Innenminister im Interview

Nehammer: 'Das Virus zipft alle an - auch mich natürlich'

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Karl Nehammer (48) über seine drei großen Themen: das Virus, den Terror und die Migration. 

INSIDER: Herr Innenminister, aktuell laufen die Corona-Massentests für die gesamte Exekutive. Sind anschließend viele Ausfälle unter den Beamten zu befürchten?

KARl NEHAMMER: Jeder Polizist hat die Möglichkeit, sich freiwillig testen zu lassen. Ich hoffe, dass das viele in Anspruch nehmen und damit Infektionsketten durchbrechen. Ausfälle werden wir kompensieren -es stehen mehrere hundert Polizeischüler des zweiten Jahrganges als Personalreserve zur Verfügung.

INSIDER: Wie schätzen Sie die Disziplin der Österreicher bei diesem zweiten Lockdown ein? Lässt die Disziplin nach, wie viele Anzeigen gibt es deshalb aktuell?

NEHAMMER: Wir stehen bei knapp 5.000 Anzeigen und Organstrafverfügungen. Ich habe bereits mehrfach gesagt: Das Virus zipft jeden an -mich eingeschlossen. Aber die Polizistinnen und Polizisten erzählen mir, dass sich der Großteil der Bürger an die notwendigen Beschränkungen hält und dadurch wesentlich zur Eindämmung der Pandemie beiträgt.

INSIDER: Deutlich mehr Kontrollen der Einhaltung der Corona-Vorgaben, dazu erhöhte Präsenz aufgrund der Gefährdung durch Terrorismus. Wie lange hält die Polizei die Extrembelastung durch?

NEHAMMER: Die Polizistinnen und Polizisten haben in diesem Jahr Besonderes geleistet. Die Eindämmung der Pandemie, aber auch die Wochen nach dem Anschlag vom 2. November 2020 erfordern erhöhte Präsenz. Natürlich sind das Phasen sehr intensiver Beanspruchung - aber nicht zuletzt durch die Übernahme der Botschaftsbewachungen in Wien durch das Bundesheer haben wir Kräfte für polizeiliche Kernaufgaben freibekommen.

INSIDER: Wie geht's dem Innenminister persönlich in dieser sehr belastenden Situation? Gibt's da noch Freizeit und Privatleben?

NEHAMMER: Wir leben in einer Zeit großer Herausforderungen, die parallel bestehen und natürlich einen Innenminister besonders fordern. Aber ich bin stolz auf die Leistungen der Polizistinnen und Polizisten, nicht nur in der Nacht des 2. November - und das gibt viel Kraft. Die wenige Zeit, die mir mit meinen Kindern und meiner Frau bleibt, versuche ich, besonders schön zu gestalten.

INSIDER: Nochmals zu der Gefährdungslage durch den islamistischen Terror: Wie lautet Ihre Analyse zur Situation vor Weihnachten?

NEHAMMER: Die Wochen nach einem Anschlag, das zeigen internationale Beispiele, bringen eine angespannte Situation mit sich. Aufgrund der Ermittlungsergebnisse kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Täter auch Opfer in Kirchen suchen wollte. Deshalb habe ich bereits vor zwei Wochen dem Einsatzkommando Cobra den Auftrag gegeben, die Kirchen und Synagogen verstärkt zu überwachen. Schnelle Einsatzgruppen des EKO Cobra sind bis auf Weiteres im Bereich von Einkaufszentren oder stark frequentierten Plätzen unterwegs.

INSIDER: Wie weit ist das Innenministerium mit der Aufarbeitung möglicher Pannen im Verfassungsschutz vor dem Terroranschlag zu Allerseelen?

NEHAMMER: Die Ermittlungsgruppe 2. November arbeitet seit Wochen auf Hochtouren. Mehr als 60 Ermittlerinnen und Ermittler, Spezialisten aus ganz Österreich, sind dort tätig. Bei den Tatverdächtigen wurde eine große Zahl von Datenträgern sichergestellt. Diese werden jetzt akribisch ausgewertet.

INSIDER: Zu einem weiteren großen Thema in Ihrem Ressort: Wie weit ist die Soko Ibiza mit ihren Ermittlungen? Werden wir je erfahren, wer der tatsächliche Auftraggeber und/oder die Finanziers der Video-Aktion waren? Konnten bei diesem Kriminalfall Spuren bis zu Personen, die in der Exekutive tätig sind, festgestellt werden?

NEHAMMER: Eines möchte ich klar festhalten, auch wenn die mediale Berichterstattung manchmal anders war: Die Ermittler der Sonderkommission, die übrigens bereits zwei Tage nach dem Bekanntwerden des Ibiza-Videos eingerichtet wurde, leisten hervorragende Arbeit -für und mit der Strafjustiz.

INSIDER: Wie sieht die Prognose Ihrer Experten aus der Sektion V (Fremdenwesen) für mögliche Zuwanderungsströme im kommenden Jahr aus?

NEHAMMER: Die Corona-Pandemie hat die Migration aus dem medialen Fokus verdrängt. Nichtsdestotrotz ist dieses Thema aktueller denn je, vor allem, wenn wir uns vor Augen führen, dass an der griechischen Außengrenze 100.000 Menschen versuchen, in die Europäischen Union zu gelangen. Dazu kommen noch etwa 20.000 Menschen, die in den Staaten des Westbalkans stehen. Das ist die gegenwärtige Situation, die unsere Lage in den nächsten Monaten bestimmen wird.

INSIDER: Im Flüchtlingslager Moria stehen jetzt die ersten winterfesten Zelte, die Sie nach Griechenland gebracht haben. Wie viele Zelte sind es? Und können Sie die Kritik an der Hilfsaktion verstehen?

NEHAMMER: Griechenland leistet bei der Bekämpfung der illegalen Migration Unglaubliches und das seit Jahren. Ich habe daher im Frühjahr dieses Jahres ein Cobra-Team zur Unterstützung an die griechische Grenze entsandt -wir waren das einzige Land der Europäischen Union mit einer derartigen Initiative. Es gibt keine Alternative bei der Unterstützung Griechenlands, wie zum Beispiel durch Hilfsgüter nach der Brandkatastrophe im Lager Moria. Diese wurden an die griechischen Behörden übergeben. Vor einigen Wochen wurde dort ein Teil der beheizbaren Zelte bereits aufgestellt, um den Menschen dort auch Schutz vor der kalten Jahreszeit zu bieten. 

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