Nach Attentat

Norwegen: Polizei sucht möglichen Komplizen

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Rechtsextremer Täter kaufte für Oslo-Bombe offenbar 6 Tonnen Kunstdünger.

Nach den terroristischen Angriffen in Norwegen mit mutmaßlich rechtsextremem Hintergrund sucht die Polizei nach einem möglichen zweiten Täter. Es gebe Hinweise, dass es neben dem im Zusammenhang mit dem blutigen Doppelattentat vom Freitag festgenommenen 32-Jährigen noch einen zweiten Täter gegeben haben könnte. Dieser befände sich noch auf freiem Fuß, berichtete die Online-Ausgabe der Tageszeitung "Verdens Gang" (VG) unter Berufung auf einen Polizeisprecher. Die Polizei, die offenbar keine vorherigen Hinweise auf die Bluttaten hatte, war zunächst von einem Einzeltäter ausgegangen. Der Festgenommene hat möglicherweise Sprengsätze aus Kunstdünger hergestellt.

"Wir haben ihm Anfang Mai sechs Tonnen Dünger verkauft, was eine ziemliche Standard-Bestellung darstellt", sagte die Sprecherin des Großhändlers Felleskjöbet, Oddny Estenstad, am Samstag. Zur genauen Zusammensetzung des synthetisch hergestellten Düngers wollte sie keine Angaben machen. Man habe keinen Verdacht geschöpft, weil der mutmaßliche Attentäter den Agrarhandel "Geofarm" für Gemüse und Früchte betrieb. Die Polizei kommentierte die Angaben nicht. Sie hatte zuvor bei einer Pressekonferenz erklärt, dass bis auf weiteres keine Details zu den Anschlägen veröffentlicht werden sollen.

Aus Kunstdünger können Sprengsätze hergestellt werden. Der 32-jähriger Norweger soll am Freitag einen Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel verübt haben, bei dem sieben Menschen ums Leben kamen, und anschließend in einem politischen Jugendferiencamp auf der Insel Utöya mindestens 84 Menschen erschossen haben. Auch auf Utöya entdeckten die Ermittler Sprengstoff.

Norwegische Medien geben den Namen des Verdächtigen, der nach dem Massaker auf Utöya festgenommen wurde, mit Anders Behring Breivik an. Auf seiner Facebook-Seite ist ein Mann mit blonden Haaren zu sehen, der angibt, der Leiter eines Bio-Bauernhofs zu sein. Er beschreibt sich als "konservativ" und "christlich". Die norwegische Polizei erklärte am Samstag, der Verdächtige vertrete einen "christlichen Fundamentalismus". Medienberichten zufolge soll er außerdem Kontakte zur rechtsextremen Szene unterhalten haben.

Von der Polizei hieß es zuletzt: "Wir haben exakt übereinstimmende Zeugenaussagen darüber, dass es einen Täter Nummer zwei gibt", zitierte VG den Sprecher Einar Aas. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, das aufzuklären." Norwegische Medien hatten bereits in den vergangen Stunden Aussagen von überlebenden Teilnehmern am sozialdemokratischen Jugendcamp auf Utöya veröffentlicht, in denen von einem zweiten Schützen die Rede war, der anders als der bereits als mutmaßlicher Täter festgenommene 32-Jährige aber nicht mit einer Polizeiuniform verkleidet gewesen sei.

Der mutmaßlich Attentäter hat nach Augenzeugenberichten mehr als 45 Minuten lang auf die Teilnehmer des Ferienlagers der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF geschossen. "Die Schüsse kamen mit etwa zehn Sekunden Zwischenraum und über etwa eine Dreiviertelstunde", berichtete die 22-jährige Nicoline Bjerge Schie in der Online-Ausgabe der Zeitung "Dagbladet". Die junge Frau hatte sich selbst mit Freunden hinter einem Felsen am Wasser versteckt. Viele Jugendliche stürzten sich auch ins Wasser und versuchten, dem Angriff auf diesem Weg zu entkommen. Der mutmaßliche Täter wurde mit einem Boot der Ferienlager-Organisation auf die kleine Insel gebracht, wo gut 600 Jugendliche ihre Ferien verbrachten. Dort schoss er als erstes in eine Versammlung, bei der die Buben und Mädchen über den Anschlag in Oslo informiert werden sollten.

Im TV-Sender NRK berichtete der ebenfalls überlebende Ali al Hatem, dass zuerst eine Gruppe Jugendlicher auf den Mann zulief, der als Polizist verkleidet auf die kleine Insel Utöya gekommen war. "Er hat direkt auf alle geschossen, die auf ihn zuliefen." "Ich sah, wie Leute erschossen wurden", sagte der Überlebende Jorgen Benone. "Ich versuchte so still zu kauern wie möglich. Ich hatte mich hinter ein paar Steinen versteckt. Ich sah ihn einmal, 20 bis 30 Meter von mir entfernt." Er fürchte, dieses Grauen werde ihn nie mehr loslassen, sagte Benone. Später habe er einige Boote gesehen, aber nicht gewusst, ob er den Insassen trauen könne. "Ich wusste nicht, wem ich überhaupt noch trauen konnte."

Die norwegische Regierung warnte vor voreiligen Schlüssen. Es sei noch "zu früh, um die Motive und Gründe hinter den Angriffen zu kommentieren", und er wolle nicht über die Motive der Attentate spekulieren, erklärte Ministerpräsident Jens Stoltenberg bei einer Pressekonferenz am Samstag in der Früh. Norwegen habe Probleme mit Rechtsextremen. "Aber verglichen mit anderen Ländern würde ich nicht sagen, dass wir ein großes Problem mit ihnen haben", sagte Stoltenberg weiter. Justizminister Knut Storberget erklärte, dass das Land darauf verzichtet, nach den Anschlägen am Freitagabend die Warnstufe für Sicherheitsgefahren zu erhöhen.

Der Regierungschef, der als Chef der Arbeiterpartei das Sommercamp jährlich besuchte und einige Getötete kannte, will nach eigenen Worten weiter auf die freiheitlichen Werte seines Landes setzen. Norwegen sei "eine offene Gesellschaft, es ist eine sichere Gesellschaft, wo man eine politische Debatte führen kann, ohne bedroht zu werden". Die Anschläge würden Norwegen aber verändern, und die Regierung werde nun reagieren, damit diese Werte nicht ihn Gefahr gerieten. König Harald V. sprach von einer "unfassbaren Tragödie": "Es ist wichtig, dass wir zusammenstehen und einander stützen."

Am Samstag besuchte Stoltenberg das Gelände, auf dem einige Überlebende des Angriffs von Utöya versammelt waren. Dabei kam es zu einem Zwischenfall: Ein junger Mann sei auf dem Gelände, auf dem die Überlebenden des Angriffs versammelt waren, mit einem Messer in der Tasche gefasst worden, berichtete der öffentlich-rechtliche Fernsehsender NRK. Später stellte sich heraus, dass es sich um jemand von der Arbeiterjugend, die das Camp veranstaltete, handelte, der sich nicht sicher fühlte.

Der letzte rechtsextreme Anschlag einer dermaßen großen Dimension wurde 1995 in der US-Stadt Oklahoma ausgeführt. Damals kamen 168 ums Leben, als Timothy McVeigh den Sprengstoff in einem Laster vor einem Regierungsgebäude zündete. International herrschte Betroffenheit und Anteilnahme an den tragischen Geschehnissen in Norwegen. Auch in Österreich wurden der Anschlag und das Massaker quer durch die parteipolitischen Lager scharf verurteilt. Als "große Katastrophe" bezeichnete auch Thomas Schmidinger, Lektor am Institut für Politikwissenschaften an der Universität Wien, die Angriffe in Norwegen. Zugleich kritisierte er vorschnelle Rückschlüsse auf mögliche islamische Täter unmittelbar nach Bekanntwerden der Tragödie. "Wie manche Medien und Politiker reagiert haben, ist erschreckend. Da war sofort von Islamisten die Rede, noch bevor man ein Bild von der Lage hatte."

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