Premierministerin May will an Zeitplan für Austrittsverhandlungen festhalten.
Beim Brexit müssen sich viele in der EU wie bei einer Achterbahnfahrt vorkommen. Die überraschend von Premierministerin Theresa May angesetzten Unterhauswahlen brachten für ihre konservativen Tories ebenso unerwartet eine schwere Wahlschlappe. Sie verfügen nun über keine absolute Mehrheit mehr im Parlament. Wie es mit den Brexit-Verhandlungen jetzt weitergehen soll:
Können die Verhandlungen nun noch wie geplant starten?
Der EU-Verhandlungsführer Michel Barnier will die Gespräche über den Austrittsvertrag ab dem 19. Juni beginnen. Angesicht der Unsicherheit nach der Wahl schien er aber auch zunächst zu einer Verschiebung bereit. May bekräftigte dann am Freitagnachmittag, die Verhandlungen sollten wie geplant "in nur zehn Tagen" starten. Sie will nun mit einer Minderheitsregierung an der Macht bleiben, die von der protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) aus Nordirland unterstützt werden soll.
Wie viel Zeit ist für die Brexit-Verhandlungen?
Gemäß Artikel 50 EU-Vertrag endet die britische EU-Mitgliedschaft zwei Jahre nach dem Austrittsantrag. Dies wäre am 29. März 2019 um Mitternacht. Barnier hat bereits deutlich gemacht, dass die eigentlichen Verhandlungen bis Oktober oder November 2018 abgeschlossen werden müssen, damit die Vereinbarung von den Parlamenten auf beiden Seiten rechtzeitig ratifiziert werden kann.
Was wird zuerst verhandelt?
Barnier will in diesem Jahr drei Dinge verhandeln: den Umgang mit Millionen EU-Bürgern in Großbritannien und Briten in der EU, den Status der Grenze zu Nordirland sowie die "Austrittsrechnung" an London. Besondere Sprengkraft haben die Finanzforderungen, denn sie könnten sich nach EU-Angaben auf 40 bis 60 Milliarden Euro belaufen. Erst bei "ausreichenden Fortschritten" in den Austrittsfragen will die EU beginnen, mit London auch über die künftigen Beziehungen und ein mögliches Handelsabkommen zu reden.
Könnten die Verhandlungen notfalls verlängert werden?
Nach Artikel 50 ist das grundsätzlich möglich. Dadurch würde sich aber auch die Phase der Unsicherheit über das künftige Verhältnis zwischen EU und Großbritannien verlängern. Zudem müssten die anderen 27 EU-Länder einstimmig der Verlängerung zustimmen. Die Experten des Londoner Centre for European Reform bezweifeln, dass die EU dies tun würde. Denn "je kürzer für die Briten das Fenster zum Verhandeln ist, desto größer ist der Hebel für die EU in den Gesprächen".
Könnten die Wahlen Mays Haltung zu den Brexit-Verhandlungen ändern?
Die Premierministerin vertrat bisher einen "harten Brexit" mit Austritt aus dem Binnenmarkt und einer weitgehenden Beschränkung der Zuwanderung aus der EU. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte nach der Wahl, Mays Tories müssten "ihr rücksichtsloses Verfolgen eines harten Brexit aufgeben". Tatsächlich vertritt auch die DUP einen weniger harten Schnitt mit der EU. Denn Nordirland würde wirtschaftlich besonders hart von einer Abtrennung vom EU-Mitglied Irland getroffen.
Wie könnte ein "weicher Brexit" aussehen?
Hier sind viele Facetten denkbar. Klar ist, dass Großbritannien selbst bei einem teilweisen Zugang zum europäischen Binnenmarkt die Grundfreiheiten der EU akzeptieren müsste. Die bisher von May angestrebte Begrenzung der Einwanderung aus der EU wäre dann nicht mehr möglich. Würde Großbritannien sogar wie das Nicht-EU-Mitglied Norwegen Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), müssten die Briten auch umfangreiche Mitgliedsbeiträge an Brüssel zahlen - für viele Brexit-Hardliner bei den Tories ist dies ausgeschlossen.