Nach Rückschlägen in der Ukraine

Protest der Nationalisten setzt den Kreml unter Druck

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Seit Beginn der Offensive in der Ukraine verbreiteten die russischen Medien einstimmig und unermüdlich die Botschaft des Kreml: Alles verläuft nach Plan. Doch angesichts der jüngsten demütigenden Rückschläge für die russische Armee wird zunehmend öffentliche Kritik an dem Militäreinsatz laut.

Experten, Analysten, Blogger und Funktionäre kritisierten zuletzt in TV-Sendungen und Onlinenetzwerken das Vorgehen der Armee - eine Welle der vernichtenden Kritik, bisher unvorstellbar.

Der Kreml versucht, diese Welle zu stoppen. Andersdenkende müssten sich "an jene Gesetze halten", die Menschen bestrafen, welche die Armee "diskreditieren", warnte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag. "Das ist ein sehr, sehr schmaler Grat, man muss hier sehr vorsichtig sein."

"Umgruppierung"

Das Verteidigungsministerium in Moskau stellt den Rückzug russischer Truppen aus bisher von ihnen besetzten Gebieten als strategische "Umgruppierung" seiner Truppen dar. Das Ministerium bestreitet, dass die russischen Streitkräfte ein Debakel erlitten hätten. Doch selbst Wladimir Solowjow, einer der wichtigsten Kreml-Propagandisten, räumte jüngst ein: "Die Situation ist schwierig und ernst."

Scharfe Kritik an der russischen Armee kam etwa von Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow. In einer Sprachnachricht an seine 2,4 Millionen Anhänger auf Telegram prangerte der Hardliner die "Fehler" russischer Generäle an. Wenn sich nichts ändere, "werde ich gezwungen sein, mich an das Verteidigungsministerium und die Führung des Landes zu wenden, um die vor Ort herrschende Lage zu erläutern", sagte er.

Rücktritt von Putin gefordert

Kommunale Abgeordnete aus St. Petersburg fordern gar den Rücktritt von Präsident Wladimir Putin. Die von ihnen lancierte Petition mit dieser Forderung hat natürlich keinerlei Erfolgschancen.

Neu ist vor allem, dass die Kritik nun auch von nationalistischen Gruppen kommt, die den Militäreinsatz bisher vehement unterstützten. Die jüngsten Rückschläge in der Ukraine sind zwar nicht die ersten für die russische Armee seit Beginn des Einsatzes im Februar. Schon im April mussten sie sich aus der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew zurückziehen.

Doch die zuletzt erlittenen Rückschläge nach mehr als halbjähriger Dauer des Militäreinsatzes schmerzen nationalistische Kreise besonders. Es gebe für diese Pleiten nur zwei mögliche Erklärungen, urteilt der konservative Kommentator Jegor Cholmogorow: Entweder "wurden wir verraten" - oder "unsere Armee ist nicht kampftauglich".

"Es ist absolut unmöglich, die Ukraine mit den Mitteln zu besiegen, mit denen Russland kämpft, mit seinen kolonialen Kriegsmethoden, Vertragssoldaten, Söldnern und ohne Mobilmachung", sagte der ehemalige Abgeordnete Boris Nadeschdin in einer Fernsehdebatte - bevor ihn ein anderer Gast in die Schranken wies.

"Präventiver Atomschlag"

Einige der stärksten Verfechter des Militäreinsatzes fordern den Kreml nun auf, in der Ukraine eine noch härtere Gangart einzuschlagen. Der Blogger Maxim Fomin, der unter dem Namen "Wladlen Tatarski" auf Telegram schreibt, schlug einen "präventiven Atomschlag" auf die Schlangeninsel vor, von der die russischen Truppen im Juli abgezogen waren.

Es wird viel darüber spekuliert, was die jüngsten Rückschläge für Putin bedeuten. Noch habe der Präsident wenig zu befürchten, sagt Tatjana Stanowaja, Gründerin des Analysezentrums R.Politik. Aber wenn sich die Lage an der Front weiter verschlechtere, "mit mehr Verlusten, mehr Niederlagen, dann könnten die Beziehungen zwischen den Patrioten und den Behörden ernsthaft auf die Probe gestellt werden".

Bei einer solchen Entwicklung könnte es für die Behörden schwieriger werden, gegen Kritiker vorzugehen, meint die Politologin. Während die Opposition zwar leicht "als ideologischer Feind und Sprachrohr des Westens" diskreditiert werden könne, könnte hingegen der Protest der Patrioten in Russland eher "als legitim angesehen" werden.
 

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