In der Schlacht um die strategisch wichtige ostukrainische Industriestadt Sjewjerodonezk sind die russischen Streitkräfte laut der Regionalregierung erhebliche vorangekommen.
Sie kontrollierten inzwischen den größten Teil der Stadt, teilte der Gouverneur von Luhansk, Serhij Gajdaj, am Mittwoch mit. Dem Sender RBC-Ukraine sagte er, die ukrainischen Soldaten hätten sich angesichts des gewaltigen russischen Ansturms im Laufe des Tages an den Stadtrand zurückziehen müssen.
"Wir kontrollierten jetzt wieder nur noch die Außenbezirke der Stadt", so Gajdaj in einem Online-Beitrag. Die Kämpfe gingen aber weiter. "Man kann unmöglich sagen, dass die Russen die Stadt vollständig kontrollieren."
Die Zwillingsstadt Lyssytschansk sei schweren Bombardements ausgesetzt, führte der Gouverneur online weiter aus. Die beiden Städte befinden sich in der Region Luhansk, die im Osten der Ukraine liegt und zusammen mit der Region Donezk dort den Donbass bildet. Das russische Militär hat den Fokus seines am 24. Februar begonnenen Angriffs auf die Ukraine in den Osten des Landes verlegt, nachdem es in anderen Gebieten einige empfindliche Rückschläge einstecken musste, etwa als es im März vor den Toren der Hauptstadt Kiew zurückgeschlagen wurde.
Das Hauptziel Russlands in den kommenden Tagen bestehe darin, Sjewjerodonezk einzunehmen und damit die strategisch wichtige Straße von den Städten Bachmut und Lyssytschansk vollständig abzuschneiden, sagte Gajdaj. "Die Kämpfe werden sehr heftig sein." Ein Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums sagte, Russland habe in einigen Gebieten von Sjewjerodonezk zehn Mal mehr Ausrüstung aufgefahren als die ukrainischen Einheiten. Reuters konnte die Angaben über die Entwicklung nicht unabhängig überprüfen.
Kriegsverbrechen: Selenskyj kündigt "Buch der Henker" an
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte ein Informationssystem an, um Daten über mutmaßliche russische Kriegsverbrecher zu erfassen. Im "Buch der Henker" sollten bestätigte Angaben über Kriminelle aus der russischen Armee zusammengetragen werden, erklärte er in einer Videoansprache. "Es handelt sich um konkrete Fakten zu konkreten Personen, die sich konkreter, grausamer Verbrechen gegen Ukrainer schuldig gemacht haben." Selenskyj verwies dabei auf mutmaßliche Verbrechen in dem Ort Butscha bei Kiew. Russische Beamte haben die Bilder der Ereignisse in Butscha als "Fälschungen" abgetan, die von den ukrainischen Behörden inszeniert wurden, nachdem die russischen Streitkräfte die Stadt Ende März verlassen hatten. Westliche Staaten weisen das zurück und sehen massive Menschenrechtsverletzungen. Deutschland hat Hilfe bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen angeboten.
Nach Angaben der ukrainischen Staatsanwaltschaft wurden seit Beginn der Offensive Russlands in der Ukraine am 24. Februar mehr als 12.000 mutmaßliche Kriegsverbrechen registriert, an denen mehr als 600 Verdächtige beteiligt waren. Selenskyj sagte, es sei ein Schlüsselelement seines langjährigen Versprechens, russische Soldaten zur Rechenschaft zu ziehen, die für Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen verantwortlich seien.
Die russische Führung spricht von einer "Spezialoperation" im Nachbarland. Die Ukraine und westliche Staaten werfen Moskau einen Angriffskrieg vor, der mittlerweile Zehntausende Menschen das Leben gekostet hat. Nach Angaben aus russischen Polizeikreisen sollen mehr als 1.000 gefangen genommene ukrainische Soldaten für Ermittlungen nach Russland gebracht worden seien. Es handle sich um Soldaten, die in Mariupol ihre Waffen niedergelegt hätten, meldet die Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf die Polizeikreise. Später sollten auch weitere ukrainische Gefangene nach Russland gebracht worden. Einige russische Abgeordnete haben verlangt, die ukrainischen Soldaten aus Mariupol vor Gericht zu stellen.