Nobelpreisverleihung

China verschärft Druck auf Kritiker

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China verdunkelt TV-Sender, sperrt das Internet und lässt Leute verhaften.

Vor der Vergabe des Friedensnobelpreises an den inhaftierten Bürgerrechtler Liu Xiaobo am Freitag in Oslo haben chinesische Behörden den Druck auf Kritiker in China und selbst auf Landsleute in Norwegen verstärkt. Ein enger Freund des Preisträgers und Mitverfasser der "Charta 08" für Demokratie und Menschenrechte in China sowie andere Aktivisten wurden durch Angehörige der chinesischen Staatssicherheit verschleppt, teilte die Menschenrechtsgruppe Chinese Human Rights Defenders (CHRD) mit. Amnesty International berichtete, chinesische Diplomaten hätten in Norwegen ansässige Chinesen "systematisch unter Druck gesetzt", sich an Protesten gegen die Nobelpreiszeremonie in Oslo zu beteiligen.

China setzt andere Länder unter Druck
Unter dem massiven Druck Chinas hatten mehrere Länder eine Teilnahme an der Zeremonie abgelehnt, darunter Russland, Saudi-Arabien, Ägypten, Pakistan, der Iran, Venezuela und Kuba. Die Ukraine und Argentinien dementierten jedoch, dass sie sich am Boykott beteiligen. Auch Serbien, das massive Kritik der Europäischen Union hatte einstecken müssen, rückte von seinem Boykott ab. So wird an der Menschenrechts-Ombudsmann Serbiens nach Oslo reisen, um der Preisverleihung beizuwohnen. Die USA schicken demonstrativ die dritthöchste Amtsträgerin, Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi, nach Oslo.

Verleihung ohne Preisträger
Bei der Feier in Anwesenheit von Norwegens König Harald V. wird der Stuhl des Preisträgers erstmals seit 1936 völlig leer bleiben. Der 54-Jährige Liu Xiaobo, der vor einem Jahr wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" zu elf Jahren Haft verurteilt wurde, sitzt in einem Gefängnis in Jinzhou in Nordostchina. Seine Frau Liu Xiao wird in Peking ohne Kontakt zur Außenwelt unter Hausarrest gehalten. Auch seinen Anwälten wurde die Ausreise verweigert. Die demokratischen Kräfte in China werden bei der Feier nur durch 40 Mitglieder der exilchinesischen Dissidentengemeinde vertreten sein.

Ähnliche Situation wie 1936
Zuletzt hatten vor 74 Jahren weder der in einem Konzentrationslager internierte deutsche Publizist Carl von Ossietzky noch seine Familie den Preis entgegennehmen können, weil ihnen die Nazis die Reise nach Oslo nicht erlaubten.

Mitstreiter Xiaobos verhaftet
Seit der Verkündung des Friedensnobelpreises vor zwei Monaten waren in China dutzende Aktivisten und Kritiker unter Hausarrest gestellt, in Haft genommen oder eingeschüchtert worden. Prominentes Opfer der Verfolgung wurde am Donnerstag Zhang Zuhua, der neben Liu Xiaobo an der Veröffentlichung der "Charta 08" vor zwei Jahren beteiligt war.

Der Bürgerrechtler sei am Donnerstag in Peking auf der Straße von Staatssicherheitsbeamten in einen Kleinbus gezerrt und verschleppt worden, berichtete die Menschenrechtsgruppe CHRD. Ähnlich seien in der Hauptstadt der Akademiker Cui Weiping und der Journalist Gao Yu sowie in Xi'an der Aktivist Yang Hai und der Bürgerrechtsanwalt Zhang Jiankang in die Gewalt der Sicherheitsbehörden genommen worden. Die Polizei umstellte auch Lius Haus in Peking und kontrollierte die Ausweise von allen, die die Wohnanlage betreten wollten.

China verdunkelt Fernsehsender und blockiert Internet
Die chinesischen Behörden begannen am Freitagvormittag auch damit, ausländische Fernsehsender zu verdunkeln, die die Nobelpreisverleihung übertragen wollten. Auch der Zugang zu den Internetseiten internationaler Medien wurde wenige Stunden vor Beginn der Zeremonie in Oslo blockiert. Betroffen waren unter anderem der US-Nachrichtensender CNN, die britische BBC und der französische TV-Sender TV5. "Die Seite cnn.com ist vollkommen blockiert. Jeder Bericht über den Nobelpreisträger wird am Bildschirm verdunkelt", berichtete der Chef des Pekinger CNN-Büros, Jaime FlorCruz.

China: Liu Xiaobo ist ein "Krimineller"
Chinas Regierung hat die Auszeichnung für den "Kriminellen" Liu Xiaobo als "Einmischung in innere Angelegenheiten" verurteilt. Wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty berichtete, organisieren chinesische Diplomaten in Oslo Demonstrationen gegen den Nobelpreis. In Norwegen wohnende Chinesen seien unter Androhung von "ernsten Konsequenzen" aufgefordert worden, sich an den Protesten zu beteiligen. "Wir sind geschockt, dass chinesische Behörden diese repressive Atmosphäre von Peking nach Oslo bringen", sagte der norwegische Amnesty-Direktor John Peter Egnaes. Am Donnerstagabend war es in Oslo zu antichinesischen Protesten gekommen. Etwa 100 Demonstranten zogen in Richtung der chinesischen Botschaft und forderten die Freilassung des Regierungskritikers. Die Polizei drängte die Demonstranten, die eine Petition mit 100.000 Unterschriften für Liu überreichen wollten, vor dem Botschaftsgelände ab.

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28. Dezember 1955: Liu wird in Changchung (Hauptstadt der Provinz Jilin) in Nordostchina geboren.

1969-73: Liu wird mit seinen Eltern in die Volkskommune Dashizhai in der zu China gehörenden Inneren Mongolei geschickt.

1977-82: Nach kurzer Tätigkeit als Arbeiter für eine Changchunger Baufirma Literatur-Studium an der Universität von Jilin. Danach Wechsel an die Pekinger Pädagogische Universität.

1988: Doktortitel. Lius Institut in Peking wird eines der ideologischen Zentren der Demokratiebewegung. Der Schriftsteller, Literaturkritiker und Universitätsprofessor für Literatur, Philosophie und Geschichte arbeitet als Gastdozent in Norwegen, Hongkong und den USA. Wegen des "Pekinger Frühlings" kehrt Liu dorthin zurück.

Frühjahr 1989: Liu, der sich für ein Ende der Einparteiendiktatur und für ein Mehrparteiensystem, Meinungsfreiheit und Marktwirtschaft ausgesprochen hat, tritt gemeinsam mit Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking in den Hungerstreik. Liu ist einer der letzten vier Hungerstreikenden, ehe der Platz bei der Niederschlagung der Demokratiebewegung am 4. Juni gewaltsam (Hunderte wenn nicht Tausende Tote) geräumt wird.

Nach Lius Verhaftung berichtet die Agentur AFP: "Der Literaturprofessor Liu Xiaobo ist sichtlich angegriffen, als er in der Sondersendung über die 'konterrevolutionäre Rebellion' im chinesischen Fernsehen auftritt. Das Gesicht des 35-jährigen ist ausgemergelt. Mit tonloser Stimme berichtet er von der Ankunft der Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Seine Version ist dieselbe wie die der chinesischen KP: 'Niemand wurde dort am 4. Juni zwischen 04.30 Uhr und 05.30 Uhr getötet.' (...)

Unter der Überschrift 'Die reaktionäre Visage des Liu Xiaobo' nannte ihn das Parteiorgan 'Volkszeitung' diese Woche einen 'Mafioso', der seit langem gegen die kommunistische Partei und den Sozialismus 'opponiert habe'. Schon als Student habe er problematische politische und theoretische Ideen gehabt. Ende 1986 habe er 'den Individualismus gelobt' und später dafür plädiert, sich auf die menschlichen Instinkte zu verlassen, eingeschlossen die sexuelle Begierde und die Habsucht."

26. Jänner 1991: Während sich die Welt auf die Golfkrise konzentriert, wird nach eineinhalb Jahren Haft ohne Prozess über Liu sowie sieben weitere führende Dissidenten der Richterspruch wegen ihrer Rolle auf dem Platz des Himmlischen Friedens gefällt: Während gegen andere Aktivisten mehrjährige Haftstrafen verhängt werden, wird Liu, der gemeinsam mit Berufskollegen zu den "Schwarzen Händen von Peking" gezählt wird, zwar wegen "konter-revolutionärer Propaganda und Verhetzung" verurteilt, aber nicht mit einer Strafe belegt, obwohl für ihn ebenfalls eine hohe Gefängnisstrafe erwartet worden war. Er darf aber nicht mehr an staatlichen Instituten unterrichten. Seine Texte dürfen nicht mehr in China erscheinen und kommen in Hongkong oder anderen Ländern heraus. Später publiziert Liu auch auf Internetseiten, die von außerhalb Chinas betreut werden.

18. Mai 1995: Vor dem sechsten Jahrestag der Niederschlagung der Demokratiebewegung lässt das Regime mehrere ihrer Kritiker festnehmen, darunter Liu. Erst nach sieben Monaten, am 19. Jänner 1996 wird er wieder freigelassen.

8. Oktober 1996: Nach Hausdurchsuchungen, bei denen Schriften, Dokumente und Bücher des als freier Autor in Peking lebenden Liu sichergestellt werden, wird der Literaturkritiker zur "Umerziehung" für drei Jahre ins Arbeitslager geschickt. Liu hatte die chinesische Führung zuvor in einem zusammen mit dem Dissidenten Wang Xizhe verfassten Brief aufgefordert, das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" anzuerkennen und Gespräche mit dem Dalai Lama, dem Exil-Oberhaupt der Tibeter, aufzunehmen. Liu kommt tatsächlich erst drei Jahre später am 7. Oktober 1999 wieder frei. Wang war in die USA geflohen.

Anfang Juni 2000: Vorübergehende Festnahme, als Liu zum 11. Jahrestag des Tiananmen-Massakers die Regierung in einem Offenen Brief aufruft, den bevorstehenden Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) auch für politische Reformen zu nutzen.

November 2003: Liu wird zum Präsidenten des chinesischen PEN-Clubs gewählt, dessen Gründungsmitglied er ist.

Ende Mai 2004: Vor dem 15. Jahrestag des Tiananmen-Massakers werden Liu und seine Frau vorübergehend unter Hausarrest gestellt.

Dezember 2004: Liu erhält den Menschenrechtspreis von Reporter ohne Grenzen (RSF) für seinen "unermüdlichen Kampf für das universelle Ideal der Pressefreiheit", wobei er mit seinen im Internet veröffentlichten Beiträgen hohe persönliche Risiken in Kauf nehme.

August 2007: Ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Peking fordern rund 40 prominente Intellektuelle Chinas in einem Schreiben an Staats- und Parteichef Hu Jintao, IOC-Präsident Jacques Rogge sowie die damalige UNO-Menschenrechtskommissarin Louise Arbour ein Ende der Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik, eine Amnestie für politische Gefangene, die Rückkehrerlaubnis für Exil-Chinesen, Pressefreiheit, gerechte Entschädigungen für Zwangsumgesiedelte, freie Gewerkschaften sowie ein unabhängiges Gremium zur Aufsicht über alle olympischen Finanzausgaben.

2008: Im Jahr der Olympischen Spiele weitere Aktionen für die Menschenrechte, inhaftierte Bürgerrechtler und einen Dialog mit dem Dalai Lama.

9. Dezember 2008: Nach Verbreitung der sogenannten Charta 08, ein von rund 300 Bürgerrechtlern zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen unterzeichneter Appell für Demokratie und Freiheit in der Tradition der tschechoslowakischen Charta 77, wird Liu wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" festgenommen. Der Charta treten später Tausende bei.

23. Juni 2009: Gegen Liu wird Anklage erhoben; er soll sich durch Diffamierung der Regierung und Verbreitung von Gerüchten eines Umsturzversuches schuldig gemacht haben.

25. Dezember 2009: Nach nur einem Prozesstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird Liu zu elf Jahren Haft verurteilt. Internationale Bestürzung über das harte Urteil.

3. Februar 2010: Der Schriftsteller, ehemalige Dissident und spätere tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel schlägt Liu für den Friedensnobelpreis vor.

11. Februar 2010: Nachdem Liu Berufung eingelegt hatte, bestätigt ein Gericht das elfjährige Hafturteil.

Ende September 2010: In einer Petition machen sich mehr als 120 Wissenschafter und Autoren dafür stark, dass Liu als erstem Chinesen der Friedensnobelpreis zuerkannt wird. China interveniert beim norwegischen Nobel-Komitee und droht mit Folgen für die norwegisch-chinesischen Beziehungen, sollte Liu den Friedensnobelpreis bekommen.

8. Oktober 2010: Das norwegische Nobel-Komitee erkennt Liu den Friedensnobelpreis 2010 zu. Peking ist empört. Weltweit wird die Entscheidung begrüßt und die Freilassung Lius gefordert, es kommt zu Demonstrationen für ihn. Seine Frau Liu Xia darf ihn im Gefängnis von der Ehrung informieren, wird aber unter Hausarrest gestellt.
 

 

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