Die Asylwerber wurden laut Gericht bei ihrer Abschiebung in ihren Rechten verletzt. Amtsmissbrauchs-Vorwurf gegen Ex-Minister Strasser und Beamte. Doch wegen Verjährung droht ihnen kein gerichtliches Nachspiel.
Nach sechseinhalb Jahren hat eine Gruppe angeschobener Asylwerber vor Gericht Recht bekommen. Die 74 Flüchtlinge aus Tschetschenien, die im November 2003 am Grenzübergang Gmünd (NÖ) aufgegriffen und einen Tag später nach Tschechien zurückgeschoben wurden, wurden damals "nicht gehört" und mit der sofortigen Abschiebung in ihren Rechten verletzt, entschied nun der Unabhängige Verwaltungssenat Niederösterreich (UVS) laut einem Bericht des "Falter".
Amtsmissbrauchsvorwurf gegen Strasser
Gegen Ex-Innenminister
Ernst Strasser (V) und Beamte der Fremdenpolizei wird der Vorwurf des
Amtsmissbrauchs erhoben. Doch wegen Verjährung droht niemandem ein
gerichtliches Nachspiel. Der Fall hatte schon 2003 hohe Wellen geschlagen.
Hilfsorganisationen warfen den Behörden vor, die Flüchtlinge erpresst und
ihre Asylanträge ignoriert zu haben. Tatsächlich hieß es damals von den
Behörden, die Tschetschenen hätten keine Asylanträge gestellt bzw. ihre
Anträge zurückgezogen. Strasser hatte damals gemeint, man werde die
Asylwerber "einladen, dass sie zurückgehen", weil die
Aufnahme-Kapazitäten erschöpft seien.
"Lager Traiskirchen war voll"
Einen Tag vor der
Rückweisung der Asylwerber hatten einander der niederösterreichische
Landeshauptmann Erwin Pröll (V) und Strasser zu einem "Sicherheitsgipfel"
in St. Pölten getroffen. Thema des Treffens war der Umgang mit Asylwerbern,
die in Niederösterreich die damalige EU-Außengrenze passieren. An der
tschechischen Grenze gebe es ein "Nadelöhr", erklärte
Strasser damals. Diesem sei verstärktes Augenmerk zu widmen, "insbesondere
im Stadtgebiet von Gmünd". "Der Zusammenhang scheint eindeutig",
sagt UVS-Richter Paul Marzi im "Falter", "das Lager
Traiskirchen war voll und Strasser hatte beschlossen, keine neuen Asylwerber
reinzulassen."
Strasser wies alle Vorwürfe zurück
15 der 74
Tschetschenen haben damals beklagt, dass ihr Ansuchen um Asyl ignoriert
wurde. Sechseinhalb Jahre später bekamen sie vom UVS recht. Der "schlüssig
gestellte Antrag auf Asyl" der Tschetschenen sei "nicht gehört"
und diese durch die Abschiebung nach Tschechien in ihren Rechten verletzt
worden, so der UVS. Strasser war laut "Falter" in diesem Verfahren
auch als Zeuge geladen. Er wies alle Vorwürfe zurück. Auch alle anderen
Beamten, vom damaligen Leiter der Fremdenpolizei in Niederösterreich
abwärts, wollen sich vor Gericht nicht daran erinnern, in jener Nacht auch
nur ein einziges Mal das Wort Asyl gehört zu haben.
Gericht: Aussagen der Tschetschenen glaubwürdig
Der UVS
sieht dies allerdings anders. Er stellte fest, dass die Aussagen der
Tschetschenen und nicht jene der Polizisten glaubwürdig seien."Innenminister
Ernst Strasser, der Leiter der niederösterreichischen Fremdenpolizei, seine
Grenzbeamten, die Dolmetscher - im Ergebnis ist herauszulesen, dass sie alle
vor Gericht nicht die Wahrheit gesagt haben", sagte UVS-Richter Marzi.
Rücktrittsforderungen werden laut
Grüne und die
Hilfsorganisation "SOS Mitmensch" haben wegen der rechtswidrigen
Asylverweigerung und Abschiebung von 74 Tschetschenen im Jahr 2003 den
Rücktritt von Strasser von allen politischen Ämtern gefordert.