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Regierungskreise:

Spionage-Skandal: Kurz & VdB fordern "volle Aufklärung"

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Deutscher BND überwachte fast 2.000 Anschlüsse in Österreich. Heute soll über Vorgehensweise und Reaktionen entschieden werden.

Samstagnachmittag gab es eine Krisensitzung zur BND-Affäre im Bundeskanzleramt in Wien. Dort wurde über die weitere Vorgehensweise und etwaige Reaktionen zur deutschen Abhöraffäre entschieden. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) war am Samstag früher vom Europaforum Wachau abgereist, um an der Sitzung teilzunehmen.

An der Sitzung im Bundeskanzleramt nahmen nach oe24-Informationen der Bundeskanzler, Innenminister Herbert Kickl, BVT-Chef Peter Gridling sowie die Generalsekretäre von Innen-, Justiz- und Außenministerium teil. Im Anschluss fand noch eine Sitzung mit dem Bundespräsidenten statt.

VdB und Kurz fordern "volle Aufklärung"

Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) haben nach Berichten über Spionageaktionen des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) in Österreich im Rahmen einer Pressekonferenz  "volle Aufklärung" gefordert. Solche Aktionen würden "auf Dauer das Vertrauen zwischen den Staaten infrage stellen", betonte Van der Bellen bei einem gemeinsamen Presseauftritt am Samstag.

 

Video zum Thema: VdB und Kurz informieren über Abhörskandal



"Ein Ausspionieren unter befreundeten Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünscht, es ist auch nicht akzeptabel", sagte der Bundespräsident. "Um Klarheit herzustellen" müsse Deutschland nun aufklären, ob die Spionageaktionen stattgefunden hätten und in welchem Ausmaß und dass sie eingestellt werden, "falls sie am Laufen sein sollten, was wir nicht annehmen".

"Enormes Ausmaß" der Überwachung

Kurz sprach von einem "enormen" Ausmaß der Überwachung. "Unter befreundeten Staaten darf es so etwas nicht geben", betonte der Kanzler. Daher habe man schon mit den deutschen Behörden Kontakt aufgenommen. Derzeit gebe es zwar "keine Indizien dafür, dass die Überwachung (nach dem Jahr 2006) fortgesetzt wurde". Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2016 seien solche Aktionen zudem "nicht mehr legal möglich Deutschland".

Kurz berichtete, dass es in dieser Causa schon im Jahr 2014 "erste Verdachtsmomente" gegeben habe. Die daraufhin von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungen "konnten nicht erfolgreich abgeschlossen werden, weil Deutschland eine Kooperation damals verweigert hat". Der Bundeskanzler zeigte sich aber zuversichtlich, dass das Nachbarland diesmal kooperativer sein werde.

Van der Bellen wollte auf eine Frage der APA nicht darüber spekulieren, ob Österreich diplomatische Maßnahmen gegen Deutschland ergreifen könnte. Dafür sei es "ein bisschen früh". "Jetzt warten wir ab, wie die deutschen Behörden reagieren, ob sie zu einer vollständigen Klärung bereit sind, wovon ich ausgehe. Dann sehen wir weiter." Van der Bellen bezeichnete die Verdachtsmomente als "ernst". "Ich persönlich lege auf meine Privatsphäre großen Wert", fügte er hinzu.

Kurz zeigte sich zurückhaltend zu Fragen, ob die Vorwürfe eine Belastung für das bilaterale Verhältnis seien. Er gab zu bedenken, dass die vermeintlichen Vorfälle "zehn Jahre zurück" liegen. "Aber natürlich ist das Ausmaß ein gewaltiges. Schon vor zehn Jahren war es nicht richtig, Partner auszuspionieren", äußerte Kurz die Hoffnung einer "ordentlichen Kooperation" der deutschen Behörden. "Das ist natürlich auch eine Erwartungshaltung", fügte er hinzu.

Van der Bellen und Kurz äußerten sich nach einer Sitzung im Bundeskanzleramt, an der neben dem Kanzler auch Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), der Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) Peter Gridling sowie Spitzenbeamte der Präsidentschaftskanzlei, des Innen-, Justiz-, Verteidigungs- und Außenministeriums teilnahmen.

Deutscher Bundestag untersucht Vorwürfe 

Die Vorwürfe, der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) habe zwischen 1999 und 2006 systematisch die Telekommunikation zentraler Einrichtungen in Österreich überwacht, beschäftigen bereits das Parlamentarische Kontrollgremium der Geheimdienste (PKG) des Deutschen Bundestags. Das bestätigte der PKG-Vorsitzende Armin Schuster (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Sonntag.

"Wir prüfen, ob die Vorwürfe neu sind oder ob sie Teil der schon 2015 bekannt gewordenen Vorwürfe sind", sagte Schuster. Er kündigte erste Erkenntnisse bis Ende der kommenden Woche an. Eventuell werde das Gremium in der übernächsten Woche zu einer Sondersitzung zusammenkommen.

CDU-Politiker bekräftigt: Aktion war unverhältnismäßig

Der CDU-Politiker bekräftigte, dass es "oft weder verhältnismäßig, noch in der Sache erklärbar" gewesen sei, dass der BND in der Vergangenheit andere europäische Staaten bespitzelt habe. Als Konsequenz daraus habe der Deutsche Bundestag in der vergangenen Wahlperiode auch das BND-Gesetz geändert. Es setze "dem Dienst ganz andere Voraussetzungen als noch vor 2015", sagte Schuster.
 
Sein Stellvertreter, der Grünen-Politiker Konstantin von Notz, sagte den Funke-Zeitungen, für den BND sei es "ein Problem", dass nun die elektronischen Suchmerkmale bekannt geworden sind, mit denen der Geheimdienst österreichische Quellen ausspioniert habe. Die deutsche Regierung habe diese so genannten Selektoren dem Untersuchungsausschuss damals "nicht in einem ordentlichen Verfahren zur Einsicht zukommen lassen", kritisierte von Notz.

2.000 Anschlüsse überwacht

Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) hat zwischen 1999 und 2006 systematisch die Telekommunikation zentraler Einrichtungen in Österreich überwacht. Laut einer dem Nachrichtenmagazin "profil" und der Tageszeitung "Der Standard" vorliegenden BND-internen Datei wurden in diesem Zeitraum insgesamt 2.000 Telefon-, Fax- und Mobilanschlüsse sowie E-Mail-Adressen in Visier genommen.

"Der BND nahm Ministerien in Wien, Firmen, internationale Organisationen, islamische Einrichtungen ebenso wie Terrorverdächtige und Waffenhändler ins Visier", schreibt "Der Standard" in seiner Samstag-Ausgabe. Besonderes Augenmerk sei auf die in Wien angesiedelten internationalen Einrichtungen gelegt worden. Auch die Austria Presse Agentur - und zwar ein vom BND der Außenpolitischen Redaktion zugeordneter Faxanschluss - habe sich unter den Spähzielen befunden. Die abgefangenen Informationen seien mit anderen Geheimdiensten - etwa der US-amerikanischen NSA - geteilt worden. Das zeige die Liste sogenannter Selektoren, die den beiden Medien vorliegt.

Selektoren, erklärt "Der Standard", sind "Suchbegriffe, mit denen der BND in Datenströmen nach relevanten Inhalten sucht." Taucht bei den untersuchten Daten "beispielsweise die E-Mail-Adresse eines Terrorverdächtigen auf, die als Selektor ausgewählt wurde, springt das System an." Dann könnten "Agenten nachsehen, wann die Zielperson mit wem wie lange kommuniziert hat." Noch sei nicht geklärt, ob auch Inhaltsdaten erfasst wurden, bei Fax-Geräten könnte dies aber der Fall sein. "Mehr als die Hälfte der nicht ganz 2000 Einträge entfällt auf Faxnummern", heißt es im Voraus-Bericht des "profil".

Wirtschaftsspionage?

Besonders brisant ist, dass sich zahlreiche Firmen auf der Liste befinden - österreichische ebenso wie Dependancen internationaler Unternehmen. Es stelle sich die Frage, "ob der BND über seine Zielaufgaben hinaus auch Wirtschaftsspionage in Österreich betrieben hat, um Deutschland einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen", schreibt der "Standard". "Das wäre auch nach deutschem Recht unzulässig". Aber auch die anderen Ziele "lassen sich nur teilweise durch das Aufgabenprofil des Bundesnachrichtendienstes erklären."

Die Datei wurde "profil" und "Standard" von einer deutschen Quelle zugespielt. Ihre Authentizität sei von mehreren Seiten bestätigt worden, schreibt das "profil". Österreichische Ziele seien beim BND überproportional stark vertreten gewesen. Das BND wollte sich gegenüber den Journalisten nicht äußern: "Zu operativen Aspekten seiner Arbeit berichtet der Bundesnachrichtendienst grundsätzlich nur der Bundesregierung und den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages", hieß es aus dem BND auf eine entsprechende Anfrage.
 

Liste Pilz forderte umfassende Aufklärung

In einer ersten innenpolitischen Reaktion zeigte sich die Liste Pilz empört, und forderte eine umfassende Aufklärung. "Sollten sich diese schwerwiegenden Vorwürfe bewahrheiten, hätten die zum Zeitpunkt bei uns Verantwortlichen beim Schutz der wirtschaftlichen und politischen Interessen versagt", sagte Alma Zadic in einer Aussendung. Die Liste Pilz werde den Nationalen Sicherheitsrat einberufen.

Bereits 2015 war bekannt geworden, dass der BND "befreundete Länder" aus aller Welt gezielt ausspioniert haben soll. Darunter befanden sich auch viele Innenministerien - neben jenen der USA, Polens und Dänemarks auch das in Wien, wie der "Spiegel" damals berichtete. Überwacht wurden zudem Botschaften und Konsulate in Deutschland, darunter ebenfalls jene Österreichs.
 

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