Kanzlerin am Ende

Merkel verliert ihren engsten Vertrauten

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Revolte in der Unions-Fraktion: Ist Angela Merkel am Ende?

Es ist ein Signal des Zorns, nicht nur für Volker Kauder, sondern auch für Angela Merkel. Eine Art Revolte. Mehrfach hat die deutsche Kanzlerin vor der Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz für ihren Vertrauten geworben, zuletzt direkt vor der Wahl.
 
Auch CSU-Chef Horst Seehofer und der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt werfen sich für Kauder in die Bresche. Doch als gegen 16.45 Uhr bekannt wird, dass der 69-Jährige mit 112 zu 125 Stimmen gegen seinen Stellvertreter und Herausforderer Ralph Brinkhaus verloren hat, ist die Sensation perfekt. Und es ist klar: Die Abgeordneten dürften auch direkt auf Merkel gezielt haben.
 

Krisen

Zwei Regierungskrisen in den ersten Monaten der vierten Amtszeit der Kanzlerin - das war für viele Unionsleute im Bundestag zu viel. Der Ärger musste raus - und wenn es nach dem Sprichwort geht: Ich schlage den Sack und meine den Esel.
 
Was nun, Frau Merkel? Um 17.45 Uhr tritt die Kanzlerin vor die Kameras und macht in einem einminütigen Statement deutlich, welche Konsequenzen sie aus Abwahl ihres Vertrauten für sich selbst ziehen will: Keine.
 
Gewohnt ruhig sagt Merkel in die Kameras, sie habe sich dafür eingesetzt, dass Kauder weiter Fraktionschef bleiben könne, mit dem sie "sehr, sehr gut" zusammengearbeitet habe. Brinkhaus habe die Mehrheit der Stimmen bekommen, resümiert die Kanzlerin trocken. "Ich hab' ihm natürlich gratuliert." Und dann kommen die Sätze des Tages: "Das ist eine Stunde der Demokratie. In der gibt es auch Niederlagen. Und da gibt es auch nichts zu beschönigen." Dann blickt auch Merkel schon nach vorne: "Aber trotzdem möchte ich, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erfolgreich weiterarbeitet." Deshalb werde sie Brinkhaus "wo immer ich das kann auch unterstützen".
 

Bittere Niederlage

Neue Zeiten sind das in der Union. Die Kanzlerin geht demonstrativ auf die Fraktion zu. Sie weiß: Mit Brinkhaus an der Spitze könnte die Zusammenarbeit noch wesentlich schwieriger werden, als es unter Kauder manchmal der Fall war. Ihre Beinfreiheit, die angesichts der Schwäche der Koalitionspartner CSU und SPD nach der Bundestagswahl vor einem Jahr ohnehin stark eingeschränkt ist, dürfte sich noch weiter verengen. Der Unions-Innenexperte Armin Schuster (CDU) sagt, der Zeitpunkt für die absehbare Wachablösung an der Fraktionsspitze sei "nicht unbedingt geschickt gewählt" - in einer Phase, in der es in der Koalition knirsche.
 
Schon jetzt werfen Kritiker Merkel vor allem vor, sie führe viel zu wenig - auch dies dürfte nun nicht einfacher für sie werden. Hans Michelbach von der CSU macht schon klar, es habe sich bei Kauder vs. Brinkhaus zwar nicht um eine Kanzlerwahl gehandelt. Aber es sei auf alle Fälle mit einer neuen Haltung der Fraktion gegenüber dem Kanzleramt zu rechnen. Merkel wird sich bedanken.
 
Rückblende: Als die Kanzlerin um 15.02 Uhr in den Fraktionssaal geht, bekommt Seehofer, ihr ewiger Quälgeist, eine ausführliche Begrüßung - es gibt viel zu besprechen zur Zeit. Schon bevor die Sitzung dann kurz nach 15.00 Uhr beginnt, sind im Saal geraunte Hiobsbotschaften für Kauder zu hören. "50 zu 50" stehe es vor der Kampfabstimmung Kauder-Brinkhaus. Manche waren sich sogar sicher: "Brinkhaus wird gewinnen." So kommt es dann ja auch.
 
Als Dobrindt, der die Wahl geleitet hat, gegen 17.00 Uhr mit Brinkhaus vor den Fraktionssaal tritt, versuchen beide, Normalität zu verbreiten. Wie nach einer demokratischen Wahl eben. Er sagt fast überschwänglich: "Ich gratuliere Dir ausdrücklich, Ralph. Ich freue mich auf die gute Zusammenarbeit für die Zukunft."
 
Die Fraktion habe Kauder mit einem langen Applaus "für seine herausragende Arbeit der letzten 13 Jahre gedankt", sagt Dobrindt noch. Gemeinsam wolle man die "gute Arbeit zwischen CDU und CSU" in der Fraktion fortsetzen, verspricht er Richtung Brinkhaus. Auch das ist ein Signal: Nicht immer war nach der Hochphase der Flüchtlingskrise das Verhältnis zwischen CDU und CSU in der Fraktion gut. Im Streit über die Migrationspolitik der Kanzlerin hatte es sogar vor nicht langer Zeit eine getrennte Sitzung beider Fraktionsteile gegeben.
 
Brinkhaus zeigt sich dann ohne Triumph, sagt nüchtern: "Ich freue mich riesig über das Wahlergebnis." Nun gehe es darum, ganz schnell wieder an die Arbeit zu kommen. Die Fraktion habe anspruchsvolle Projekte vor sich, schiebt er noch hinterher, bevor er in den Saal zurückgeht, um bei der Wahl der restlichen Fraktionsführung dabei zu sein. "Dann sind wir morgen auch wieder dabei, das zu tun, was die Menschen von uns erwarten: nämlich an der Sache zu arbeiten."
 
Kauder ist die Nervosität schon vor der Sitzung anzusehen, sein Lächeln kann den auf ihm lastenden Druck nicht überspielen. Er setzt die Brille ab, kaut auf dem Bügel, setzt sie wieder auf. Da hilft kaum, dass Seehofer ihn freundschaftlich begrüßt. Ob es für Kauder am Ende hilfreich war, dass sich auch der umstrittene Bundesinnenminister öffentlich für ihn ausgesprochen hat? Und wie viele der CSU-Parlamentarier haben tatsächlich am Ende für Brinkhaus und gegen Kauder gestimmt? Die Wahl war geheim.
 
Brinkhaus kommt gegen 15.00 Uhr durch jenen Seiteneingang, durch den es später in die acht Wahlkabinen geht, allein in den Fraktionssaal geschlendert. "Ganz locker, alles gut", sagt der Finanzexperte der Fraktion zu Reportern. Er habe am Morgen um 8.00 Uhr noch an einer Diskussionsveranstaltung zur Finanzpolitik teilgenommen - business as usual soll das wohl zeigen. Westfalen wie er seien eben ruhig und gelassen. "Wir stimmen gleich ab, dann ist gut", schiebt er hinterher, bevor er sich unter die Abgeordneten-Kollegen mischt.
 
Auch das wird in der Union als geschickter Schachzug von Brinkhaus gewertet: Während der gefühlt ewige Vorsitzende Kauder vorne hinter der Fraktionsbank herumtigert, kann der Herausforderer unter den Kollegen bis zur letzten Minute noch das "Wir-Gefühl" demonstrieren. Auch mit diesem Argument hatte Brinkhaus seine Kandidatur begründet. Bleibt nun abzuwarten, wie reibungslos die Zusammenarbeit mit Merkel für ihn tatsächlich läuft.
 

Denkzettel

Brinkhaus wollte mit seiner Kandidatur auch ein weiteres Zeichen der Verjüngung der Partei setzen - nachdem Merkel mit Annegret Kramp-Karrenbauer eine erfolgreiche Ministerpräsidentin als Generalsekretärin in die CDU-Zentrale geholt hat. Mit ihm als jungem Fraktionschef könnte die Kanzlerin sogar auf dem Wahlparteitag in Hamburg Anfang Dezember ein weiteres Zeichen der Erneuerung setzen und so bei ihrer Wiederwahl bei den Delegierten punkten.
 
Doch erstmal ist das Wahlergebnis für Merkel mehr als nur ein schmerzhafter Denkzettel. Die Unionsfraktion ist traditionell Machtbasis jeder Kanzlerschaft. Kann sie sich nicht mehr auf den breiten Rückhalt in der Fraktion verlassen, dürfte jede halbwegs kniffelige Abstimmung im Plenum des Bundestages für sie künftig zur Zitterpartie werden.
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