Merz tritt sein Amt mit einem schweren Makel an.
Berlin. Endlich deutscher Bundeskanzler: Allenfalls die Andeutung eines Lächelns war im Gesicht von Friedrich Merz zu sehen, als Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) am Dienstagnachmittag im Plenum seine Wahl zum Bundeskanzler verkündete. Kein Anlass zum Triumph für den CDU-Chef, der im ersten Wahlgang am Morgen wegen Abweichlern in den Reihen der eigenen Koalition durchgefallen war. Sein angespannter Blick sprach Bände: Merz tritt sein Amt mit einem schweren Makel an.
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Mit 69 Jahren hat Friedrich Merz sein Ziel erreicht: Er hat nun das mächtigste Amt inne, das die Bundesrepublik Deutschland zu vergeben hat. Aber es ist ein Neuanfang ohne Glanz, ohne Aufbruchstimmung. Die Umstände seiner Wahl zeigen schmerzhaft deutlich: Misstrauen begleitet Merz' Weg ins Amt. Ernüchterung prägt die politische Stimmung zum Regierungswechsel.
Als ob er es geahnt hätte, hatte Merz selbst einige Tage vor der Wahl festgestellt, es herrsche "keine Euphorie", was die neue Regierung angeht. An Merz' Risikobereitschaft, seinem rhetorischen Talent und seinem Ehrgeiz zweifelt niemand. Ein Publikumsliebling war er aber nie, Merz kann kühl, überheblich und bisweilen vielleicht auch verletzend wirken.
Wie groß die Zweifel auch in der eigenen Koalition sind, weiß Merz seit dem gescheiterten Wahlgang am Dienstag: Mindesten 18 Stimmen aus den schwarz-roten Reihen fehlten ihm im ersten Durchgang. Auch im zweiten Wahlgang verweigerten ihm mindestens drei Koalitionsabgeordnete die Stimme.
Langer Weg zum Kanzler
Merz, der große Ungeliebte: Bereits bei der Wahl zum CDU-Bundesvorsitzenden war er zwei Mal unterlegen, ehe ihm 2022 im dritten Anlauf der Sprung an die Parteispitze gelang. Nun lastet auf ihm die Hypothek, als bisher einziger Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik im ersten Wahlgang gescheitert zu sein.
Keine optimalen Voraussetzungen für die erste große Aufgabe, die Merz im Amt des Kanzlers erwartet: das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Nach der Wahl im Februar hat Merz der Wählerschaft und vor allem seiner eigenen Partei einiges zugemutet - eine massive Neuverschuldung, die die CDU doch immer abgelehnt hatte.
Merz ist sich der Skepsis ihm gegenüber bewusst. Auf dem kleinen CDU-Parteitag in der Woche vor der Kanzlerwahl sagte er, er habe "einen Kredit in Anspruch genommen, und einen Kredit muss man - jedenfalls wenn man ein glaubwürdiger Schuldner sein will - auch wieder zurückzahlen". Seine Botschaft an die Basis: Er weiß, dass er nun als Kanzler liefern muss.
Die äußeren Umstände könnten schwieriger nicht sein. Merz selbst hat immer wieder betont, die neue Regierung habe möglicherweise die letzte Chance, die Stimmung im Land noch einmal zum Besseren zu drehen, um die rechtsextremistische AfD von der Macht fernzuhalten. Im Wahlkampf nahm Merz allerdings in Kauf, dass die AfD einen Unionsantrag zur Verschärfung der Migrationspolitik unterstützte - was insbesondere auch bei SPD-Abgeordneten auf Empörung stieß.
Merz erstmals in der Regierung
Merz hatte noch nie einen Regierungsposten inne. Exekutive Erfahrung bringt er also nicht mit ins neue Amt - wohl aber die Erfahrung des politischen Scheiterns. 2002 verdrängte CDU-Chefin Angela Merkel den aufstrebenden Christdemokraten aus dem Sauerland vom einflussreichen Fraktionsvorsitz.
"Es gab ein Problem, und zwar von Beginn an: Wir wollten beide Chef werden", schrieb Merkel in ihrer Autobiografie mit Blick auf Merz. Merz zog sich grollend in die zweite Reihe zurück und trat schließlich 2009 nicht mehr für den Bundestag an. Der Jurist wechselte in die Wirtschaft, hatte einen lukrativen Spitzenposten beim Investmentkonzern Blackrock.
Merz glaubt an die Marktwirtschaft und den Freihandel - eine Überzeugung, die aktuell unter schwerem Beschuss ausgerechnet aus den USA stehen, denen der Transatlantiker Merz sich verbunden fühlt. Anders als frühere Bundeskanzler bringt er eigene Erfahrungen aus der internationalen Wirtschaft mit.
Der Merz von heute ist freilich nicht mehr der Merz der Merkel-Jahre. Jenen Christdemokraten, denen Merkels Kurs zu liberal war, galt Merz lange Zeit als verlässlicher Bannerträger eines soliden bürgerlichen Konservativismus. Dieses Bild hatte in den vergangenen Wochen sichtbare Risse bekommen - an Teilen der Basis machte sich die Furcht breit, dass Merz der SPD zu weit entgegengekommen ist. Ob dies nun der Grund war, weshalb einige Koalitionsabgeordnete ihm am Dienstag die Stimme verweigerten, wird sich wohl nie klären lassen. Die Wahl war geheim.