Ukraine-Krieg

Experte: Bidens Sicherheitsberater "weiß nicht was er tut"

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Der einflussreiche Ökonom und Ex-Spitzendiplomat Anders Åslund hat vernichtende Kritik an der Ukraine-Politik der US-Regierung geübt. 

 "Jake Sullivan und seine engen Mitarbeiter wissen nicht, was sie tun", sagte Åslund bei einem Vortrag in Wien mit Blick auf den Nationalen Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden. Sullivan habe nämlich die Halbinsel Krim als "rote Linie" für Kiew definiert. Dabei sei genau diese "zentral dafür, um den Krieg zu gewinnen", so Åslund.

Bidens Sicherheitsberater befürchte nämlich, dass Russland einen Angriff auf die im Jahr 2014 annektierte Halbinsel oder eine Zerstörung der von Russland illegal errichteten Krim-Brücke von Kertsch mit dem Einsatz von Atomwaffen beantworten werde, sagte der in Washington lebende frühere schwedische Botschafter in Moskau. Deshalb blockiere Sullivan die Lieferung der Raketensysteme ATACMS oder Taurus, "mit denen die Brücke zerstört werden könnte". Ein solcher Schlag würde aber "eine grundlegende Verschiebung" im Krieg bewirken, erläuterte Åslund, der als einer der besten Kenner Russlands und der Ukraine gilt und in beiden Ländern jahrelang als Präsidentenberater und Topmanager tätig war.

Verhandlungen keine Kriegsoption  

Åslund äußerte sich in einem Vortrag vor Spitzendiplomaten und Experten am Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES) in Wien. In einem vom Ex-Verteidigungsminister Werner Fasslabend (ÖVP) und dem früheren OSZE-Ukraine-Vermittler Martin Sajdik geführten Gespräch machte der schwedische Ex-Diplomat deutlich, dass Verhandlungen keine Kriegsoption sind. Kreml-Chef Wladimir Putin "hat nämlich mehr als deutlich gemacht, dass er die Existenz der Ukraine nicht akzeptiert". Einen Waffenstillstand würde er somit nur nützen, um Kräfte für einen neuerlichen Angriff zu sammeln. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe diesbezüglich auch keine Entscheidungsgewalt, denn "jeder" in der Ukraine wisse: "Wenn wir diesen Krieg verlieren, dann gibt es uns als Nation nicht mehr."

Von den USA erwartet der Experte heuer keine finanzielle Unterstützung der Ukraine mehr. "Was das amerikanische Geld betrifft, so glaube ich nicht, dass es noch kommt." US-Präsident Biden werde nämlich die veranschlagten Ukraine-Hilfsgelder nicht durch das republikanisch kontrollierte Repräsentantenhaus bringen. Åslund sieht aber einen alternativen Geldtopf, die rund 300 Milliarden Dollar (274,07 Mrd. Euro) an eingefrorenen russischen Zentralbankgeldern. Schon im Februar könnte im Rahmen der G7-Staaten ein Anlauf dazu unternommen werden. Während Biden diesbezüglich umgeschwenkt sei, lege sich insbesondere Deutschland noch quer ohne plausible Gründe dafür zu haben, so Åslund. Dieses mache der Ukraine auch mit seinem Zaudern bei Waffenlieferungen das Leben schwer.

Hingegen rechnet Åslund damit, dass die Europäische Union ihre Finanzzusagen an die Ukraine erfüllen wird. "Wenn nicht anders, dann kann man das Geld vom Europäischen Stabilitätsmechanismus nehmen, in dem noch 80 Milliarden Euro liegen", sagte er. Überhaupt habe die Ukraine im Vorjahr genug Reserven ansammeln können, um das erste Quartal ohne ausländische Finanzspritzen auszukommen. Bis auf weiteres werde das Land aber etwa 40 Milliarden Dollar an ausländischen Zuwendungen im Jahr benötigen, sagte der in Washington lebende Ökonom.

Staat und Wirtschaft  funktionieren

Staat und Wirtschaft in der Ukraine würden "erstaunlich gut funktionieren", sagte Åslund, der unter anderem Chef der ukrainischen Staatsbahn war. Korruption sei auf zentraler Ebene kaum noch ein Problem, und die Steuermoral sei paradoxerweise wegen der Abschaffung von Finanzprüfungen gestiegen. Unternehmer müssten jetzt nämlich keine Angst mehr vor (in der Vergangenheit oft als politische Waffe eingesetzten) Prüfungen nach Steuerzahlungen mehr haben. Ein wesentlicher Fortschritt sei auch, dass sich die Ukraine - durch den Einsatz der britischen Storm-Shadow-Raketen - im September einen Korridor für Exporte auf dem Seeweg erkämpft habe.

Der Zustand der russischen Wirtschaft sei hingegen schlechter als von der Führung im Kreml dargestellt. Die offiziellen Wachstumszahl von 3,5 Prozent im Vorjahr "glaube ich nicht", sagte Åslund. Tricksereien mit der Statistik seien nämlich "ganz einfach" zu bewerkstelligen, indem die Inflation niedriger dargestellt werde als sie tatsächlich ist. In Wirklichkeit sei die russische Wirtschaft seit dem Jahr 2014 nicht mehr gewachsen, und das Durchschnittseinkommen habe sich seit 2013 von 1.200 auf 600 US-Dollar halbiert. "Das ist ein großer Rückgang. Sehr viele Russen können es sich nicht mehr leisten, ins Ausland zu reisen."

Einen Zusammenbruch Russlands unter der Kriegslast sieht Åslund nicht am Horizont. Kriegsausgaben von geschätzt zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts seien noch keine umfassende Anstrengung. Er verwies diesbezüglich auf die USA unter Präsident Ronald Reagan (1981-89) mit Verteidigungsausgaben von sechs Prozent des BIP. "Die russische Wirtschaft wird nicht wegen der Sanktionen zusammenbrechen", sagte der Experte weiter. Schließlich habe sich "die halbe Welt" den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen. Freilich seien die Öl- und Gaseinnahmen eingebrochen, und das Land müsse wegen der massiv geschrumpften Geldreserven sparen. "Russland kann sich nicht mehr als ein Budgetdefizit von 2,5 Prozent leisten." Solange es aber keine sozialen Unruhen gebe, werde der Kreml seinen Kurs fortsetzen, so Åslund. "Ich denke, dass Putin einen schlechten Krieg einem schlechten Frieden vorzieht."

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