Druck wird größer

ISIS wird immer paranoider

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Die Terror-Miliz gerät in Bedrängnis und zeigt Nerven.

Nur wenig dringt noch aus dem nordirakischen Mossul nach außen: Schon 2014 kurz nach der Einnahme der Millionenstadt blockierte die Extremistenmiliz IS ("Islamischer Staat") das Mobilfunknetz, um einen Abfluss von Informationen an ihre Gegner zu verhindern.

Zahlreiche Verbote
Je enger sich der Belagerungsring um Mossul zieht und je näher die für September angekündigte Offensive zur Befreiung der Stadt rückt, desto paranoider agieren die Extremisten nach Aussage von Einwohnern. Vor einiger Zeit verboten sie Satelliten-Fernsehen, seitdem mussten auch alle Internet-Zugänge über einen vom IS kontrollierten Server laufen. Vor einem Monat schließlich beschränkte die Miliz den Zugang zum Internet weiter: Seither gibt es nur noch eine Handvoll offizieller WLAN-Center mit Wächtern, die einem beim Surfen im Web über die Schulter schauen.

Auch gegen Facebook startete die Miliz einen regelrechten Kreuzzug: An Kontrollpunkten des IS-Sicherheitsdienstes Amniya müssen Passanten ihre Handys anschalten zum Beweis, dass Facebook nicht darauf installiert ist. "Gott sei Dank weiß ich nicht einmal, was Facebook ist", berichtet ein Taxifahrer telefonisch aus der Stadt. "Aber ich war eine Woche lang eingesperrt und musste eine Strafe zahlen, weil sie Tanzmusik auf meinem Handy gefunden haben."

Mit einer Mischung aus Hoffen und Bangen warten die Menschen in Mossul auf die Offensive, die nach den Worten des irakischen Regierungsberaters Hisham al-Hashimi Ende September beginnen soll. Die Eliteeinheiten der irakischen Armee, die den Angriff führen sollen, beziehen nach und nach Stellungen rund um die Stadt, von deren großer Moschee IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi 2014 das Kalifat ausrief. Vor der Offensive mehren sich in Mossul Zeichen des Widerstands, berichteten mehrere Einwohner der Stadt, zu denen Reuters heimlich per Telefon Kontakt aufnahm. Sie alle wollten aus Furcht vor Vergeltung nicht namentlich zitiert werden.

Auf Mauern tauche der arabische Buchstabe M auf als Abkürzung für das Wort "Mukawama" (Widerstand), sagt ein Einwohner, der sich aus einer der wenigen Gegenden äußert, wo das Mobilfunknetz noch funktioniert. Manchmal seien auch zwei parallele Streifen in rot und schwarz zu sehen, die die irakische Fahne symbolisierten. "Das sind wirklich mutige Taten", erklärt der Einwohner. "Wenn sie dich erwischen, bist du tot." Andere Bewohner Mossuls berichten, die irakische Flagge sei im Juni und Juli zwei Mal auf öffentlichen Plätzen gehisst worden. IS-Anhänger hätten sie am nächsten Tag in der Früh wütend heruntergerissen. Nach dem Vorfall im Juli seien mehrere Menschen festgenommen worden, darunter einige frühere Offiziere des Heeres.

Millionenstadt
Mit einst zwei Millionen Einwohner ist Mossul die größte Stadt in der Hand des IS. Sollte sie fallen, würde dies nach Einschätzung von Ministerpräsident Haider al-Abadi den Sieg über den IS im Irak bedeuten.

Younis floh im Mai mit seiner Familie aus Mossul. Er habe das Chaos nach einem Vorstoß kurdischer und irakischer Truppen auf die Stadt ausgenutzt und einem Taxi-Fahrer 5.000 Dollar (rund 4.500 Euro) bezahlt, um die Familie zu den Stellungen der kurdischen Peschmerga im Osten der Stadt zu bringen. Seine größte Angst sei gewesen, dass die Extremisten seinen achtjährigen Sohn indoktrinierten. "Wir sind aus Mossul entkommen und haben unser Leben riskiert für meinen Sohn", sagt der Lehrer für arabische Literatur. "Ich wollte ihn davor bewahren, zum Jihadisten zu werden."

Inzwischen in Bagdad angekommen ist Younis genervt, weil sich seine Frau auch nach dem Umzug in die irakische Hauptstadt weiter voll verschleiert. Der IS schreibt den Frauen in Mossul das Tragen des Gesichtsschleiers Niqab (Nikab) vor, selbst Schaufensterpuppen sind davon nicht ausgenommen. Im Freien dürfen sich Frauen nur mit einem männlichen Vormund bewegen. "Bitte bedecke nicht länger Dein Gesicht", fleht Younis seine Frau an. "Du musst keine Angst mehr haben, Du bist ein Mensch und kein Sklave."

An der Offensive auf Mossul werden sich kurdische Peschmerga beteiligen, die ihre Stellungen im Norden und Osten der Stadt bezogen haben. Auch sunnitische Kämpfer aus der Region dürften dabei sein. Umstritten ist dagegen eine Teilnahme der Schiiten-Milizen, die vom Iran unterstützt werden. Abadi muss darüber noch entscheiden. Viele Einwohner Mossuls lehnen die Einheiten ab. Sie erinnern an Racheakte in sunnitischen Städten wie Tikrit und Falluja, als diese im vergangenen Jahr vom IS zurückerobert wurden. Die Sunniten stellen zwar im Norden und Westen des Irak, der unter der Kontrolle des IS ist, die Mehrheit der Bevölkerung. Insgesamt gibt es aber mehr Schiiten als Sunniten in dem Land.

Nach einer Vertreibung der Extremisten müsse die Stadtverwaltung mehr Autonomie erhalten, fordert der frühere Gouverneur von Mossul und Sunnit, Athil al-Nujaifi. Künftig müsse eine Polizei-Truppe, die die komplexe Mischung aus Ethnien und Religionen in der Stadt widerspiegele, für Sicherheit in der Stadt sorgen - und nicht die Armee. Nujaifi selbst führt eine Sunniten-Miliz, die sich an der Befreiung Mossuls beteiligen will. "Der rasche Vorstoß von Daesh (arabische Bezeichnung des IS) in Mossul hat eine neue Realität geschaffen", sagt er. Obwohl die Herrschaft des IS viel schlimmer sei als die frühere Regierung durch die schiitisch dominierte Führung in Bagdad würden die Menschen in Mossul eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen nicht hinnehmen, prophezeit der Lehrer Younis. "Berlin konnte nach Hitler unmöglich so bleiben wie zuvor, und das gleiche gilt für Mossul", sagt er.
 

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