich folgendermaßen:

"Bild" (Online-Ausgabe):

"Sebastian Kurz hat es geschafft, eine konservativ-grüne Regierung zu bilden, die zum Vorbild für Deutschland, zum Vorbild für ganz Europa werden könnte. (...) Was für ein Triumph. (...) Hart bei illegaler Migration und innerer Sicherheit, entschlossen im Kampf gegen den Klimawandel - entscheidende Themen auch für die Menschen in Deutschland. Ohnehin hat die frische Ösi-Koalition einen Knall-Effekt fürs politische Berlin. Denn: Österreichs Regierung hat sich bedeutende Reformen vorgenommen, will u.a. die schon geplante große Steuerreform weiterführen. Visionen, über die sich Kanzlerin Angela Merkel nicht mal mehr nachzudenken traut. Während sich die GroKo von Krise zu Krise quält, wird in Wien mutig Politik gemacht - mit Themen, die die Menschen wirklich bewegen."

"Der Bund" (Bern):

"Österreich und politische Experimente? Für fast ewige Zeiten war das ein Widerspruch in sich. (...) Es war das Land der Langeweile. Doch nun bekommt dieses Österreich in nicht einmal drei Jahren schon die dritte Regierung unter wechselnden Farben. (...) In der aktuellen Anordnung geht es darum, dass zwei grundverschiedene Parteien gemeinsam regieren wollen. (...) Die Risiken liegen auf der Hand bei diesen ungleichen Partnern. (...) Gemeinsam zu schaffen ist das nur, wenn sich die Partner Raum zur Entfaltung lassen. (...) Zudem kann sie für einen Wandel in der politischen Kultur stehen. (...) Wenn das gelingt, wird es viele Gewinner geben. Kanzler Kurz, der bislang als Politiker vor allem auf Stimmungen reagiert hat, würde beweisen, dass er auch staatsmännisch regieren kann. Vizekanzler Kogler kann die Grünen als verantwortungsbewussten Machtfaktor etablieren. Das Bündnis zwischen der ÖVP und den Grünen kann Österreich verändern - und obendrein noch zum Modellfall für andere Länder werden."

"Frankfurter Rundschau":

"Der Hardliner Sebastian Kurz ('Flüchtlingslager in Nordafrika', 'österreichische Grenzen schließen') hat als Meister des Marketings sein Parteilogo von schwarz auf türkis aufgefrischt. Nach dem Erdbeben des Strache-Videos stellte er seine Partei auch inhaltlich anders auf. Bei der Wahl 2019 verloren FPÖ und SPÖ dramatisch. Kurz wählte das Wagnis Türkis-Grün statt einer Koalition mit FPÖ und SPÖ. Wie sehr Kurz auch hier dem Zeitgeist folgt, zeigen jüngste Meinungsumfragen. Klimaschutz ist für die Mehrheit der Österreicher das zentrale Thema. Grünen-Chef Werner Kogler hat seine Partei weg vom linken sozialen Profil hin zum einzigen Thema Klima umgebogen. Wenn Kurz hier Zugeständnisse macht, modernisiert er zugleich die ÖVP. (...) Ob das reicht? Der Selbstdarsteller Kurz hat nur ein Ziel: seine Macht erhalten. Die Grünen laufen Gefahr, konturlos unter die Räder zu kommen."

"Volksstimme" (Magdeburg):

"Es sieht nach einem vernünftigen und durchaus wegweisenden Konzept aus - das hätte man einem als so von Gegensätzen geprägt erscheinenden Regierungsbündnis erstmal gar nicht zugetraut. Was Österreichs konservativ-grüne Koalition sich hier als Leitlinien verpasst hat, liest sich fortschrittlich in puncto Klimadebatte und pragmatisch entschlossen, was die Flüchtlingspolitik angeht. Inhalte, die beide Parteien auch ihrer breit gefächerten Wählerschaft von linksökologisch (Grüne) bis rechtstraditionalistisch (ÖVP) relativ problemlos verkaufen können - was das Bündnis auch für die Zukunft stabilisiert. Mit diesem Kompromiss könnte Österreich vielleicht sogar ein Modell für künftige Regierungsbündnisse in Deutschland abgeben. Auf Länderebene, in Baden-Württemberg, funktioniert das ja bereits. Pragmatische Grüne und moderne Konservative sind aktuell näher beieinander als jede andere Parteien-Konstellation. Was jetzt auch in Österreich zu beweisen wäre."

"Nordwest-Zeitung" (Oldenburg):

"Bis zur Ibiza-Affäre und dem Koalitionsbruch mit der FPÖ im Mai war der junge Karrierist aus Wien der Steigbügelhalter der Rechtspopulisten um Heinz-Christian Strache. Die zahlreichen Skandale der Freiheitlichen lächelte Kurz charmant weg, was ihm den Namen "Schweigekanzler" einbrachte. Sein Amt führte er wie ein neoliberaler Projektmanager. Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier nannte die Kurz-Regierung mit ÖVP und FPÖ eine "Koalition der Tauschgeschäfte". Was lange Zeit nach rechts funktionierte, soll nun auch nach links klappen. Mit seiner Aussage "Österreich will bis 2040 klimaneutral sein" ist Kurz nun den Grünen gefällig. Dafür ist die harte Handschrift der ÖVP in den Bereichen Asylpolitik und Innere Sicherheit deutlich."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Österreichs konservativ-grüne Regierung: Ein Zukunftsmodell für Europa mit Tücken. Die neue Koalition in Wien ist ein innovatives Experiment, das über die Landesgrenzen hinausstrahlt. Wie stabil sie sein wird, bleibt ungewiss. Konfliktpotenzial ist gegeben. Sind Kurz und Kogler erfolgreich, können sie über die Landesgrenzen hinaus zu einem Vorbild werden. Gerade die Deutschen blicken genau auf die österreichischen Pioniere, wenn sie über die Zeit nach Merkel diskutieren und eine Alternative zur scheinbar alternativlosen konservativ-sozialdemokratischen Regierung suchen.
 
Die Stärke der neuen österreichischen Regierungskoalition ist aber auch ihre potenzielle Schwäche. Beide Parteien, vor allem aber der grüne Juniorpartner, sind im Interesse des Kompromisses bis an die Schmerzgrenze gegangen. Es bleibt deshalb ein Element der Unberechenbarkeit in diesem Experiment. Angesichts der vielen potenziellen Konflikte könnte es rasch scheitern. Sollten sich Einbrüche bei den Wählerumfragen abzeichnen, wird es mit der Harmonie rasch vorbei sein. Dann wird sich zeigen, ob die konservativ-grüne Partnerschaft lediglich eine Episode ist oder zum Zukunftsmodell wird."

"Der Spiegel" (Online-Ausgabe):

"Nun regieren in Wien erstmals die Konservativen von Sebastian Kurz mit den Grünen. Kann das gut gehen? Fundis und Basisdemokraten unter Österreichs Grünen müssen tapfer sein dieser Tage. Das Talent des konservativen Ex-Kanzlers, sich Koalitionspartner gefügig zu machen, ist unbestritten. Am Beispiel der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) hat Kurz eindrucksvoll demonstriert, worauf es ankommt bei der Kunst, sich Kernthemen des Juniorpartners einzuverleiben.
 
Bis zum Beginn der Ibiza-Affäre um FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und seinen Fraktionsvorsitzenden Johann Gudenus regierte der 33 Jahre junge Regierungschef Kurz weitgehend unbeeindruckt von den vielfältigen Ausrutschern seiner freiheitlichen Mehrheitsbeschaffer. Ob das Kabinett Kurz II zum Modell für künftige schwarz-grüne Koalitionen auch in anderen europäischen Ländern wird? Oder eher zum abschreckenden Beispiel dafür, was passiert, wenn ehemals fundamentaloppositionelle Parteien Verantwortung übernehmen? Österreich, laut Karl Kraus eine bewährte 'Versuchsstation des Weltuntergangs', wird Antworten liefern."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Zwei programmatisch und kulturell so unterschiedliche Parteien in ein Regierungskorsett zu zwängen, kann auf zwei Wegen funktionieren. Entweder beide Seiten schleifen sich gegenseitig ihre Ecken und Kanten ab (das war das Prinzip der jahrzehntelangen großen Koalition). Der Preis ist Konturlosigkeit. Oder aber man erträgt die Unbequemlichkeit, die eine Kante beim Nebenmann verursacht, und tröstet sich damit, selbst auch sichtbar und erkennbar zu bleiben.
 
Das ist der Weg, den Kurz und Kogler erklärtermaßen gehen wollten. Allerdings drohen manche notwendige Reformen - etwa bei den Pensionen - eher nach schlechter großkoalitionärer Art auf die lange Bank geschoben zu werden. Kurz und Kogler müssen das Postulat noch mit Leben erfüllen, man habe in der neuen Koalition 'das Beste aus beiden Welten'."

"Heilbronner Stimme":

"Die ungleichen Partner sind zum Erfolg verdammt. Der ebenso wendige wie machtbewusste Kanzler Kurz kann sich nach dem Flop mit der rechtspopulistischen FPÖ keinen weiteren Ausrutscher leisten. Und die Grünen, die bei der Wahl 2017 noch aus dem Parlament geflogen waren, haben die historische Chance, erstmals in Österreich mitzuregieren. Die Vernunftehe, die ÖVP und Grüne in Wien schließen, kann funktionieren, wenn beide Partner kompromissbereit sind und bleiben, ohne ihren Markenkern aufzugeben."
 
So reagier man in den USA und Italien:

"The New York Times":

"Mit dem Schwenk scheint Herr Kurz fest entschlossen, seinen Willen zu ideologischen Kompromissen, die für eine stabile Regierung nötig sind, zu beweisen und seine Reputation im Ausland, wo seine Partnerschaft mit der Rechtsaußen für Stirnrunzeln gesorgt hatte, zu reparieren. Für Österreichs Grüne, die nie auf nationaler Ebene in der Regierung waren, bedeutet die Koalition eine Chance zu zeigen, dass ihre Partei mit einer etablierten konservativen Partei auf nationaler Ebene regieren kann. Wenn es gelingt, könnte das ein Beispiel werden für andere europäische Demokratien, wo Grüne Parteien selbstsicher wirken, in Regierungskoalitionen einzutreten. (...) Die neue österreichische Koalition könnte sich vor allem für Deutschland als Vorläufer erweisen, wo eine ähnliche Koalition nach der nächsten für 2021 geplanten Wahl bereits im Gespräch ist."

"Corriere della Sera" (Mailand):

"Die Widersprüche wie auch die Risiken gibt es weiterhin: Kurz will die konservativen Wähler zu verlieren, welche die extreme rechte von Skandalen gebeutelte FPÖ verlassen haben und zur ÖVP geströmt sind, nicht verlieren. Kogler wird seine starke linke Basis überzeugen müssen, dass man auch mit einem moderaten Alliierten eine Umweltpolitik und mehr soziale Gerechtigkeit verfolgen kann. In diesem Sinne wird die neue Koalition für die beiden Protagonisten ein große Übungsplatz der Tolleranz.
 
Aber die Botschaft die aus Wien kommt, ist unmissverständlich: Nur wenn man die ideologischen Klüfte überwindet, ist es heute möglich, die großen Herausforderungen der Moderne - vom Klima bis zur Migration - anzugehen. Kreative, effiziente und nachhaltige Lösungen für den Klimawandel sind kein alleiniges Kernthema der Linken, sondern können nur erkannt werden, wenn verschiedene Generationen und politische Lager sich zusammenfinden.
 
Aus Österreich kommt auch das starke Signal einer neuen politischen Kultur: Im neuen Kabinett werden mehr Frauen als Männer sitzen. Wenn die Wiener Wette Erfolg hat, wird es viele Gewinner geben. Nicht nur Kurz, der endlich beweisen kann, dass er nicht nur ein Meister der Taktik ist, der die Launen des Volkes meisterhaft auffängt. Nicht nur Kogler, der die Grünen zu einer verantwortungsbewussten Kraft und einen stabilisierenden Faktor der politischen Landschaft in Österreich machen kann. Aber auch die gesamte europäische Innenpolitik, die in Wien ein Zukunftsmodell bekommen könnte."
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