Ukraine-Krise

Russland-Experte: Putin wird nicht einlenken

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Die "klaren und vehementen" Reaktionen des Westens auf den Einmarsch Russlands in der Ukraine sind für den Kreml überraschend gekommen.

Allerdings werde der russische Präsident Wladimir Putin angesichts der Wirtschaftssanktionen nach Ansicht des Russland-Experten Alexander Dubowy "nicht einlenken". Wegen der militärischen Überlegenheit sei sich Putin eines Sieges gewiss und die "Verhandlungsbereitschaft Moskaus gering", sagte der österreichische Politikanalyst .

"Dieser Krieg ist auch ein Informationskrieg", ergänzte Dubowy. "Letzteren gewinnt die Ukraine zweifellos an allen Fronten." Doch "die militärische Komponente des Krieges spricht allerdings nicht für Kiew." Zwar habe sich "die ukrainische Armee als sehr kampffähig und die ukrainische Gesellschaft als äußerst wehrfähig und wehrwillig gezeigt und auf diese Weise den russischen Vormarsch offenbar stark verlangsamt, jedoch rückt Russland nach anfänglichen Schwierigkeiten langsam aber unaufhaltsam voran. Der Sturm Kiews wird wohl in den nächsten Tagen erfolgen", prognostizierte der Osteuropa-Kenner. "Somit ist der militärische Sieg Putin kaum mehr zu nehmen."

Russland verschärft Gangart

Die russische Armee gehe immer brutaler vor, zunehmend würden auch Zivilisten und zivile Einrichtungen zur Zielscheibe. Selbst der Einsatz von Atomwaffen ist für Dubowy "als Extremszenario" vorstellbar, wenn auch "unwahrscheinlich". Die Nukleardoktrin Russlands sehe die Möglichkeit eines atomaren Erstschlages vor, dies für den Fall, dass die "Existenz des Staates" gefährdet sei. Die Deutungshoheit darüber obliege dem Präsidenten. Die Eingabe der auslösenden Codes für Atomwaffen erfolge aber zwingend im Dreigespann zwischen dem Präsidenten, dem Verteidigungsminister und dem Generalstabschef.

Von den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine erwartet Dubowy nicht allzu viel. Sie dienten eher als Signal an die internationale Gemeinschaft sowie auch der russischen Propaganda. Die Bilder vom Verhandlungstisch sollten der eigenen Bevölkerung zeigen, dass "hier gesprochen wird". Ohne Feuerpause seien Verhandlungen aber nicht sinnvoll. Moskau halte auch an seinen vier Forderungen fest, nämlich "Entmilitarisierung, Entnazifizierung, politische und militärische Neutralität sowie Anerkennung der Krim und der Volksrepubliken von Donezk und Luhansk im Rahmen der gesamten Regionen Donezk und Luhansk". Da rechtsextreme Gruppierungen in der Politik mittlerweile keine Rolle spielten, dürfte unter dem Begriff "Entnazifierung" vor allem eine gegenüber dem Kreml loyale Regierung zu verstehen sein, erläuterte Dubowy.

Flugverbotszone nicht umsetzbar

Eine wie von dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geforderte Flugverbotszone wäre zwar "eine wirksame, im Vergleich zu einer Bodenoperation kostengünstige und mit geringem Risiko verbundene Möglichkeit die Zivilisten zu schützen und das Gleichgewicht des Krieges zu Gunsten der Ukraine zu verändern", sagte der Experte. "Eine praktische Umsetzung ist allerdings kaum vorstellbar. Eine Flugverbotszone würde einen de facto Eintritt der NATO in den Krieg bedeuten und von Russland mit Sicherheit als eine Kriegserklärung ausgelegt werden", warnte Dubowy. Die NATO lehnt daher eine Flugverbotszone ab.

Auch ein kurzfristiges Öl- und Gasimportverbot Europas ist für den Experten nur schwer vorstellbar. Nicht alle EU-Staaten würden entsprechende Pläne mittragen wollen und können. "In Wahrheit kann die Energieversorgung der EU im Augenblick nicht anders gesichert werden", sagte Dubowy. Angesichts der sehr hohen Gold- und Devisenreserven Russlands im Gesamtwert von über 630 Milliarden US-Dollar würde sich ein Öl- und Gasimportverbot auf die Kriegshandlungen nicht unmittelbar auswirken.

Sanktionen greifen erst in einigen Monaten

Was der Westen also tun sollte, ist nach Ansicht Dubowys abgesehen von internationaler Solidarität und Unterstützung der Ukraine sowie der Versorgung der Kriegsflüchtlinge auf die Errichtung und Einhaltung humanitärer Korridore für den Abzug der Zivilbevölkerung aus umkämpften Orten der Ukraine zu drängen. Auch benötige Kiew verstärkt Waffenlieferungen. "Diese sollten idealerweise nicht öffentlich diskutiert werden."

Die Wirtschaftssanktionen des Westens würden erst in einigen Monaten zu sehen sein. "Den Krieg in der Ukraine werden die Sanktionen zwar nicht allein beenden können, der Wunsch Putins nach weiteren Militärabenteuern wird durch die Sanktionen jedoch sehr gezügelt werden", so Dubowy. Einen Einfluss auf Russland könnten aber nicht-staatliche Sanktionen haben - wie etwa eine Zunahme der Arbeitslosigkeit aufgrund des freiwilligen Rückzugs internationaler Unternehmen aus Russland. Diese Maßnahmen hätten das Potenzial dazu, "bereits heute die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu steigern".

"Die Mehrheit der russischen Bevölkerung ist apolitisch." Der Großteil der Russen sei der Überzeugung, politisch ohnehin kaum etwas verändern zu können. "Aus diesem Grund ist das Handeln der Führungsriege den meisten weitgehend gleichgültig, solange das eigene Alltagsleben davon nicht zu sehr eingeschränkt wird. Aus diesem Grund haben in Russland ausschließlich sozialmotivierte Proteste im Gegensatz zu Antikriegsprotesten und politischen Protesten das Potenzial sich - nicht nur zu kurzfristige, spontanen - sondern zu wochen- und monatelangen landesweiten Massenprotestbewegungen zu entwickeln und der Regierung gefährlich zu werden."

Solche Massenproteste können nach Ansicht von Dubowy aber nur dann entstehen, wenn sich der Lebensstandard der Bevölkerung deutlich verschlechtert. "Die Wahrscheinlichkeit dafür ist - derzeit - zwar eher gering, dies kann sich jedoch in Anbetracht der Sanktionen freilich über die nächsten Monate ändern."

Eine "Palastrevolte" durch enttäuschte Oligarchen erachtet der Experte als wenig wahrscheinlich. In der Ära Putin seien Oligarchen mit "eigenen Interessen", die dem Kreml widersprechen, entmachtet und "durch eine Kreml-zentrierte Staatsoligarchie aus den Reihen Putin'scher Vertrauter ersetzt worden". Die "Staatsoligarchen" und Angehörige der Eliten hätten ihren Wohlstand und ihr Wohlergehen allein Putin zu verdanken, daher bleibe ihr Einfluss auf die Entscheidungen Putins begrenzt "und die Wahrscheinlichkeit eines koordinierten Widerstandes gegen Putin im Sinne einer Palastrevolte wenig wahrscheinlich". Auch innerhalb der Administration finde keine öffentliche Empörung statt. "Sollte es aber zu sozialmotivierten Massenprotesten kommen, wird die Unzufriedenheit innerhalb der Eliten und der Bürokratie zu einem sehr wichtigen Faktor für die Stabilität des Regimes", so Dubowy.

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