Experten warnen

Diese Bahnstrecke könnte eine neue Pandemie auslösen

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Die Bahnlinie sollte eigentlich die Wirtschaft ankurbeln, erhöht aber auch die Pandemiegefahr.

Durch üppigen Regenwald, grüne Berge und Karstlandschaften führt die 422 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitsstrecke für Züge von China nach Laos. Sie soll die Wirtschaft und den Tourismus in dem kleinen südostasiatischen Land ankurbeln, das enge Verbindungen zum großen Bruder China pflegt. Doch Wissenschafter warnen, dass die Bahnlinie noch etwas anderes bringen könnte: eine neue Pandemie.

Denn sie führt durch bisher unberührte Gebiete, in denen Fledermäuse leben, die Corona- und andere Erreger in sich tragen können. Die Bahn bringt nicht nur Geschäftsleute, Touristen und Güter in diese Region, sondern auch wieder hinaus. "Diese Lehre haben wir gezogen", sagt Chris Newman, Biologe an der Universität Oxford, der über die Ursache der Covid-19-Pandemie forscht. "Es waren infizierte Personen, die das Virus in jede Ecke der Welt brachten - so schnell, dass wir absolut nichts gegen die Ausbreitung tun konnten."

China-Laos-Bahnlinie 

Seit ihrer Inbetriebnahme im Dezember 2021 hat die China-Laos-Bahnlinie nach Angaben der chinesischen Regierung mehr als 14 Millionen Fahrgäste und über 18 Millionen Tonnen Güter transportiert. Durch eine Zerstörung des Lebensraums der Fledermäuse, den regen Wildtier-Handel und den florierenden Tourismus kommt der Mensch in immer engeren Kontakt mit möglichen Virenträgern aus dem Tierreich. Das Risiko von Zoonosen - von Tieren auf Menschen übertragene Krankheiten - könne in solchen Gebieten massiv steigen, sagt Alice Hughes, eine Zoologin der Universität Hongkong, die die Auswirkungen der Bahnlinie untersucht hat.

Eine Reuters-Analyse der Bedingungen, die einen sogenannten Spill-over begünstigen, ergab, dass sich das Risikogebiet in Laos zwischen 2002 und 2020 mehr als verdoppelt hat - von 31 auf 73 Prozent der Landesfläche. Rund 170.000 Quadratkilometer, eine Fläche fast so groß wie Florida, gelten den Daten zufolge mit Blick auf die Ausbreitung eines Virus als gefährlich. Das gilt für mehr als 80 Prozent des Geländes im Umkreis von 25 Kilometer um die Bahnlinie herum. Von der laotischen Botschaft in Washington hieß es auf die Frage nach Risiken der Krankheitsübertragung durch den Bau der Zugstrecke, man habe von solchen Informationen noch nie gehört. "Die Laos-China-Bahnlinie hat Laos auf unzählige Weise genützt, vor allem bei dem Ziel der Regierung, die Wirtschaft zu entwickeln und den Lebensstandard der Menschen zu verbessern", hieß es in der Email. Die chinesische Regierung antwortete auf Fragen von Reuters nicht.

Bereits zwei Pandemien

Fledermäuse gelten in der Wissenschaft als wahre Virenschleudern. Zwei Pandemien, die in China ihren Ursprung genommen haben, SARS und Covid 19, werden mit Virenfamilien in Verbindung gebracht, die in Fledermäusen in Südostasien gefunden wurden. Ausbrüche von Ebola-, Nipah- oder Marburg-Infektionen wurden ebenfalls von Fledermäusen verursacht. Im Norden von Laos wiesen Forscher des französischen Institut Pasteur zwischen 2020 und 2021 bei einer Stichprobe von 645 Fledermäusen mehr als zwei Dutzend verschiedene Coronaviren nach. Und die China-Laos-Bahnlinie durchquert 40 Prozent des Gebietes mit der höchsten Fledermausdichte in Laos oder führt in der Nähe vorbei, wie Zoologin Hughes ermittelte. Auf einem Markt in der laotischen Stadt Vang Vieng, wo Fledermäuse verkauft, gegrillt und gegessen wurden, sammelte ein internationales Forscherteam nach der SARS-Pandemie von 2003 Proben von frisch getöteten Fledermäusen. Sie fanden 17 verschiedene Coronaviren, davon sechs neuartige.

Deshalb machen sich die Wissenschafter Sorgen um den wachsenden, schnelleren Zugang durch die Bahnlinie: Wenn eine infizierte Fledermaus - oder ein durch sie angestecktes Tier - an einer Touristenattraktion, einem Markt oder einem anderen gut besuchten Ort auftaucht und der Erreger auf einen Menschen überspringt, ist dieser mit dem Zug in wenigen Stunden in einer chinesischen Millionenstadt oder an einem Flughafen. Um die Risiken besser zu verstehen, ist ein Reuters-Reporter in den Hochgeschwindigkeitszug eingestiegen und hat die Umstände an verschiedenen Orten entlang der Strecke beobachtet.

Die Eisenbahnlinie überquert die laotische Grenze in einem Tunnel, der sich durch Felsen und Karstgestein schlängelt und in der Provinz Luang Namtha mündet. Hier erstrecken sich riesige Kautschuk- und Bananenplantagen über die Landschaft. Seit einem 2004 mit China unterzeichneten Wirtschaftsabkommen hat die Provinz fast ein Viertel ihres Baumbestands verloren. Doch die Abholzung von Wäldern, da sind sich die Experten einig, erleichtert die Übertragung von Krankheiten, weil sie Tiere und Menschen in immer engeren Kontakt bringt. Der Reuters-Analyse zufolge haben 85 Prozent der Provinz ein hohes Risiko für den Spillover von Krankheiten vom Tier auf den Menschen - ein doppelt so großes Gebiet wie im Jahr 2002.

Direkt in der Grenzregion liegt die Stadt Boten. Wegen ihrer Nähe zu China, den guten Verbindungen zum restlichen Laos und in andere Länder Südostasiens hat sich die für 300.000 Einwohner entworfene Stadt zu einem Drehkreuz für den illegalen Handel mit Wildtieren entwickelt. Ermittler fanden zum Beispiel 2018 sechs vom Aussterben bedrohte rote Pandas in einem Transporter. Drei der für Infektionen sehr anfälligen Tiere starben. Weil China seine Gesetze gegen Schmuggel verschärft hat und die Infrastruktur ausgebaut wurde, wird ein Anstieg des Tierschmuggels in Laos und anderen Staaten in der Region erwartet. Dies beunruhigt Epidemiologen. "Ich glaube nicht, das die Regulierung in anderen südostasiatischen Ländern ähnlich streng ist", sagt Biologe Newman. "Das Risiko, dass es einen dritten Ausbruch mit einem Corona-Virus in diesen Ländern geben wird, ist signifikant."

Vang Vieng, 260 Kilometer südlich von Boten, liegt inmitten eines spektakulären Karstgebiets und hat als Tourismusziel schnell an Bedeutung gewonnen. In jeder Richtung ragen baumbewachsene Kalksteinhügel in den Himmel. Besucher fühlen sich besonders von den in der Region lebenden Fledermäusen angezogen und warten jeden Tag auf die Abenddämmerung. Dann strömen die Tiere in riesigen schwarzen Schwaden aus den Höhlen. Doch der Karst, in dem sie leben, wird immer weiter zerstört.

Um Vang Vieng zu erreichen, fahren Passagiere von Boten aus durch weitere Tunnel Richtung Süden. Für den Bau wurde Kalkstein aus Steinbrüchen abgebaut und als Zement verarbeitet. In den zwei Jahrzehnten vor 2014 ist die Kapazität der Zementproduktion in der Region nach Angaben des US Geological Survey um fast das 20-fache gestiegen. Der für die Produktion notwendige Kalkstein gehört zu den Gesteinen, in deren einzigartigen Höhlen- und Felsformationen die Fledermäuse der Region zu Hause sind.

Die Zerstörung von Karstlandschaften verstärke das Risiko einer Virusausbreitung, sagt Roger Frutos, Forschungsdirektor am Agricultural Research Center for International Development. Wenn ihr Lebensraum gestört werde, suchten sich die Tiere neuen Unterschlupf zum Beispiel in Scheunen oder Häusern. Nahe Vang Vieng werde Reis, Zucker und Maniok angebaut. Dies biete den Fledermäusen neue Nahrungsmöglichkeiten, bringe sie aber auch in engeren Kontakt mit dem Menschen, wodurch sich das Risiko einer Übertragung erhöhe, erläutert der Wissenschafter.

Weiter südlich hält der Zug an dem neugebauten Bahnhof in der Stadt Phonhong, 60 Kilometer nördlich von der laotischen Hauptstadt Vientiane. Zwei Autostunden Richtung Westen liegt der Feuang Distrikt. Dort schaufeln Arbeiter Fledermauskot, sogenanntes Guano, das als Düngemittel verwendet wird, in einer Höhle in Säcke. In der Nähe bereitet die Frau eines Arbeiters Fledermäuse auf einem Spieß zu. Die Bewohner des Bezirks hofften auf mehr Touristen wegen der vielen Fledermäuse, die Abends die Höhlen verließen, sagt einer der Männer. 2022 hat sich die Zahl der Touristen nach Angaben der lokalen Behörden auf knapp 50.000 verdoppelt.

Während der Coronakrise testeten Wissenschafter des Institut Pasteur in Feuang 74 Einwohner, darunter Guano-Sammler, Jäger und Marktverkäufer, die Kontakt zu Fledermäusen oder anderen Wildtieren hatten. Fast 20 Prozent der Getesteten wiesen Antikörper auf. Diese Rate ist fast viermal so hoch wie der Durchschnitt der Bevölkerung von Laos. Das deute darauf hin, dass die Bewohner durch den Kontakt mit Wildtieren mehr Krankheitserregern ausgesetzt waren, schrieben die Wissenschaftler in ihrer Studie von 2021: "Der enge Kontakt erinnert uns daran, dass die Gefahr des Auftretens neuartiger Pandemien in der Region immer präsent ist."

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