ÖSTERREICH-Interview

Faymann: "Müssen gemeinsam gegen ISIS kämpfen"

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Kanzler Faymann kämpft für seine und Angela Merkels ­offene Flüchtlingspolitik. Szenen einer Polit-Freundschaft.

Zu seinem Amtsantritt, im Dezember 2008, galt Werner Faymann als „Mann ohne Eigenschaften“. Als Kanzler, der einer Zeitung einen EU-kritischen Brief geschrieben hatte und als ein SP-Chef, der um die politische Liebe seiner Partei kämpfen müsse. Jetzt, sieben Jahre später, ist der SPÖ-Kanzler zum glühenden Verfechter eines geeinten und „solidarischen“ Europas geworden. In der Flüchtlingskrise hat der Wiener seinen Weg gefunden: Erstmals beschreitet Faymann auch unpopuläre Pfade und steht für seine Werte ein.

Er unterstützt wie kein anderer EU-Regierungschef die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit ihrer offenen Flüchtlingspolitik. Die konservative Deutsche dankt es dem sozialdemokratischen Österreicher mit einer echten politischen Freundschaft. Wer beobachten konnte, wie herzlich Merkel „Werner“ am Donnerstag in Berlin begrüßte, weiß, dass die mächtigste Frau Europas in Faymann ­offenbar einen „Mann mit Eigenschaften“ sieht.

Interview: "Ich will keine Menschenleben riskieren"

ÖSTERREICH: Als Sie am Donnerstag bei Kanzlerin Merkel in Berlin waren, begrüßte diese Sie auffallend herzlich. Wie kommt es dazu, dass ein roter Kanzler und eine schwarze Kanzlerin so harmonieren?

Werner Faymann: Wir sind die einzigen Regierungschefs unter den EU-28, die über sieben Jahre – respektive über zehn – Kanzler sind und wiedergewählt wurden. In den vergangenen Jahren wurden die übrigen Regierungschefs bei Wahlen abgewählt, weil sie für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht wurden. Merkel und mir ist es gelungen, nicht mehr zu versprechen, als wir tatsächlich anstreben und umsetzen können. Es eint uns, dass wir in den vergangenen Jahren viel diskutiert haben und ein aufrichtiges Verhältnis zueinander entwickelt haben.

ÖSTERREICH: Aber war es nicht eher die Ihre und Merkels Flüchtlingspolitik, die Sie und die Kanzlerin geeint hat? Immerhin sind Sie mit der Linie des offenen Zugangs für Flüchtlinge mittlerweile ziemlich alleine in der EU, nicht?

Faymann: Angela Merkel und ich mussten in der Nacht des 4. September, als Ungarn Flüchtlinge zu Tausenden Richtung Österreich und Deutschland schickte, die Entscheidung treffen, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern – oder Flüchtlinge auszusperren und eine solche Katastrophe zu riskieren. Es war für uns beide alternativlos, auf der Seite der Menschenwürde zu stehen, Menschen nicht verhungern zu lassen, ihnen nicht die nötige medizinische Versorgung zu verweigern. Aber sowohl Merkel als auch mir ist klar, dass wir die Flüchtlingsfrage nicht an der Grenze zu Österreich oder Deutschland lösen können. Dafür brauchen wir die Anstrengung der internationalen Gemeinschaft.

ÖSTERREICH: Viele Österreicher haben aber offensichtlich Angst vor Flüchtlingen. Was macht die Politik gegen diese Furcht?

Faymann: Wir müssen den Menschen erklären, wie ein Europa ausschauen würde, das Flüchtlinge aussperrt und damit Menschenleben riskiert. Wir haben eine Verantwortung.

ÖSTERREICH: Was heißt das konkret?

Faymann: Einerseits müssen wir jenen Menschen, die um ihr Leben fürchten, das Asylrecht gewähren. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass Flüchtlinge in den Flüchtlingscamps in der Region menschenwürdige Bedingungen vorfinden, damit sie in der Nähe ihrer Heimat bleiben können, hier müssen wir verstärkt unterstützen.

ÖSTERREICH: Sie meinen einen Deal mit der Türkei?

Faymann: Kinder in den Flüchtlingslagern in der Türkei konnten zum Teil drei Jahre lang keine Schule besuchen. Kein Wunder, dass diese Familien verzweifeln. Beim EU-Flüchtlingsgipfel mit der Türkei streben wir eine Lösung an, um zu verhindern, dass sich die Menschen von der Türkei aus nach Griechenland zu uns auf den Weg machen. Wir wollen finanzielle Hilfen dafür freimachen.

ÖSTERREICH: Die deutsche CSU und andere ­diskutieren über Flüchtlingsobergrenzen – also eine Beschränkung der Flüchtlingszahlen. Ist das für Sie eine Option?

Faymann: Wenn man die Flüchtlingszahlen natürlich beschränkt – weil die Leute nicht mehr flüchten müssen oder wollen – ist das natürlich eine gute Option. Aber eine Obergrenze – im Sinne einer gewissen Anzahl, die man festlegt – wäre weder politisch, noch rechtlich, noch menschlich möglich. Wie wollen Sie festlegen, welches Kind, welche Mutter wir retten und welche nicht?

ÖSTERREICH: Wie löst man das Problem mit den mangelnden Grenzkontrollen in der EU?

Faymann: Es geht um die Frage, wie wir es schaffen, Menschlichkeit und Ordnung sicherzustellen. Wir müssen die Menschen kontrollieren. Aber so zu tun, als könnten wir die Grenzen zumachen, und auf der anderen Seite ist niemand, ist nicht zu Ende gedacht. Wir müssen die Flüchtlingskrise an der Wurzel beheben und die Ursachen – den Krieg in Syrien, die schlechten Bedingungen in den Lagern um Syrien – bekämpfen.

ÖSTERREICH: Frankreich hat die EU um Beistand im Kampf gegen ISIS ersucht. Wie wird sich Österreich da verhalten? Welche Hilfe werden wir leisten?

Faymann: Wir dürfen gegenüber Terror nicht zurückweichen. Paris hat uns gezeigt, dass wir verletzbar sind. Die internationale Gemeinschaft ist gefordert, hier noch enger zusammenzurücken. Polizei und Nachrichtendienste müssen international vernetzter agieren. Wir müssen die Finanzströme dieser verbrecherischen Organisation aufklären. Und wir müssen gesellschaftspolitisch jene Kräfte stärken, die sich für Armutsbekämpfung einsetzen. Radikale leben davon, dass sie Menschen, die sich ausgeschlossen fühlen, zu ködern versuchen.

ÖSTERREICH: Aber welchen Beitrag wird Österreich gegen ISIS leisten?

Faymann: Wenn die Frage lautet: Wie können wir in Syrien aktiv gegen ISIS werden, ist die Antwort: Das geht nur mit einem UN-Mandat. Unsere Neutralität bedeutet sicher nicht Teilnahmslosigkeit. Frankreich wird in bilaterale Gespräche mit allen EU-Staaten treten und seine Vorstellungen äußern. Wir werden uns einreihen in der so­lidarischen Teilnahme. Die Attentate in Paris waren ein Angriff auf ganz Europa und unsere Grundwerte. Diese gilt es zu verteidigen.

ÖSTERREICH: Soll die EU im Kampf gegen ISIS mit Russland zusammenarbeiten?

Faymann: Dass die USA und Russland auf internationaler Ebene gegen Terrorismus zusammenarbeiten, ist nötig. Die Welt muss den Terroristen zeigen, dass wir alle einig gegen sie sind. Daher ist die Antwort auf die Frage: Definitiv ja, auch die EU sollte mit Russland gegen ISIS zusammenarbeiten.

ÖSTERREICH: Außenminister Sebastian Kurz meint, die Flüchtlingskrise sei „außer Kontrolle“. Was sagen Sie dazu?

Faymann: Wichtiger ist die Frage, wer hat was unter Kontrolle? Der Außenminister muss auf Ebene der Außenminister dafür sorgen, dass die EU-Außengrenzen gesichert sind. Die Innenministerin wiederum muss auf ihrer Ebene für die innere Sicherheit sorgen. Und ich bin auf Ebene der Regierungschefs im Einsatz.

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