"ÖSTERREICH"-Interview

VdB: Mein Plan für die 2. Amtszeit

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Präsident Alexander Van der Bellen spricht im Interview mit ÖSTERREICH-Politik-Chefredakteurin Isabelle Daniel über Neutralität, Teuerung, Putin und was er anders machen will.

Wien. „Wir würden Sie wählen“, sagt die Schulklasse, während Alexander Van der Bellen gerade ÖSTERREICH vor der Hofburg ein Interview gibt. Seit Sonntag steht fest, dass der Bundespräsident für eine zweite Amtszeit kandidiert. ÖSTERREICH erzählt er, wie er sich selbst sieht und was er verändern würde:

ÖSTERREICH: Sie verstehen sich als der, der vorm Meer steht und das große Ganze sieht. ­Erkennen Sie einen Tsunami?

Alexander Van der Bellen: Ich würde es rechtzeitig erkennen, wenn sich der Horizont deutlich verändert. Wir sind in einer sehr schwierigen Phase. Tsunami würde ich es nicht nennen. Aber es finden mehrere Krisen – die Pandemie, der Ukraine-Krieg, Teuerung und Klimakrise – gleichzeitig statt. Das sind große Probleme, für die es keine einfachen Antworten gibt.

ÖSTERREICH: Macht die Regierung genug gegen die Teuerung?

Van der Bellen: Das ist noch offen. Wir werden sehen, wie sich die Wirtschaftssituation weiter entwickelt. Wichtig ist, dass jenen, die jetzt schon Schwierigkeiten haben – etwa Alleinerzieherinnen oder Mindestpensionistinnen –, gleich geholfen wird. Die Regierung hat schon Maßnahmen beschlossen. Ob das reicht, werden wir erst sehen.

ÖSTERREICH: Die Regierung kippt die Masken in Supermärkten und Öffis. Klug?

Van der Bellen: Ich verstehe, dass man den Menschen das Freiheitsgefühl zurückgeben will. Ich möchte nur davor warnen zu glauben, dass die Pandemie sich sicher ihrem Ende nähert. Wir hatten uns schon zwei Mal zu sicher gefühlt – 2020 und 2021 – und dann ist es im Herbst wieder losgegangen. Wir sollten ein genaues Auge auf die Daten haben. Und es hindert uns niemand, die Maske weiter zu tragen. Unlängst habe ich ein Konzert erlebt, wo fast jeder im Saal freiwillig die Maske getragen hat.

ÖSTERREICH: Werden Sie – wo viele Menschen sind – weiter Maske tragen?

Van der Bellen: Ja, in solchen Situationen werde ich weiter Maske tragen.

ÖSTERREICH: Manche sind enttäuscht, dass Sie als Präsident nicht schärfer gegen Kurz agiert hatten. Warum waren Sie da zurückhaltend?

Van der Bellen: Ich finde nicht, dass ich das war. Aber ich gebe zu, was dem einen schon zu viel ist, ist dem anderen zu wenig. Es jedem recht machen – von Sebastian Kurz bis zu einem überzeugten Linken – ist natürlich schwierig. Rückblickend kann man immer sagen, in dem oder jenem Punkt hätte ich mich schon zu Wort melden können. Aber insgesamt hatte ich das richtige Maß gewählt. Ich glaube ich konnte in den verschiedensten Situationen zeigen, dass ein neutraler, sachkundiger und besonnener Mensch am Werk ist.

ÖSTERREICH: Die FPÖ spricht Ihnen diese Neutralität ab. Warum hatten Sie bei Ibiza „so sind wir nicht“ gesagt, aber nicht bei VP-Chats?

Van der Bellen: Viele haben das Ibiza-Video schon vergessen, aber da wurde offen für Korruption geworben. Die Chats zeigen ein Sittenbild, das nicht zur Nachahmung einlädt. Aber im Ibiza-Film ging es um die Beseitigung von Pressefreiheit, um nur ein Beispiel zu nennen.

ÖSTERREICH: Österreichs Politik hatte enge Beziehungen zu Putin. Sie hatten nach der Annexion der Krim Verständnis für ihn. Naivität oder Verdrängung?

Van der Bellen: Ich würde sagen eine Verdrängung. Österreich und Russland hatten über viele Jahrzehnte sehr gute Wirtschafts- und diplomatische Beziehungen. Aber was ich und die meisten Beobachter unterschätzt hatten, war dieses Selbstgefühl Putins, dass die Ukraine zum russischen Imperium gehöre. Ja, ich habe mich da geirrt.

ÖSTERREICH: Warum sind Sie so sehr für die Neutralität?

Van der Bellen: Unsere Neutralität hat den Abzug der Besatzungstruppen ermöglicht – und so konnten wir seit 1955 in Freiheit leben. Die Neutralität hat sich stark bewährt. Was wir jetzt aber brauchen, ist eine Landesverteidigung, die wir viel ernster nehmen. Und wir müssen die österreichische Diplomatie wieder mehr aufstocken.

ÖSTERREICH: Was würden werden Sie in Ihrer zweiten Amtszeit anders machen?

Van der Bellen: Man lernt ständig dazu. Ich würde wohl etwas selbstbewusster und weniger vorsichtig sein, was öffentliche Stellungnahmen angeht. Aber ich bleibe – in jeglicher Hinsicht (lacht) natürlich der Alte. 

Interview: Isabelle Daniel

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