Die Situation sei ''sehr, sehr ernst'', warnt Pamela Rendi-Wagner vor einer Job-Krise. Die SPÖ-Chefin will, dass jeder Arbeitnehmer nochmals 1.000 Euro erhält.
Wien. oe24.TV-Chefredakteur Richard Schmitt traf SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zum großen INSIDER-Interview zur Corona-Krise.
Insider: Wir sitzen hier im Freien, die Mitarbeiter in der Meierei im Volksgarten tragen Masken, wir sind im siebenten Monat der Corona-Krise – fühlen Sie sich gut und richtig von der Bundesregierung informiert?
Pamela Rendi-Wagner: Da würde ich jetzt das berühmte Zitat des Bundeskanzlers abwandeln: Bald wird jeder jemanden kennen, der sich nicht auskennt. Das ist tatsächlich ein Problem. Wir stecken in der größten Wirtschaftskrise seit 1946. Das Allerwichtigste für ein gutes Krisenmanagement ist, den Menschen Klarheit zu geben. Wenn das nicht gegeben ist, dann wird das natürlich problematisch.
Insider: Wo sehen Sie die folgenschwersten Fehlentscheidungen?
Rendi-Wagner: Die schweren Fehler der Bundesregierung haben mit den Lockerungen begonnen. Da wurde ohne Plan gelockert. Dieses plötzliche „Alles wird gut“ – das spielt’s nicht. Es hat keinen Plan für den Sommertourismus gegeben, oder für den Schulalltag. Und es gibt bis heute keine klare Test-Strategie. Es gibt einen Grundsatz: Wer lockert, der muss testen.
Insider: Viele Alleinerziehende sorgen sich darüber, ob sie ihren Arbeitsplatz halten können, wenn die Kinder wieder zu Hause und nicht mehr in der Schule sind – was wäre Ihr Ansatz für eine Problemlösung?
Rendi-Wagner: Das war ja schon im Frühling ein Problem. Ich war immer sehr skeptisch gegenüber dieser generellen Schulschließung. Auch wegen des Betreuungsproblems. Die Großeltern sind ja auch ausgefallen. Deshalb: Die Schulen müssen offen bleiben. Wir haben ja die virologische Erfahrung, dass Kinder nicht so starke Überträger sind wie Erwachsene. Nur zwei Prozent der Wiener, die mit Corona infiziert wurden, sind Kinder. Und: Es ist tatsächlich ein Problem, wenn Alleinerziehende eine Betreuungszeit benötigen, aber keinen Rechtsanspruch darauf haben. Das erzeugt viel Verunsicherung.
© TZOe Kernmayer
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Insider: Hat der Unterrichtsminister die Zeit der Ferien wirklich gut genutzt, um auf einen weiteren Anstieg der Corona-Infektionen vorbereitet zu sein?
Rendi-Wagner: Klare Antwort: Die gesamte Bundesregierung hat den Sommer verschlafen. Da müsste es doch längst klare generelle Regeln für den Schulbetrieb geben, und auch eine Teststrategie für Lehrerinnen und Lehrer. Das Problem, das wir jetzt in den Schulen haben: Was passiert konkret, wenn es einen Verdachtsfall gibt? Es gibt da einen Fleckerlteppich an Corona-Regeln. Da dürfen die Schuldirektoren und die Eltern der Kinder nicht allein gelassen werden.
Insider: Laut Ihrem Parteikollegen Hannes Androsch könnte nun im kommenden Winter die Zahl der Arbeitslosen auf 800.000 steigen, auch der Linzer Bürgermeister Klaus Luger befürchtet einen Anstieg auf 20 % in seiner Stadt. Wie könnte das jetzt noch verhindert, oder diese negative Entwicklung zumindest gebremst werden?
Rendi-Wagner: Was mich wirklich zutiefst erschüttert: Dass es so scheint, dass die Bundesregierung diese hohen Zahlen an Arbeitslosen einfach so hinnimmt. Nach dem Motto „Augen zu und durch“. Aber das ist kein Krisenmanagement. Das schafft ja keinen Arbeitsplatz, das sichert keinen Arbeitsplatz. Da muss man sich schon was einfallen lassen: Da muss jetzt Benzin in den Wirtschaftsmotor, uns droht ein Winter mit Rekordarbeitslosigkeit. Und noch dazu fehlen bis zu 10.000 Lehrstellen, auch da müsste die Bundesregierung viel mehr vorausdenken – in drei Jahren fehlen diese Facharbeiter. Ja: In einer Krise muss man auch mutig sein, wir müssen die wenigen Jobs auf mehr Menschen aufteilen. Mein Vorschlag dazu: Die freiwillige, geförderte 4-Tage-Woche, wo das Sinn macht.
Insider: Ist nicht zu befürchten, dass vielen plötzlich arbeitslosen Familienvätern, vielen Alleinerzieherinnen irgendwann nach dem Jahreswechsel das Geld ausgeht? Mieten, Kredite müssen ja weiter bezahlt werden.
Rendi-Wagner: Ja, die Situation ist sehr, sehr ernst. Die Arbeitslosigkeit durch die Corona-Krise trifft viele Österreicher wie ein Blitzschlag, die hatten eine ganz andere Lebensplanung. Und die Arbeitslosigkeit wird auch im nächsten Jahr noch bei neun Prozent bleiben. Da muss das Arbeitslosengeld erhöht werden, aber nicht nur einen Monat lang – damit niemand in die Armut rutscht. Und es muss dazu eine echte Steuersenkung für kleine und mittlere Einkommen geben: Den Österreichern soll im Jahr 1.000 Euro mehr zum Leben bleiben.
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Insider: Sie sind auch Mutter zweier Töchter – wie erklären Sie Ihren Kindern die aktuelle Situation, wie wird daheim in der Familie über das Thema Krise gesprochen?
Rendi-Wagner: Lässt sich ja gar nicht vermeiden, dass Corona ein Thema ist. Am Anfang der Corona-Krise war das für die Kinder noch aufregend und spannend. Nach drei Wochen hat sich die Stimmung gedreht, da kamen dann schon Ängste auf. Auch deshalb, weil sie bemerkt haben, dass sich das Leben total geändert hat, dass es nicht mehr möglich ist, die Freundinnen, die Cousinen, die Oma zu sehen. Und sie haben erlebt, wie sich die ganze Stadt verändert hat: Diese leeren Straßen – das macht mit einem zehnjährigen Mädchen was.
Insider: Was sind die größten Sorgen der Teenager?
Rendi-Wagner: Am wichtigsten ist für die Jugendlichen, dass sie ihre sozialen Kontakte haben. Da fehlt in diesem Lebensabschnitt Wichtiges.
Insider: Besteht nicht die Gefahr, dass durch mögliche Kommunikations-Pannen und Fehleinschätzungen diverse Verschwörungstheoretiker und „Corona-Leugner“ Zulauf erhalten? Das Web geht förmlich über damit.
Rendi-Wagner: Das Allerwichtigste, um eine Krise zu managen, ist Vertrauen – und die Menschen mitzunehmen. Und mit Transparenz müssen die Entscheidungen fallen: Warum welche Maßnahme wann sinnvoll ist. Die Maskenpflicht hätte etwa nicht in allen Bereichen fallen dürfen. Österreich hat seinen Vorsprung hier verspielt. Die Verunsicherung macht den Menschen dann Angst, die Bundesregierung muss jetzt auch mit einer Stimme sprechen.
Insider: Drei Jahre lang waren Sie Gastprofessorin an der Tel Aviv University – was hören Sie von Ihren Freunden und Ex-Kollegen aus Israel zur aktuellen Situation?
Rendi-Wagner: Israel war ja einmal das Vorbild des Kanzlers in der Corona-Prävention. Jetzt ist Israel bereits im zweiten Lockdown. Bekannte dort sagen mir, wie schwer das jetzt in Israel ist.
Insider: Die SPÖ liegt laut neuesten Umfragen weiterhin bei 20 %, allerdings schon deutlich besser als noch im April (17 %) – wie kann die Partei die alte Stärke zurückgewinnen? Zusatz: Wir haben aber nicht den ganzen Tag Zeit …
Rendi-Wagner: (lacht) Politik ist eben ein Marathon und kein Sprint. Dafür brauchst du viel Ausdauer und Konsequenz. Und beides bring ich mit. Wir können nur dann erfolgreich sein, wenn wir als gesamte Partei daran arbeiten, Vertrauen zurückzugewinnen. Da sind wir Sozialdemokraten alle in der Verantwortung.
Insider: Konkret zur Wien-Wahl am 11. Oktober – mit welchem Ergebnis rechnen Sie?
Rendi-Wagner: Es gibt ja schon viele Umfragen, die wichtigste ist dann eben jene am Wahltag. Aber klar ist: Jeder Wiener, der will, dass Wien die lebenswerteste Stadt bleiben soll, jeder, der will, dass
Michael Ludwig Bürgermeister bleiben soll, muss auch zur Wahl gehen und Michael Ludwig wählen. Ich sehe gute Chancen, dass das ein gutes Ergebnis wird.
Insider: Würden Sie nach der Wahl dazu raten, dass die Wiener SPÖ die Koalition mit den Grünen fortsetzt?
Rendi-Wagner: Das ist dem Respekt gegenüber allen Wienern und Wienerinnen geschuldet, dass wir die Wähler einmal sagen lassen, was sie für Wien wollen. Und danach werden Michael Ludwig und die Wiener SPÖ entscheiden, welche Variante sie wählen.