An die Bevölkerung appellierte der Kanzler, möglichst nur eine Person zu treffen: "Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel."
Die Regierungsspitze rief die Bevölkerung in eindringlichen Worten zum Einhalten der Empfehlungen und Vorgaben auf. Kanzler Kurz formulierte eine "eindringliche Bitte" an die Bürger: "Treffen Sie niemanden. Verbringen Sie die Freizeit ausschließlich mit den Menschen, mit denen Sie auch im Haushalt leben." Laut der veröffentlichten Verordnung darf man künftig Kontakte mit "Einzelnen" halten, ein explizites Verbot, sich mit mehreren Personen zu treffen, gibt es aber nicht.
Umso mehr appellierten Kurz, Vizekanzler Werner Kogler, Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) an die Vernunft der Bevölkerung - bei gleichzeitigem Verständnis über die Schwere der Einschränkungen: "Wenn Sie alleine leben, definieren sie eine Person, mit der Sie während des Lockdowns in persönlichem Kontakt bleiben", empfahl der Kanzler. "Ich weiß, dass diese Maßnahmen extrem einschneidend sind. Wir wollen aber, dass er (der Lockdown, Anm.) wirkt."
Denn nur so könne man den Zusammenbruch der Intensivstationen verhindern und in Folge wieder langsam hochfahren und das Weihnachtsgeschäft und das Weihnachtsfest retten. Denn: "Auch wenn sich niemand einen zweiten Lockdown wünscht, so ist er doch das einzige Mittel, von dem wir wissen, dass es funktioniert."
Gesundheitsminister Anschober betonte, es gelte jetzt die Pandemie einzubremsen: "Die Lage ist sehr, sehr ernst. Viele in den Spitälern sind bald am Ende ihrer Kräfte und am Ende in den Kapazitäten." Es drohe eine Überforderung und zwar bei manchen Spitälern bereits in einigen Tagen - "falls die Zahl der Neuinfektionen nicht sinkt". "Wir brauchen daher eine Notbremsung, und zwar sofort. Weil der Bremsweg von Maßnahme bis zu den Auswirkungen in den Spitälern beträgt rund zwei Wochen." Der Lockdown sei "unsere einzige Chance. Unsere letzte Chance, einen Kollaps in den Spitälern zu verhindern".
Anschober betonte, die zweite Welle sei "gewaltiger, dynamischer, härter als die 1. Welle im Frühling" - und verwies auf Nachbarländer wie Tschechien, die ebenso betroffen sind. Auch in Österreich sei die Situation "wirklich dramatisch". Seit dem 23. Oktober verzeichne man einen "fast explosionsartigen Zuwachs an Neuinfektionen" Zwar seien seit dem Teil-Lockdown die sprunghaften Steigerungen etwas gedämpft worden, man sei aber "weit davon entfernt, wo wir hinkommen müssen", es gebe "nach wie vor deutliche Steigerungen". Grund dafür ist, dass die Bewegungen der Bevölkerung weniger gesunken seien als im Frühjahr, was man an Mobilfunkdaten auch sehe.
Man müsse den Reproduktionsfaktor auf unter 0,9 bringen - damit eine Person im Schnitt weniger als eine weitere anstecke. Gefragt, was passieren wird, sollte das bis 6. Dezember nicht gelingen, sagte Anschober: "Wir gehen davon aus, dass die Konzeption funktioniert." Die nächsten knapp drei Wochen seien entscheidend "für das Leben Vieler".
Verständnis für Ärger und Unmut in der Bevölkerung zeigte Vizekanzler Kogler: "Unser Leben wird für die kommenden zweieinhalb Wochen zum zweiten Mal im Jahr wieder drastisch eingeschränkt." Der Bundesregierung sei bewusst, "dass das eine Zumutung ist". Aber es gehe um das Leben der Nachbarin, des Onkels, der Oma "und vielleicht um Ihr eigenes Leben". "Bleiben Sie bitte so gut es geht zuhause. Bis auf die Ausnahmegründe, gerade was Bewegung betrifft", so der Sportminister. Auch an die Arbeitgeber richtete er den Appell, Home Office zu ermöglichen.
Hinsichtlich Kindergärten und Schulen betonte Kogler, dass nicht nur jene, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, ihre Kinder zur Betreuung schicken können, sondern auch jene, die im Home Office überfordert sind: "Da kann es in Ausnahmefällen schon auch dazu kommen, dass das auch genutzt werden muss." Die Kinder würden jedenfalls "nicht nur weiter gut betreut, sondern auch dort beim Lernen dann unterstützt".
Auch Innenminister Nehammer äußerte Verständnis für Unmut: "Das Corona-Virus ist eine Zumutung, eine Belastung. Es zipft jeden an, sich an die Maßnahmen zu halten. Das ist uns bewusst, gleichzeitig ist es jetzt so notwendig", betonte er. Es brauche jetzt "diesen gemeinsamen Einsatz und Schulterschluss. Die Polizei wird an diesem Weg an Ihrer Seite stehen", richtete er der Bevölkerung aus - und dann einschreiten, wenn die Regeln nicht beachtet werden.
Mit Selbstkritik hielt sich die Regierungsspitze zurück. Gefragt, ob man vielleicht den Sommer über zu optimistisch kommuniziert hat ("Wiederauferstehung" nach Ostern, "gesundheitliche Folgen der Krise überstanden") bzw. die Möglichkeit eines zweiten Lockdowns zu lange in Abrede gestellt hätte, sagte Kurz, Österreich sei "keine Insel", sondern ein Land, das stark exponiert sei, mit viel Austausch, vielen Tagespendlern und sei auch vom Tourismus abhängig. Daher werde es in der Zeit der Pandemie nie möglich sein, dass man hierzulande Situationen wie in Ländern wie etwa Australien oder Neuseeland schaffen kann.
Gefragt, ob man nicht schon früher reagieren hätte können, sagte Kurz: "Aus meiner Sicht ja. Gab es den politischen Willen dazu von anderen? Nein." Und es gebe noch immer genügend Politiker, die die Maßnahmen für übertrieben erachten, betonte er. Es brauche aber die Bereitschaft vieler, etwas umzusetzen. So habe es etwa in vielen Bundesländern Skeptiker gegenüber dem Plan gegeben, die Maßnahmen schon vor einigen Wochen zu setzen. Es sei aber richtig, den Schritt jetzt zu setzen.
Dass man nun auch die Pflichtschulen schließt, obwohl laut Daten der AGES die Fallzahlen dort niedriger sind als in höheren Alterskohorten, begründete Kurz mit den dennoch zu hohen Zahlen bei Kindern und Jugendlichen; diese würden noch immer fünf Mal so hoch sein, wie sie sein sollten.
Der Kanzler appellierte, alle Maßnahmen zu befolgen: "Helfen wir zusammen, schaffen wir die Trendwende. Desto konsequenter wir den Lockdown durchziehen, desto kürzer werden wir ihn brauchen." Und Kogler ergänzte: "Eines ist sicher: Diese entbehrungsreichen Zeiten werden enden. Und es kann so sein, dass uns das Weihnachtsfest mit unseren Liebsten und Freunden zusammenbringt. Wir können uns insofern selbst das größte Geschenk machen."
Am Abend wurde via Aussendung die Verordnung des Gesundheitsministers in Ausschnitten veröffentlicht. Demnach darf man weiterhin abseits des eigenen Haushaltes Kontakt mit dem Lebenspartner sowie mit "einzelnen engsten Angehörigen" bzw. "einzelnen wichtigen Bezugspersonen, mit denen in der Regel mehrmals wöchentlich Kontakt gepflegt wird", halten.