Bürgermeister: Stadt von jeglicher Versorgung abgeschnitten.
Kiew/Moskau. In der von russischen Truppen eingekesselten und unter Beschuss genommenen Stadt Mariupol soll es einen erneuten Evakuierungsversuch geben. Nach Angaben des dortigen Stadtrates sollen ab Mittag Zivilisten weggebracht werden. Es sei eine Feuerpause von 10.00 Uhr bis 21.00 Uhr (Ortszeit; 09.00 Uhr bis 20.00 Uhr MEZ) vereinbart worden. Um 12.00 Uhr (11.00 Uhr MEZ) werde damit begonnen, Zivilisten in Sicherheit zu bringen.
Der Leiter der ukrainischen Delegation für Gespräche mit Russland hofft auch auf einen humanitären Korridor aus der ostukrainischen Stadt Charkiw am Sonntag. "So Gott will" werde es einen geben, schrieb David Arachamija in der Nacht auf Facebook.
Stadt seit sechs Tagen unter Beschuss
Am Samstag war eine Evakuierung aus dem seit sechs Tagen unter Beschuss stehenden Mariupol gescheitert. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, gegen die verabredete Feuerpause verstoßen zu haben. Um 16.00 Uhr (MEZ) nahm die russische Armee eigenen Angaben zufolge die Angriffe auf die Großstadt und auf die Stadt Wolnowacha wieder auf.
Mariupols Bürgermeister Wadym Boitschenko sprach Samstagabend in einer TV-Sendung von einer "humanitären Blockade". Russische Einheiten hätten alle 15 Stromleitungen in die Stadt ausgeschaltet, man sei bereits seit fünf Tagen ohne Strom. Schon vor Beginn des Krieges sei die Hauptwasserleitung abgetrennt worden, nach fünf Kriegstagen habe man auch die Reservewasserversorgung verloren. Die russische Seite sei sehr methodisch vorgegangen, um die Stadt von jeglicher Versorgung abzuschneiden und so inneren Druck zu erzeugen.
Nach Ansicht der ukrainischen Armee plant Russland nun, den Damm des Wasserkraftwerks Kaniw einzunehmen. Das teilte der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte in einem Bericht in der Nacht auf Sonntag mit. Der Damm liegt rund 150 Kilometer südlich von Kiew am Fluss Dnipro. Bisher haben russische Truppen mehrere Einrichtungen der Energie-Infrastruktur zerstört, angegriffen oder eingenommen, darunter das größte Kernkraftwerk Europas in Saporischschja.
Russen versuchen in Außenbezirke Kiews einzudringen
Russische Einheiten unterließen zudem keinen Versuch, in die südwestlichen Außenbezirke der Hauptstadt Kiew einzudringen, heißt es in dem Bericht weiter. In der Stadt wurde in der Nacht auf Sonntag mehrmals Flugalarm ausgelöst. Russische Truppen versuchten zudem, sich der Autobahn von der Kiewer Vorstadt Browary nach Boryspil, wo der internationale Flughafen Kiews liegt, zu nähern. In Richtung Koselets, das rund 70 Kilometer nordöstlich von Kiew liegt, sei die Bewegung von 100 Einheiten an Waffen und anderer militärischer Ausrüstung beobachtet worden, darunter vor allem Raketenwerfer.
Der Hauptfokus der russischen Truppen liege weiter auf eine Umzingelung der Städte Kiew, Charkiw im Osten und Mykolajiw im Süden. Die ukrainische Agentur Unian berichtete am Samstag, in der Region Charkiw seien seit Kriegsbeginn 194 Menschen getötet worden, darunter 126 Zivilisten. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Mehr als 2.200 Objekte militärischer Infrastruktur der Ukraine seien bisher zerstört worden, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Vernichtet worden seien 778 ukrainische Panzer und rund 100 Flugzeuge. Überprüfbar sind auch diese Angaben nicht.