Im großen ÖSTERREICH-Interview kritisiert Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) die Große Koalition scharf wie selten zuvor.
Der ÖVP-Landeshauptmann hat nicht nur die SPÖ im Visier, sondern auch seine Parteifreunde: Beide würden die Arbeit des anderen blockieren. Bei der Pflege wagt Pröll die Kraftprobe mit dem Sozialminister.
ÖSTERREICH: Sie fordern eine Verlängerung der Pflege-Amnestie um
drei Monate. Wie wollen Sie das umsetzen?
Erwin Pröll: Es
gibt von mir eine Weisung an die Bezirkshauptmannschaften, dass in den
ersten drei Monaten nicht bestraft wird.
ÖSTERREICH:
SPÖ-Sozialminister Erwin Buchinger hält das für gesetzeswidrig, weil ihre
Weisung einem Bundesgesetz widersprechen würde.
Pröll:
Das stimmt nicht. Aber der Herr Buchinger soll nicht drohen, sondern ruhig
Anzeigen provozieren. Dann werde ich ihm einmal zeigen, was es heißt, die
Menschen ordentlich zu versorgen.
ÖSTERREICH: Sie nehmen
also mögliche Klagen in Kauf?
Pröll: Ja, dann werde ich
mir das persönlich vornehmen. Wenn Buchinger bei der Pflege einen derart
herzlosen und brutalen Weg geht, bekommt er es mit einem vernünftigen
Landeshauptmann zu tun.
ÖSTERREICH: Laut ÖVP-geführter
Wirtschaftskammer ist das Pflege-Modell nur wenig teurer als die illegalen
Auswüchse.
Pröll: Wenn ein Generalsekretär Reinhold
Mitterlehner nicht merkt, das von 4.000 Pflegefällen in Niederösterreich nur
15 in der Lage sind, das neue Modell zu übernehmen, ist das in Wahrheit
beschämend und ein Alarmsignal für das soziale Denken in der
Wirtschaftskammer. Da ist die Verantwortung von Präsident Christoph Leitl
gefragt.
ÖSTERREICH: Wie zufrieden sind Sie als
Landeshauptmann mit der Arbeit der Koalition die jetzt fast ein Jahr amtiert?
Pröll:
Ich wünsche mir eine solche Regierungs-Performance für Niederösterreich nie
und werde alles daran setzen, dass eine Blockade-Politik wie auf Bundesebene
in NÖ nie Platz greifen kann.
ÖSTERREICH: Auch die ÖVP
hat sich durchaus den Ruf eines Nein-Sagers erworben.
Pröll:
Ich nehme niemanden aus von meiner Kritik, sie betrifft die gesamte
Regierung. Beide Partner haben das Recht verwirkt, sich selbst konstruktiv
zu nennen. Aber in sozialen Fragen hat sich vor allem die SPÖ als Neinsager
hervorgetan.
ÖSTERREICH: In einer ÖSTERREICH-Umfrage sagen 67 Prozent,
dass die Regierung ihre Erwartungen nicht erfüllt hat.
Pröll:
Mich wundert ja, dass sich nur 67 Prozent von dieser Regierungsarbeit
abwenden. Wenn ich mir das Tagesgeschäft auf Bundesebene ansehe, muss ich
wirklich den Kopf schütteln. Wenn es in einem Privatunternehmen so zuginge,
wäre jede Firma binnen kürzester Zeit bankrott.
ÖSTERREICH:
Müssen auch der Bundeskanzler und sein Vize besser arbeiten?
Pröll:
Gusenbauer und Molterer müssten intensiver miteinander reden und sich öfter
über den Weg trauen. Derzeit hat jeder Angst, dass der andere einen großen
Schritt nach vorne macht, der ihm beim nächsten Wahltag Vorteile bringt.
Zugleich spielen im SPÖ-Parlamentsklub zu viele Opposition, während bei der
ÖVP viele glauben, dass sie noch alleine das Sagen haben.
ÖSTERREICH:
Wo gab es für Sie zu wenig Fortschritte?
Pröll: Wenn
ich jene Themen aufzähle, wo zu wenig weitergegangen ist, sprengt das
unseren Zeitrahmen. Die zwei positiven Beispiele waren das Doppelbudget und
der Finanzausgleich. Überall sonst erzeugt die Zeugnisverteilung keine
Hochstimmung.