Nach der Eroberung der strategisch wichtigen Stadt Lyssytschansk im ostukrainischen Gebiet Luhansk hat Russland die Fortsetzung der Kämpfe in anderen Teilen des Nachbarlandes angekündigt.
"Die Streitkräfte der Russischen Föderation setzen die militärische Spezial-Operation fort", sagte Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Montag bei einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin. In Moskau wird der Krieg gegen die Ukraine offiziell als "Spezial-Operation" bezeichnet.
Mit der Einnahme von Lyssytschansk und der damit verbundenen Kontrolle über das ganze Gebiet Luhansk hat der Kreml eines seiner wichtigsten Kriegsziele erreicht. Im benachbarten Gebiet Donezk hingegen kontrollieren die Ukrainer noch immer weite Teile. Bei den Kämpfen in Luhansk seien insgesamt mehr als 2200 ukrainische Soldaten getötet und mehr als 3200 verletzt worden, sagte Schoigu. Das ließ sich nicht unabhängig überprüfen. Zu Verlusten in den eigenen Reihen machte Moskau keine Angaben.
Putin erklärte, russische Soldaten, die an der Eroberung von Luhansk beteiligt gewesen sind, sollten sich nun erst einmal "ausruhen", um Kräfte für weitere Kämpfe zu sammeln. Der Kremlchef zeichnete zudem zwei Generäle mit dem Orden "Held Russlands" aus.
Nach der vollständigen Einnahme der Region Luhansk fürchtet die Ukraine nun, dass russische Streitkräfte verstärkt das Gebiet um Donezk ins Visier nehmen. Vor allem die Städte Slowjansk und Bachmut würden voraussichtlich angegriffen, sagte der Gouverneur der ostukrainischen Region Luhansk, Serhij Hajdaj, der Nachrichtenagentur Reuters am Montag. Russland versuche, die vollständige Kontrolle über den Donbass zu erringen. Dieses Gebiet an der Grenze zu Russland besteht aus den ukrainischen Regionen Luhansk und Donezk. Dort konzentriert sich seit geraumer Zeit die russische Offensive.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte an, verloren gegangenes Territorium mit Hilfe westlicher Waffen zurückerobern zu wollen. Dazu werde die Ukraine vor allem US-Raketen mit größerer Reichweite einsetzen, sagte Selenskyj in seiner nächtlichen Video-Ansprache. "Aber dass wir das Leben unserer Soldaten, unserer Bevölkerung schützen, ist genauso wichtig", sagte der Präsident. "Wir werden die Mauern wieder aufbauen, wir werden das Land zurückgewinnen."
Gouverneuer Hajdaj sagte, der Verlust Lyssytschanks sei schmerzhaft, aber nicht kritisch. "Es tut sehr weh, aber es bedeutet nicht, den Krieg zu verlieren." Für ihn persönlich sei der Verlust der gesamten Region Luhansk etwas Besonderes. "Dies ist das Heimatland, in dem ich geboren wurde, und ich bin auch das Oberhaupt der Region." In militärischer Hinsicht sei es schlecht, Positionen aufzugeben, räumte der Gouverneur ein. Er unterstrich aber: "Wir müssen den Krieg gewinnen, nicht die Schlacht um Lyssytschansk." Der Rückzug aus der einstigen Großstadt sei "zentralisiert" gewesen, sagte Hajdaj. Damit deutete er an, dass der Rückzug geplant und ordentlich vonstattengegangen sei. Die ukrainischen Soldaten seien andernfalls Gefahr gelaufen, eingekesselt zu werden.
In dem wochenlangen Kampf um Lyssytschansk seien russische Truppen zusammengezogen worden, die an anderen Fronten hätten eingesetzt werden können, sagte Hajdaj. Das habe den ukrainischen Streitkräften die Möglichkeit gegeben, sich in der Region Donezk zu verschanzen, um es dort "den Russen schwerer zu machen". Die russische Taktik werde dieselbe sein wie andernorts. "Sie werden mit ihrer Artillerie auf alles schießen, aber es wird schwierig für sie sein, vorwärts zu kommen."
Er rechne nach der Einnahme von Luhansk nicht damit, dass Russland seine Soldaten nun vollständig an irgendeine Front verlegen werde, weil sie die Linie halten müssten, sagte Hajdaj. "Wenn sie ihre Positionen verlassen, können die Unseren eine Art Gegenoffensive starten." Für die russischen Truppen bleibe die Region Donezk aber das "Ziel Nummer eins", sagte Hajdaj. "Slowjansk und Bachmut werden unter Beschuss kommen - Bachmut wird bereits sehr massiv beschossen." Bachmut, Slowjansk und das nahe gelegene Kramatorsk liegen südwestlich von Lyssytschansk und sind die wichtigsten Städte, die den russischen Streitkräften in Donezk standhalten.
Gouverneur Hajdaj bekräftigte die Forderung nach mehr Waffen von westlichen Verbündeten, die zu spät verstanden hätten, was in der Ukraine geschehe. Die Streitkräfte seines Landes könnten eine Gegenoffensive beginnen, wenn sie über ausreichend Langstreckenwaffen verfügten, um sie den russischen Truppen entgegenzusetzen. "Sie schießen einfach rund um die Uhr aus der Ferne auf unsere Stellungen."
Über der Schlangeninsel weht indes wieder die ukrainische Flagge. Nach dem Abzug der russischen Truppen, die die strategisch wichtige Insel im Schwarzen Meer zeitweise besetzt hatten, sei die Flagge der Ukraine gehisst worden, teilte eine Sprecherin des Militärs mit. "Das Gebiet wurde der Hoheit der Ukraine zurückgegeben." Die russischen Truppen hatten die Insel vergangene Woche geräumt.