Berater des US-Präsidenten legen gegen kanadischen Premier nach.
Mit einem beispiellosen Eklat hat US-Präsident Donald Trump die seit mehr als 40 Jahren bestehende G-7-Staatengruppe in eine tiefe Existenzkrise gestürzt. Die Europäer reagierten am Sonntag empört auf den nachträglichen Ausstieg Trumps aus der zunächst gemeinsam beschlossenen Abschlusserklärung des G-7-Gipfels in Kanada:
Die internationale Zusammenarbeit könne nicht von "Wutanfällen" abhängig gemacht werden, erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron.
Merkel zurückhaltend
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt sich zunächst zurück und ließ lediglich erklären, dass das Kommunique für sie weiter gelte. Dafür kritisierten andere führende deutsche Koalitionspolitiker Trump scharf. Außenminister Heiko Maas warf dem US-Präsidenten vor, "unheimlich viel Vertrauen sehr schnell zerstört" zu haben.
Die USA und die sechs anderen G-7-Staaten - darunter die wichtigsten westlichen US-Verbündeten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada - hatten sich bei dem Gipfel in La Malbaie bei Quebec trotz tief greifender Differenzen bei den Themen Handel und Klimaschutz in letzter Minute zu der achtseitigen Abschlusserklärung durchgerungen.
Zustimmung zurückgezogen
Auf dem Flug nach Singapur zum Gipfel mit dem nordkoreanischen Präsidenten Kim Jong-un zog Trump dann völlig überraschend per Twitter seine Zustimmung wieder zurück - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der G-7. Als Grund nannte er "falsche Aussagen" des kanadischen Premierministers Justin Trudeau, den er als "sehr unehrenhaften und schwachen" Gastgeber bezeichnete.
Trudeau hatte am Samstag in seiner Pressekonferenz gesagt, die US-Strafzölle gegen die EU und Kanada, die Trump mit der Wahrung der amerikanischen Sicherheitsinteressen begründet, seien "etwas beleidigend". Kanada werde seinerseits die USA mit höheren Zöllen belegen. "Denn wir Kanadier sind freundlich und vernünftig, aber wir lassen uns nicht herumkommandieren."
Gipfelerklärung
Trump hatte die Partner bereits vorher düpiert, indem er fünf Stunden vor Ende des Treffens zu dem Nordkorea-Gipfel abreiste, der aber erst am Dienstag stattfindet. Vor seinem Abflug hatte er sich trotz der tiefen Gräben im transatlantischen Verhältnis noch zufrieden gezeigt. Der Gipfel sei "ausgesprochen erfolgreich" verlaufen. Das Verhältnis zu den anderen sechs inklusive Trudeau bewertete er mit der Bestnote 10 auf einer Skala von 1 bis 10. "Das heißt aber nicht, dass ich mit allem einverstanden bin, was sie tun", fügte er vor allem mit Blick auf den Handelsstreit hinzu. Die EU sei "brutal" zu den USA. "Wir sind das Sparschwein, das jeder plündert, und das hört jetzt auf."
In der mühsam ausgehandelten Gipfelerklärung kommen die Strafzölle gar nicht vor. Aber es gibt eine Passage zum Handel, die allerdings nicht wesentlich über Gipfelformulierungen aus dem vergangenen Jahr hinausgeht.
Harsche Kritik an Trump
Merkel und Macron waren auf dem Rückflug nach Europa, als Trump seinen Ausstieg erklärte. Ein deutscher Regierungssprecher teilte nach Merkels Ankunft in Berlin am frühen Sonntagmorgen nur einen einzigen Satz dazu mit: "Deutschland steht zu dem gemeinsam vereinbarten Kommunique." Das sahen auch Macron und EU-Ratspräsident Donald Tusk so. Macron griff Trump aber auch direkt an: Wer sich nachträglich von den Vereinbarungen abwende, zeige sich als sprunghaft und haltlos, hieß es in einer Erklärung des Elysee-Palastes.
In Deutschland übernahmen die Chefs der Koalitionsfraktionen die harsche Kritik an Trump. Der US-Präsident habe der "wertebasierten Zusammenarbeit der führenden Wirtschaftsnationen einen schweren Schlag versetzt", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU). Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles nannte Trump einen Chaoten. "Donald Trump hat im Ergebnis ein Desaster bei G-7 veranstaltet und sich per Tweet von der internationalen Verantwortung verabschiedet."
Trudeau wies Anschuldigungen zurück
Trudeau ließ Trumps Anschuldigungen zurückweisen: "Wir konzentrieren uns darauf, was wir hier bei dem G-7-Gipfel erreicht haben." Trumps Wirtschaftsberater Larry Kudlow legte daraufhin im Fernsehsender CNN nach. Trudeau sei der US-Regierung in den Rücken gefallen, sagte er. Noch schärfer äußerte sich Trumps Handelsberater Peter Navarro: "Es gibt in der Hölle einen besonderen Platz für jeden ausländischen Regierungschef, der in böser Absicht Diplomatie mit Präsident Donald J. Trump betreibt und dann versucht, ihm ein Messer in den Rücken zu rammen, wenn er zur Tür hinausgeht", sagte er dem Sender Fox News. Trump habe Trudeau einen Gefallen getan, indem er zu dem Gipfel gereist sei, obwohl er wegen des Treffens mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un wichtigere Dinge zu tun gehabt habe. "Er hat ihm einen Gefallen getan, und er war sogar bereit, dieses sozialistische Kommunique zu unterzeichnen", sagte Navarro. Trudeau hingegen habe Trump hintergangen.
Zu den G-7 gehören neben den sechs führenden westlichen Wirtschaftsmächten auch Japan. Was der Eklat nun für die Zukunft der Staatengruppe bedeutet, ist noch völlig unklar. Das Format wird schon seit Jahren infrage gestellt. Seit 2008 machen ihm die G-20-Gipfel Konkurrenz, bei denen u.a. auch China und Russland dabei sind. Nur zusammen mit diesen beiden Vetomächten im UN-Sicherheitsrat könne man bei globalen Problemen weiterkommen, sagen G-7-Kritiker.
Trump schlug Aufnahme Russlands vor
Russland war 2014 nach zwölfjähriger Vollmitgliedschaft wegen der Annexion der ukrainischen Krim aus der damaligen G-8 ausgeschlossen worden. Trump schlug beim Gipfel im kanadischen La Malbaie vor, das Land wieder aufzunehmen. Chancen auf Erfolg hat der Vorstoß nicht, weil Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Kanada sich offen dagegen aussprachen, sollte es in der Ukraine keine Fortschritte geben. Der neue italienische Premierminister Giuseppe Conte ist allerdings dafür. Eine Wiederaufnahme Russlands ist nur einstimmig möglich.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat bisher aber ohnehin kein Interesse daran erkennen lassen, in den exklusiven Club zurückzukehren. Er nahm parallel zum G-7-Gipfel an einer Art Gegenveranstaltung mit Ländern wie China, Iran und Pakistan in der ostchinesischen Stadt Qindao teil.
Er nutzte das Treffen, um Vorwürfe der G-7-Mitglieder gegen ihn zurückzuweisen. Sie hatten Moskau in ihrer Abschlusserklärung dazu aufgerufen, damit aufzuhören, andere Länder zu destabilisieren. "Wir müssen dieses kreative Geschwätz beenden und zu konkreten Fragen echter Zusammenarbeit übergehen", sagte Putin. Gleichzeitig zeigte er sich offen für ein Treffen mit Trump.
Macron übernimmt G-7-Präsidentschaft
Der chinesische Präsident Xi Jinping rief zu mehr globaler Zusammenarbeit auf. Eine nur auf sich selbst gerichtete und "kurzsichtige Politik der geschlossenen Türen" müsse beendet werden, sagte er - ohne Trump namentlich zu nennen.
Im Jänner übernimmt Macron die G-7-Präsidentschaft. Er wird damit auch die weitere Diskussion über die Zukunft der G-7 steuern. Der nächste Gipfel soll im Sommer 2019 im französischen Badeort Biarritz stattfinden.