Leichen in einer einzigen Straße gefunden

Mindestens 20 Tote nach russischem Abzug bei Kiew entdeckt

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In zivil gekleidete Todesopfer in einer einzigen Straße in Butscha aufgefunden.

Kiew (Kyjiw)/Moskau. Nach dem Rückzug der russischen Truppen aus dem Kiewer Vorort Butscha sind dort mindestens 20 Leichen entdeckt worden. Die Todesopfer, die zivile Kleidung trugen, wurden in einer einzigen Straße gefunden, wie ein AFP-Journalist am Samstag berichtete. Einem der Männer waren die Hände gefesselt. Eine andere Leiche wies offenbar eine große Kopfwunde auf. Die leblosen Körper der Männer lagen über mehrere hundert Meter verstreut auf einer Straße in einem Wohngebiet des Vororts.

Zwei Leichen lagen neben Fahrrädern, eine andere neben einem verlassenen Auto. Die russischen Truppen hatten sich in den vergangenen Tagen aus mehreren Städten in der Nähe von Kiew zurückgezogen, nachdem ihr Versuch, die Hauptstadt einzukesseln, gescheitert war. Die Ukraine erklärte, der nordwestlich von Kiew gelegene Vorort Butscha sei "befreit" worden. Die Kleinstadt wurde durch die russischen Angriffe verwüstet. Wohnhäuser wurden durch Granatenbeschuss beschädigt und auf den Straßen waren zerstörte Autos zu sehen.

Kiew: Russland greift verstärkt den Osten des Landes an

Das russische Militär konzentriert seine Angriffe nach ukrainischen Angaben auf die östlich gelegenen Gebiete der Ukraine. Es gebe Luftangriffe auf die Städte Mariupol, Charkiw und Tschernihiw, sagte Präsidentenberater Olexij Arestowytsch am Samstag im ukrainischen Fernsehen. Neben der Rüstungsindustrie seien auch Wohngebiete betroffen.

Der "Feind" versuche, Tschernihiw in ein zweites Mariupol zu verwandeln, meinte Arestowytsch. Die Hafenstadt Mariupol ist in den vergangenen Wochen schwer zerstört worden. Tschernihiw sei aber noch über den Landweg zu erreichen. "Die Einwohner können die Stadt verlassen."

Mehr als 30 Dörfer zurückerobert

Dagegen seien im Norden und Nordosten russische Soldaten in Richtung Staatsgrenze gedrängt worden, sagte Arestowytsch. Ukrainische Truppen hätten rund um Kiew mehr als 30 Dörfer zurückerobert. Präsidentenberater Michailo Podoljak hatte zuvor von einem "schnellen Rückzug" der russischen Soldaten im Norden berichtet. Moskau wolle "im Osten und im Süden Fuß fassen, um seine Bedingungen hart zu diktieren", so Podoljak. Die Ukraine brauche nun "schwere Waffen", um in besetzte Gebiete in diesen Regionen vorzustoßen "und die Russen so weit wie möglich zurückzudrängen". Zuvor hatte auch Präsident Wolodymyr Selenskyj die Befürchtung geäußert, dass die Invasoren ihre Gangart im Osten des Landes verschärfen würden. "Russische Soldaten werden in den Donbass geholt. Genauso in Richtung Charkiw", erklärte der Staatschef in einer Videoansprache in der Nacht auf Samstag. "Im Osten unseres Landes bleibt die Lage sehr schwierig."

Die Behörden erhoben indes schwere Vorwürfe gegen die Invasoren. Präsident Selenskyj sagte, die abziehenden Truppen hätten Minen hinterlassen. "Sie verminen dieses Territorium. Häuser werden vermint, Ausrüstung wird vermint, sogar Leichen", sagt Selenskyj, ohne Beweise vorzulegen. Im nordwestlich von Kiew gelegenen Vorort Butscha gab es Hinweise auf Kriegsverbrechen. Ein AFP-Journalist berichtete, in Butscha seien in einer einzigen Straße mehr als 20 Leichen gefunden worden. Sie alle hätten zivile Kleidung getragen. Einem der Männer waren die Hände gefesselt. Eine andere Leiche wies offenbar eine große Kopfwunde auf. Die leblosen Körper der Männer lagen über mehrere hundert Meter verstreut auf einer Straße in einem Wohngebiet des Vororts.

Ukrainische Truppen rücken weiter vor

Nach britischen Geheimdienstinformationen rücken ukrainische Truppen in der Nähe der Hauptstadt Kiew weiter auf russische Truppen vor, die auf dem Rückzug sind. Nach einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums von Samstag in London dauern auch Versuche der Ukrainer an, am nordwestlichen Rand der Hauptstadt von Irpin in Richtung Bucha und Hostomel vorzustoßen.

Vom wichtigen Frachtflughafen Hostomel, der seit Beginn des Krieges am 24. Februar umkämpft ist, hätten sich die Russen inzwischen zurückgezogen, hieß es weiter. Auch entlang der östlichen Achse seien mehrere Dörfer von ukrainischen Einheiten zurückerobert worden, ebenso wie eine wichtige Straße in Charkiw..

Explosionen in einem Tanklager

Laut ukrainischem Generalstab wurden auch die russischen Truppen aus der Sperrzone um das ehemalige Kernkraftwerk Tschernobyl und aus den angrenzenden Gebieten in Belarus zurückgezogen. Sie sollten augenscheinlich in das russische Gebiet Belgorod verlegt werden, von wo der Vorstoß nach Charkiw erfolgt. Das britische Militär ging aber davon aus, dass die Explosionen in einem Tanklager und einem Munitionsdepot in Belgorod die Versorgung der russischen Truppen vor Charkiw bremsen. Wegen des Angriffs leitete die russische Justiz am Samstag ein Strafverfahren gegen das ukrainische Militär ein. Der Vorwurf laute auf "Terroranschlag".

Unterdessen gab das Rote Kreuz die Hoffnung auf eine Evakuierung der von der russischen Armee in Schutt und Asche gelegten Hafenstadt Mariupol nicht aus. Man werde am Samstag einen neuen Versuch starten, um Zivilisten aus der Stadt zu bringen. Am Freitag musste ein Konvoi von 54 ukrainischen Bussen und Autos des Roten Kreuzes aus Sicherheitsgründen allerdings umkehren, auch zuvor schon waren Evakuierungsversuche gescheitert. Wiederholt waren geplante Feuerpausen nicht eingehalten worden. Die Menschen, die es doch irgendwie aus Mariupol nach Saporischschja geschafft haben, berichteten von Schikanen. Russische Soldaten hätten sie wiederholt aufgehalten und nach ukrainischen Kämpfern gesucht.

Mehrere Großstädte angegriffen

Russische Truppen hatten in der Nacht auf Samstag erneut mehrere Großstädte im Süden des Landes mit Raketen angegriffen, darunter Dnipro, Poltawa, Krementschuk und Krywyj Rih. Nach russischen Angaben handelte es sich um militärische Ziele wie etwa Militärflugplätze. Trotz der Raketenangriffe - zum Teil von Flugzeugen aus - behauptet die ukrainische Luftwaffe nach eigenen Angaben die Kontrolle über den Luftraum des Landes. "Der Feind hat den ukrainischen Himmel nicht kontrolliert und kontrolliert ihn nicht", betonte Generalleutnant Mykola Oleschtschuk.

Das US-Verteidigungsministerium will der Ukraine inzwischen weitere Waffen im Wert von 300 Millionen Dollar (270 Millionen Euro) zukommen lassen. Unter anderem soll das neue Paket verschiedene Drohnen, Raketensysteme, gepanzerte Fahrzeuge, Munition, Nachtsichtgeräte, sichere Kommunikationssysteme, Maschinengewehre, medizinische Güter und die Bereitstellung von kommerziellen Satellitenbildern umfassen, wie das Pentagon am Freitagabend mitteilte.

Offenbar wollen die USA zusammen mit Verbündeten auch Panzer aus sowjetischer Produktion an die Ukraine liefern. Diese sollten die Verteidigung in der Donbass-Region stärken, schreibt die "New York Times" unter Berufung auf einen US-Beamten. Die Panzer sollten bald dorthin gebracht werden. Das US-Verteidigungsministerium lehnte einen Kommentar ab, das US-Präsidialamt gab zunächst keine Stellungnahme ab.

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