"Weg in Opfermythos"

Gerald Grosz: Mail an die GrünInnen

Teilen

Polit-Blogger und oe24-Kolumnist Gerald Grosz hat den Grünen geschrieben – mit gewohnt spitzer Zunge.

Liebe GrünInnen!

Distanzitis! Klingt wie eine Krankheit und Einige fürchten sich vor diesem Virus der scheinbaren Illoyalität wie vor Corona. Distanzitis ist das Gegenteil zur allgemein bekannten Wagenburgmentalität. Und diese verhindert, dass man einen gefallenen Mitstreiter, in Ihrem Fall eine Spitzenkandidatin, aus den eigenen Reihen den Kritikern opfert. Und dabei kommt es meist gar nicht darauf an, wegen welcher Tat die „Kandidatin grün hinter den Ohren“ in Ungnade gefallen ist, sondern es zählt ausschließlich das Faktum, woher die Kritik kommt. Und wenn die Kritik von falscher Seite kommt, wird die Tat pardoniert, egal wie nachweislich verwerflich sie ist. Die Reihen schließen sich, die Angriffe werden abgewehrt und man fühlt sich dabei stark, man suhlt sich regelrecht wie das kleine Ferkel in der Opferrolle.

Denn in diesem Krieg hat man wieder mit beiden Fäusten auf die stolze Brust geschlagen und einem Gorilla ähnlich dem ganzen Zoo gezeigt, wer der Herr im Haus ist. Die Kritik an den Verfehlungen einer Einzelnen wird laut, man igelt sich ein. Man reagiert nicht, sondern versucht den Weg in den Opfermythos. Das war bei der Mafia schon so, das sehen wir seit Jahrzehnten in der Politik. In einer Politik, wo es keine Selbstreflexion, kein Schuldeingeständnis, keine moralischen Parameter, keinen ANSTAND mehr gibt.

Dabei müssten ja gerade Parteien auf ein gewisses Reinheitsgebot achten, denn sie wollen als wahrhaftige und anständige Alternative zu den Anderen, moralisch Verwerflichen, gelten. Problematisch wird es und der Opfermythos lässt sich nicht dauerhaft inszenieren, wenn selbst nur ein kleiner Teil der Anschuldigungen der Wahrheit entspricht. Nehmen wir also ein Beispiel: Eine verhaltensauffällige, mitten in einer schwierigen Pubertät steckende Kandidatin diffamiert nachweislich Politiker, Kommentatoren, Personen des öffentlichen Lebens. Sie unterstellte sexuelle Belästigung, Gewalt, illegitime Verhältnisse. Sie riskierte, dass Unbescholtene ihren Job verlieren, ehrbare Menschen zu Paria erklärt werden.

Zum Gaudium aller erklärt sie noch, dass sie die Partei, die ihr die Chance auf einen 18.000 Euro brutto Job inklusive Spesen, Diäten und Sitzungsgeldern gibt, in Wahrheit „am meisten auf der Welt hasst.“. Reichts noch nicht? Ist die Wagenburgmentalität wirklich stärker als der Anstand? Aus dem Individualversagen einer mehr oder weniger Irrelevanten wird eine Kollektivschuld einer demokratischen Partei mit rund 7000 Mitgliedern. Das nehmen Sie, liebe GrünInnen, Ihr Witzekanzler, Ihre Klubobfrau in Kauf. Das sollten Sie wissen, bevor Sie am 9. Juni einem trojanischen Pferd die Stimme geben, das in bester Manier den alten Waldheimtrick reaktiviert hat. Anstand hin oder her.

Ihr Gerald Grosz

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.
OE24 Logo
Es gibt neue Nachrichten