Jahrzehntelang undenkbar

Schweden und Finnland denken über NATO-Mitgliedschaft nach

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Eine mögliche NATO-Erweiterung bis an die eigenen Grenzen, wie es bei Finnland der Fall wäre, sieht der Kreml als aggressive Bedrohung. 

Dies hat Wladimir Putin vermutlich nicht erreichen wollen mit seinem Angriff auf die Ukraine: Ob als "historisch" bezeichnete Waffenexporte oder eine nie gekannte Zustimmung zu einer möglichen NATO-Mitgliedschaft - innerhalb weniger Tage ist in Finnland und Schweden, die traditionell eine Neutralitätspolitik verfolgen, eine neue Ära sicherheitspolitischen Denkens angebrochen.

Ein NATO-Beitritt galt für die beiden skandinavischen Länder jahrzehntelang als ausgeschlossen. Der westlichen Allianz sind Finnland und Schweden bisher als sogenannte Partnerstaaten verbunden, gehören der NATO aber nicht an. Doch das könnte sich ändern: Niemals zuvor waren beide Länder nach Ansicht von Analysten so nah davor, den historischen Schritt in das Bündnis zu gehen.

"Alles ist möglich im Moment. Und das Signal der NATO-Mitgliedsländer ist, dass ein Beitritt sehr schnell vollzogen werden könnte", sagt der Experte Zebulon Carlander. Der Autor eines Buches über die schwedische Sicherheitspolitik ist überzeugt: "Das hängt jetzt alles nur von den politischen Entscheidungen in Stockholm und Helsinki ab."

Waffenlieferungen an Ukraine

Erste - vor kurzem noch undenkbare - Entscheidungen wurden schon getroffen: Ebenso wie Deutschland vollzog die Regierung in Helsinki einen historischen Kurswechsel und beschloss Waffenlieferungen an die Ukraine. Dabei handelt es sich um 1.500 Raketenwerfer, 2.500 Sturmgewehre, Munition und 70.000 Feldrationen. "Das ist eine historische Entscheidung für Finnland", sagte Ministerpräsidentin Sanna Marin.

Auch Schweden hat mit dem Grundsatz gebrochen, keine Waffen in Konfliktgebiete zu liefern. Neben Lebensmittelrationen und Schutzhelmen schickt Stockholm der Ukraine unter anderem rund 5000 Panzerabwehrwaffen. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass Schweden sich zu solch einer Lieferung durchringt. Zuletzt sei dies im Winterkrieg 1939 geschehen, sagte Regierungschefin Magdalena Andersson. Damals unterstützten die Schweden ihr Nachbarland Finnland, das von der UdSSR angegriffen wurde.

Neben den Waffenlieferungen steht in beiden Ländern auch das Verhältnis zur NATO derzeit im Mittelpunkt der Diskussionen: Am Dienstagnachmittag stand in Finnland, das sich eine 1.340 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt, eine Parlamentsdebatte an. Auslöser war eine Petition, die ein Referendum über einen Beitritt des Landes zu dem Militärbündnis fordert. Da die Petition innerhalb weniger Tage die notwendige Anzahl von 50.000 Unterschriften erreicht habe, sei es "sinnvoll, die Haltungen der Parteien" zu einer NATO-Mitgliedschaft zu erörtern, erklärte Ministerpräsidentin Marin.

In der Bevölkerung jedenfalls hat bereits ein Umdenken stattgefunden. 53 Prozent der Finnen sind laut einer am Montag veröffentlichten Umfrage nun für einen NATO-Beitritt. Charly Salonius-Pasternak vom Finnischen Institut für Internationale Angelegenheiten bezeichnete das Ergebnis als "völlig historisch und außergewöhnlich". Noch im Jänner hatten sich nur 28 Prozent der Finnen für eine NATO-Mitgliedschaft ausgesprochen.

Auch im Nachbarland Schweden hat sich die Meinung seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine deutlich geändert: 41 Prozent der Befragten sprechen sich laut einer im Fernsehsender SVT veröffentlichten Umfrage zufolge derzeit für einen NATO-Beitritt aus - so viele wie nie zuvor.

Bedrohung für Russland

Für Moskau wäre ein NATO-Beitritt Schwedens und - wegen der gemeinsamen Grenze vor allem Finnlands - ein Affront. Die Osterweiterung der NATO in den vergangenen Jahren ist eines der umstrittensten Themen zwischen dem Kreml und dem Westen, auch der Ukraine-Krieg wird von Moskau mit Verweis auf diesen Streit geführt.

Sollten Schweden und Finnland in die NATO eintreten, werde dies "schwere militärische und politische Gegenmaßnahmen" zur Folge haben, warnte das russische Außenministerium. Eine mögliche NATO-Erweiterung bis an die eigenen Grenzen, wie es bei Finnland der Fall wäre, sieht der Kreml als aggressive Bedrohung.

Finnlands Präsident Sauli Niinistö erinnerte in diesem Zusammenhang erst Mitte Februar in einem "Spiegel"-Interview an eine Aussage von Putin aus dem Jahr 2016. Dieser habe gesagt: "Wenn wir derzeit über die Grenze schauen, sehen wir auf der anderen Seite einen Finnen. Wenn Finnland der NATO beitritt, sehen wir auf der anderen Seite einen Feind." 

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