Der Einschlag einer Rakete im Grenzgebiet des NATO-Lands Polen zur Ukraine schürt Sorgen vor einer stärkeren Konfrontation der westlichen Militärallianz mit Russland.
US-Präsident Joe Biden sagte, dass es eher unwahrscheinlich sei, dass die Rakete aus Russland abgefeuert worden sei. In NATO-Kreisen hieß es, Biden habe die G7- und NATO-Partner darüber informiert, dass der Zwischenfall mit zwei Toten durch eine fehlgeleitete ukrainische Luftabwehr-Rakete ausgelöst worden sei. Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak betonte unterdessen, Russland sei für jeden Zwischenfall mit Raketen verantwortlich.
Die Rakete
Als erstes berichtete der polnische Radiosender ZET am Dienstag, dass zwei verirrte Raketen in Przewodow, einem ostpolnischen Dorf etwa sechs Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt, eingeschlagen seien. Nach Angaben des polnischen Außenministeriums schlug eine Rakete aus russischer Produktion um 15.40 Uhr Ortszeit in dem Dorf ein, nachdem die Ukraine einen Tag lang massiv von Russland beschossen wurde.
Der polnische Präsident Andrzej Duda erklärte später, dass es sich höchstwahrscheinlich um eine Rakete aus russischer Produktion gehandelt habe, der Vorfall aber noch untersucht werde. Duda sagte, er habe NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Biden darüber informiert, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass der polnische Botschafter bei der NATO beantragen werde, sich auf Artikel 4 zu berufen, also auf Konsultationen zwischen den Verbündeten. Polen habe keine schlüssigen Beweise dafür, wer die Rakete abgefeuert habe, sagte Duda. Zudem sei immer noch unklar, welche Rakete das Dorf getroffen habe.
Was sagt Russland?
"Aussagen polnischer Medien und Beamter über 'russische' Raketen, die angeblich im Gebiet der Siedlung Przewodow eingeschlagen sind, sind eine bewusste Provokation, die darauf abzielt, die Situation zu eskalieren", erklärte das Verteidigungsministerium in einer ersten Reaktion. Am Mittwoch hieß es, Russland habe am Dienstag ausschließlich ukrainisches Territorium angegriffen. Die Ziele seien nicht näher als 35 Kilometer von der ukrainischen Grenze zu Polen entfernt gewesen, teilte das Verteidigungsministerium mit. Fotos von Trümmern der auf polnischem Gebiet niedergegangenen Rakete zeigten, dass es sich um Teile einer ukrainischen Rakete vom Typ S-300 handle.
Was sagen die USA?
US-Präsident Biden sagte zunächst, dass es vorläufige Informationen gebe, die dagegen sprächen, dass die Rakete von Russland aus abgefeuert worden sei. "Angesichts der Flugbahn ist es unwahrscheinlich, dass sie von Russland abgefeuert wurde, aber wir werden sehen", sagte Biden beim G20-Gipfel auf Bali in Indonesien. Die USA und die NATO-Länder würden den Vorfall vollständig untersuchen, bevor sie handelten.
Am Rande des Gipfels habe Biden dann die NATO-Partner darüber informiert, dass der Zwischenfall durch eine fehlgeleitete ukrainische Luftabwehr-Rakete ausgelöst worden sei, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch aus NATO-Kreisen.
Was sagt die Ukraine?
Die Ukraine weist Russland die Schuld für den Zwischenfall zu. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Dienstag, ohne jedoch Beweise vorzulegen, dass russische Raketen Polen getroffen hätten. Dies bezeichnete er als "erhebliche Eskalation" des Konflikts. "Wir müssen handeln."
Präsidentenberater Podoljak reagierte am Mittwoch auf Bidens Äußerung, wonach die Rakete nach aktuellem Informationsstand wahrscheinlich nicht von Russland abgefeuert worden sei. Podoljak erklärte, es könne nur an einer Logik festgehalten werden, und die laute, dass der Krieg von Russland begonnen worden sei und von Russland geführt werde. Russland greife die Ukraine massiv mit Marschflugkörpern an. "Russland hat den östlichen Teil des europäischen Kontinents in ein unberechenbares Schlachtfeld verwandelt. Absicht, Hinrichtungsmittel, Risiken, Eskalation – all das ist nur Russland", betonte der Präsidentenberater - "und anders sind Zwischenfälle mit Raketen nicht zu erklären".
Was sagt die NATO?
Die NATO ist am Mittwochvormittag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen, um über die Explosion zu beraten, wie zwei NATO-Vertreter und ein europäischer Diplomat sagten. Generalsekretär Stoltenberg werde das Treffen der NATO-Botschafter in Brüssel leiten und gegen 12.30 Uhr eine Pressekonferenz abhalten, teilte die Allianz mit.