Seenotretter:

Schwere Vorwürfe gegen libysche Küstenwache

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Flüchtlingshelfer werfen der Küstenwache vor, Menschen zurückzulassen.

Spanische Flüchtlingsretter haben vor der libyschen Küste eine tote Frau und ein totes Kleinkind in einem kaputten Schlauchboot gefunden. Eine zweite Frau wurde lebend in dem Boot entdeckt und gerettet. Die Flüchtlingshelfer der Proactiva Open Arms warfen der libyschen Küstenwache vor, die drei zurückgelassen zu haben. Am Mittwoch nahmen die Rettungsschiffe Kurs auf Spanien.

Retter der spanischen Nichtregierungsorganisation hatten das Boot, aus dem alle Luft entwichen war, etwa 80 Seemeilen (148 Kilometer) nordöstlich von Tripolis im Meer entdeckt. Die an Schock und Überhitzung leidende Überlebende und die Toten trieben auf den hölzernen Planken, die den Boden des Schlauchboots gebildet hatten.

Küstenwache weist Vorwürfe zurück

Die Retter hatten das Gebiet angesteuert, nachdem sie nach eigenen Angaben den Funkverkehr zwischen einem Schiff der libyschen Küstenwache und einem Frachtschiff über ein in Not geratenes Boot mitgehört hatten. Demnach blieb der Frachter vor Ort, bis die Küstenwache mitteilte, auf dem Weg dorthin zu sein.

Proactiva Open Arms warf den Behörden vor, andere Flüchtlinge gerettet, die zwei Frauen und das Kind aber ihrem Schicksal überlassen zu haben. Diese Darstellung wies die Küstenwache zurück. Sie sei Montagnacht zwar bei zwei Rettungsaktionen tätig gewesen. Diese hätten jedoch anderen Flüchtlingsbooten gegolten.

Demnach rettete die Küstenwache in einem Seegebiet ganz in der Nähe 165 Flüchtlinge von einem Boot, die schon seit mehr als zweieinhalb Tagen ohne Wasser und Essen auf dem Mittelmeer trieben. In einer weiter entfernten Region holte sie nach eigenen Angaben außerdem weitere 158 Flüchtlingen von einem anderen Boot.

"Definitiv niemand vergessen"

Die deutsche Journalistin Nadja Kriewald befand sich an Bord eines Schiffs der libyschen Küstenwache und bestätigte deren Darstellung. "Es wurde definitiv niemand vergessen", sagte die n-tv-Journalistin zu AFP. Der Einsatz sei "ruhig" verlaufen.

Die beiden Schiffe der Proactiva Open Arms nahmen Kurs auf Spanien, obwohl Italien sich zur Aufnahme der Frau bereit erklärt hatte, teilte die Organisation mit. Rom wolle demnach zwar die 40-jährige Überlebende aus Kamerun an Land lassen, nicht aber die beiden Leichen.

Die Frau werde nach Spanien gebracht, um sie zu beschützen und zu ermöglichen, dass sie über die Geschehnisse aussagen könne. Noch stehe sie unter Schock und könne sich nicht daran erinnern, was passiert sei. Die neue italienische Regierung fährt einen harten Kurs in der Asylpolitik.

Kapitän bezeichnet Vorfall als "Mord"

Der Kapitän des deutschen Flüchtlingsrettungsschiffs "Lifeline", Claus-Peter Reisch, bezeichnete den Vorfall am Mittwoch im Deutschlandfunk als "Mord". Es werde gemutmaßt, dass die beiden Frauen sich geweigert hätten, von der Küstenwache wieder zurück nach Libyen gebracht zu werden.

Unter dem Kommando von Reisch war die "Lifeline" im Juni mit 234 geretteten Flüchtlingen an Bord tagelang über das Mittelmeer geirrt, weil Italien und Malta ihre Häfen gesperrt hatten. Malta ließ das Schiff später zwar anlegen, beschlagnahmte es allerdings.

Reisch muss sich wegen der Rettungsaktion demnächst in Malta vor Gericht verantworten. Der Kapitän und seine Organisation werfen den EU-Staaten einschließlich Deutschland vor, mehr zur Behinderung der Seenotrettung zu unternehmen als zum Stopp des Sterbens von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer.

Libyen ist Hauptdurchgangsland für Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, die über das Mittelmeer in die EU gelangen wollen. Seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi 2011 herrscht Chaos in Libyen. In weiten Teilen haben bewaffnete Milizen das Sagen.

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