USA und Europäer warnen Russland vor ''nie da gewesenen'' Sanktionen.
Washington/Kiew/Moskau. Die NATO erwartet eine umfassende Attacke der russischen Armee auf das Nachbarland Ukraine. "Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Russland einen vollständigen Angriff auf die Ukraine plant", sagte der Generalsekretär der Militärallianz, Jens Stoltenberg, am Samstagabend in den ARD-"Tagesthemen".
Der Norweger, zurzeit Gast der Münchner Sicherheitskonferenz, sprach von einem fortgesetzten militärischen Aufmarsch. "Es werden keine Truppen zurückgezogen, wie Russland das angibt, sondern es kommen neue Truppen hinzu." Es gebe außerdem Anzeichen, dass Russland sich darauf vorbereite, einen Vorwand für einen Angriff zu schaffen.
Russland hat nach westlichen Angaben weit mehr etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland Ukraine zusammengezogen. Die Führung in Moskau streitet Angriffspläne aber ab.
Stoltenberg hält trotz der drohenden Eskalation weiter an einer politischen Lösung des Konflikts fest. "Wir wollen Russland dazu bringen, den Kurs zu ändern und sich mit uns zusammenzusetzen."
Stoltenberg: "Wir helfen der Ukraine"
Auf die Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach mehr Ehrlichkeit in der Frage einer NATO-Mitgliedschaft seines Landes antwortete Stoltenberg: "Wir helfen der Ukraine, die Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Wir bieten Ausbildung, Ausrüstung und helfen so zur euroatlantischen Integration zu finden."
Eine NATO-Mitgliedschaft sei möglich, aber letztlich die Entscheidung von 30 Alliierten. Es gehe momentan weniger um eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, sondern darum, "ob wir akzeptieren, dass eine Großmacht wie Russland versucht, einem anderen Land zu diktieren, was es tun kann und nicht tun kann - mit Gewalt."
Das russische Verteidigungsministerium hatte in den vergangenen Tagen mehrfach mitgeteilt, dass nach dem Ende von Manövern Truppen zurückgezogen worden seien. Im Westen wird dagegen weiter befürchtet, dass der Kreml einen Einmarsch in sein Nachbarland in Erwägung zieht.
Als Demonstration der Stärke hat Russland unter Aufsicht von Präsident Wladimir Putin am Samstag atomwaffenfähige Raketen getestet. US-Präsident Joe Biden warnte, ein russischer Einmarsch in die Ukraine - einschließlich der Hauptstadt Kiew - sei eine Frage von Tagen. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz forderte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Moskauer Führung dringend zu Verhandlungen auf.
Sanktionsdrohungen verschärft
Westliche Regierungen verschärften unterdessen ihre Sanktionsdrohungen gegen Russland. US-Vizepräsidentin Kamala Harris warnte die Führung in Moskau auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor "nie da gewesenen" Sanktionen im Falle eines Angriffes auf die Ukraine. "Wir werden Russlands Finanzinstitutionen und Kernindustrien ins Visier nehmen." Der britische Premierminister Boris Johnson kündigte Sanktionen gegen Personen und russische Unternehmen an sowie eine Sperrung des Zugangs zu den Finanzmärkten in London. Scholz sprach von hohen Kosten - "politisch, ökonomisch und geostrategisch".
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte vom Westen mehr Hilfe gegen eine Angriff von Russland und verlangte von der NATO eine ehrliche Antwort, ob sein Land überhaupt Mitglied werden könnte. "Helft uns", sagte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstag. Gebraucht würden Waffen, Geld und Investitionen in die Wirtschaft.
"Wenn Ihr Angst habt, gebt uns billige Kredite", sagte er mit Hinweis darauf, dass die Investitionen in die ukrainische Wirtschaft angesichts der russischen Bedrohung zurückgehen. Sein Land brauche zudem Sicherheitsgarantien und Ehrlichkeit. Dies betreffe auch den Aufnahmewunsch in das westliche Verteidigungsbündnis NATO. "Wenn uns nicht alle da sehen wollen, seid ehrlich", sagt er auf der Münchner Sicherheitskonferenz in Anspielung auf die nötige Einstimmigkeit unter den NATO-Mitgliedern. "Wir brauchen ehrliche Antworten." Niemand sollte aber daran denken, dass die Ukraine ein permanenter Puffer zwischen dem Westen und Russland bleibe.