Flüchtlinge

Schweden ist nicht mehr wiederzuerkennen

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Die Flüchtlingskrise spaltet das sonst so liberale Land.

Jagdszenen im Herzen von Stockholm: Maskierte Männer hetzen Flüchtlinge durch die Straßen der schwedischen Hauptstadt. 50 bis 100 Angreifer, wutentbrannt, zu allem bereit, gingen am Freitagabend auf Wehrlose los. Zwar ist die Polizei schnell Herr der Lage, die Verfolger wurden vertrieben. Doch der Schock der Bilder sitzt tief und Schwedens offene Gesellschaft ist in ihren Grundfesten erschüttert.

Angespannte Stimmung
Die Stimmung in Schweden ist angespannter denn je. Der gewaltsame Tod der 22-jährigen Flüchtlingshelferin Alexandra Mezher, die von einem 15-jährigen Jugendlichen in einem Flüchtlingsheim erstochen wurde, lässt die Emotionen hochkochen. Die Auseinandersetzungen zum Thema Flüchtlinge werden schärfer, nicht nur verbal. "Gebt den nordafrikanischen Straßenlümmeln die Prügel, die sie verdienen", war auf den Flugzetteln zu lesen, die die Angreifer in Stockholm verteilt hatten.

"Was ist los in Schweden?", fragt sich die Tageszeitung "Expressen" fast schon hilflos angesichts der stetig steigenden Zahl der besorgniserregenden Vorfälle rund um die Flüchtlinge: brennende Flüchtlingsheime, Abschottung der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen, Kriminalität jugendlicher Flüchtlinge.

Kritik an Premier
Sowohl die linke als auch die rechte schwedische Presse macht den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven, der sich auf der Beliebtheitsskala derzeit im absoluten Umfragetief befindet, für die Situation verantwortlich. Löfven habe die Herausforderungen beschönigt, vor die er sein Land gestellt habe, lautet der Vorwurf.

"Diejenigen, die unsere Fähigkeit infrage gestellt haben, alle ankommenden Flüchtlinge integrieren zu können, wurden beschuldigt, das Spiel der Rechtsextremen zu spielen", schrieb schon im vergangenen Herbst das "Svenska Dagbladet". In einem Leitartikel nach dem Mord an der Flüchtlingshelferin legt das Mitte-rechts-Blatt jetzt nach und fordert unverblümt die Ausweisung von straffällig gewordenen Ausländern.

Nicht möglich
"Wir hätten nie gedacht, dass so etwas in Schweden möglich ist", sagt der Onkel der getöteten Helferin angesichts der Bluttat. Die Flüchtlingshelferin war selbst Tochter von Flüchtlingen aus dem Libanon. "Wir machen die Regierung und den schwedischen Ministerpräsidenten dafür verantwortlich", fügt er Onkel im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP hinzu.

Löfven war nach dem Mord sofort zum Ort des Geschehens geeilt, ein Vorort von Göteborg im Südwesten des Landes. Dort ist die Situation aufgrund der hohen Zahl der Flüchtlinge besonders angespannt. "Es gibt keine einfachen Lösungen", sagte der Regierungschef. Was die auflagenstärkste Zeitung des Landes, der liberale "Dagens Nyheter" mit den Worten kommentierte: "Löfven hat nichts zu sagen".

Abschiebungen
Die Regierung kündigte in den folgenden Tagen an, die Ausweisung von Flüchtlingen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, mit mehr Nachdruck als bisher zu verfolgen. Mindestens 60.000 Menschen wären allein für das Jahr 2015 davon betroffen.

Zwar ist der Zustrom neuer Flüchtlinge seit der Wiedereinführung der Grenzkontrollen im November merklich zurückgegangen. Trotzdem bringt die Masse der Neuankömmlinge - pro Kopf hat kein EU-Land mehr Flüchtlinge aufgenommen als Schweden - den schwedischen Wohlfahrtsstaat, dessen gesellschaftliche Grundannahmen auch als "Schwedisches Modell" bezeichnet werden, derzeit arg ins Wanken.

Engpässe
Es fehlt an Unterkünften, Lehrern und an Mitarbeitern im Gesundheitswesen. Altenheime werden geschlossen, und die Ungleichheiten zwischen den gesellschaftlichen Gruppen nehmen laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nirgends auf der Welt so schnell zu, wie in Schweden.

"Die Linke hat das nationale Element von Schweden aus ihrem Denken verbannt, weil sie Schweden als eine große moralische Instanz sehen wollte", sagt der Historiker Lars Trägardh AFP. Das habe den Weg freigemacht für rechtsextreme Parteien wie die Schwedendemokraten, die jetzt mit im Parlament sitzen.

Offiziell haben sich die Schwedendemokraten allerdings von gewalttätigen und rassistischen Gruppen distanziert. Der schwedische Geheimdienst hat diesmal auch eher Anhänger von Fußballklubs im Visier. Vor allem aus den Reihen der "Ultras" der beiden Stockholmer Clubs AIK und Djurgarden sollen die Männer gekommen seien, die in der Stockholmer Innenstadt Jagd auf die Flüchtlinge gemacht hatten.
 

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