Brigadegeneral a. D. Erich Vad

Ex-Merkel-Berater: Russische Armee nicht unterschätzen

Teilen

Eine Befreiung des Donbas sei militärisch unmöglich. ''Dafür sind die Russen zu stark, sie haben am Boden und in der Luft die militärische Dominanz. Die Chance der Ukrainer besteht darin, den Konflikt in die Länge zu ziehen.''

Berlin/Kiew (Kyjiw)/Moskau. Der frühere militärpolitische Berater der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Brigadegeneral a. D. Erich Vad, hat vor einer Unterschätzung der russischen Streitkräfte in der Ukraine gewarnt. Vad räumte gegenüber der konservativen Schweizer Wochenzeitung "Weltwoche" ein, dass er das russische Militär anfangs überschätzt habe und davon ausgegangen sei, dass die russische Armee nach Kiew durchmarschieren würde.

"Ich habe sie überschätzt und den Widerstandswillen der Ukrainer unterschätzt. Heute läuft man allerdings Gefahr, die Russen zu unterschätzen", sagte Vad. Es seien die Russen, die derzeit bestimmten, wo mit welchen Kräften zugeschlagen werde.

Befreiung des Donbas sei militärisch unmöglich

"Sie gehen im Donbas auf einer circa 500 Kilometer breiten Front langsam vor, mit 100.000 Mann." Für die Ukrainer sei es nun wichtig, nicht auf den entscheidenden Gegenschlag mit konventionellen, insbesondere schwer gepanzerten Kräften zu setzen. Eine Befreiung des Donbas sei militärisch unmöglich. "Dafür sind die Russen zu stark, sie haben am Boden und in der Luft die militärische Dominanz. Die Chance der Ukrainer besteht darin, den Konflikt in die Länge zu ziehen, die Kosten für die Russen hochzutreiben und sie abzunutzen. Am Ende kann das zum Sieg führen."

Ein ehemaliger Söldner der russischen Wagner Gruppe hält die russischen Truppen hingegen für "schlecht vorbereitet". Das Scheitern des russischen Militärs bei der Eroberung der ukrainischen Hauptstadt sei unvermeidlich gewesen, da es in den vorangegangenen Jahren nie direkt einem mächtigen Feind gegenüberstand sei, so Marat Gabidullin gegenüber Reuters. Gabidullin nahm laut Nachrichtenagentur an Missionen der Wagner Gruppe auf Befehl des Kremls in Syrien und an einem früheren Konflikt in der Ukraine teil.

Moskaus Beteiligung trug dazu bei, das Blatt im Syrienkrieg zugunsten von Machthaber Bashar al-Assad zu wenden. Russlands Militär beschränkte sich laut Gabidullin jedoch hauptsächlich auf Angriffe aus der Luft, während es sich auf Wagner-Söldner und andere Stellvertreter verließ, um den Löwenanteil der Kämpfe am Boden zu übernehmen. "Ich habe genug von ihnen in Syrien gesehen ... (das russische Militär) hat nicht direkt am Kampf teilgenommen", sagte er.

Rückschläge Russlands in der Ukraine

Auch die Aufgabe des russischen Militärs ist laut dem Ex-Söldner in Syrien einfacher gewesen. Seine Gegner - der "Islamische Staat" (IS) und andere Milizen - verfügten weder über Flugabwehrsysteme noch über Artillerie. Der Kampf gegen die Ukraine sei etwas anderes. "Sie waren völlig überrascht, dass die ukrainische Armee so erbittert Widerstand geleistet hat und dass sie einer echten Armee gegenüberstanden", sagte Gabidullin über die Rückschläge Russlands in der Ukraine. Der 55-Jährige verließ das Unternehmen im Jahr 2019 und veröffentlicht nun in Frankreich ein Buch über seine Kämpfe mit der Wagner Gruppe.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, er wisse nicht, wer Gabidullin sei und ob er jemals Mitglied privater Militärunternehmen gewesen sei. Bei einer unabhängigen Überprüfung seiner Identität durch Reuters wurden Gabidullins Angaben jedoch bestätigt. Mitglieder der Wagner-Gruppe wurden von Menschenrechtsgruppen und der ukrainischen Regierung beschuldigt, seit 2014 Kriegsverbrechen in Syrien und der Ostukraine begangen zu haben. Gabidullin sagte, er sei nie an derartigen Vergehen beteiligt gewesen. 

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.