Nach dem Rücktritt von Boliviens Staatschef Evo Morales hat sich die Senatorin Jeanine Anez am Dienstag zur Interimspräsidentin erklärt.
La Paz. Nach dem Rücktritt von Boliviens Staatschef Evo Morales hat sich die Senatorin Jeanine Anez zur Interimspräsidentin des südamerikanischen Landes erklärt. Die bisherige zweite Vize-Präsidentin des Senats vollzog diesen Schritt am Dienstag, nachdem das Parlament zuvor nicht die für eine Wahl notwendige Beschlussfähigkeit erreicht hatte.
Zur Begründung für die Selbstproklamation gab die Oppositionspolitikerin die "Notwendigkeit" an, "ein Klima des sozialen Friedens zu schaffen". "Ich werde alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um das Land zu befrieden", sagte sie. Zugleich kündigte die 52-Jährige an, "so schnell wie möglich Neuwahlen einzuberufen".
In Bolivien war ein Machtvakuum entstanden, nachdem der unter Druck geratene bisherige Staatschef Evo Morales zurückgetreten war. Er geißelte die Selbsternennung von Anez zur Übergangspräsidentin von seinem Exil in Mexiko aus als "Staatsstreich". Im Internet-Kurzbotschaftendienst Twitter sprach Morales vom "heimtückischsten und schändlichsten Staatsstreich der Geschichte".
Morales war am Dienstag in Mexiko gelandet, wo ihm Asyl gewährt wird. Er war am Sonntag als Präsident Boliviens zurückgetreten, nachdem es wochenlange Massenproteste gegen ihn gegeben und er den Rückhalt von Armee und Polizei verloren hatte. Da alle höherrangigen Politiker, die theoretisch übergangsweise die Nachfolge Morales' hätten übernehmen sollen, mit dem Staatschef zusammen zurückgetreten waren, beanspruchte Anez als zweite Vize-Präsidentin des Senats den Posten für sich.
Die Anwältin sitzt seit 2010 für das Department Beni im Senat. Die 52-Jährige muss nun innerhalb von 90 Tagen eine Neuwahl organisieren.
Aufgebrachte Anhänger von Morales zogen am Dienstag durch die Straßen des Regierungssitzes La Paz und der Schwesterstadt El Alto. Medienberichten zufolge plünderten sie Geschäfte und legten Feuer. In einigen Vierteln errichteten die Bewohner Barrikaden, um sich gegen Plünderer zu schützen. Mindestens 20 Menschen wurden bei den Ausschreitungen verletzt.
Als erster indigener Präsident hatte Morales dem Armenhaus Südamerikas eine lange Zeit der politischen Stabilität und der wirtschaftlichen Entwicklung beschert. In seinen fast 14 Jahren an der Regierungsspitze sorgte er dafür, dass die satten Gewinne aus der Gas- und Lithium-Förderung größtenteils im Land blieben und auch der indigenen Bevölkerungsmehrheit zugutekamen.
Um sich seinen Traum zu erfüllen und bis zur 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeit 2025 im Amt zu bleiben, überspannte der frühere Koka-Bauer aus einfachsten Verhältnissen den Bogen allerdings. Im Oktober stellte er sich zum dritten Mal zur Wiederwahl, obwohl die Verfassung höchstens eine Wiederwahl vorsieht. Morales überwand diese Hürde mithilfe der ihm gewogenen Justiz, die die Begrenzung der Amtszeiten als Verletzung seiner Menschenrechte bezeichnete.