Außenminister mit Kollegen aus Tschechien und Slowakei an Kontaktlinie im Donbass - Am Dienstag bei Amtskollegen Kuleba und Präsident Selenskyj - Aktuell rege Besuchsdiplomatie.
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat am Montag gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus der Slowakei (Ivan Korcok) und Tschechien (Jan Lipavsky) einen Besuch in der Ukraine begonnen. "Wir haben eine massive militärische Anspannung. Ich glaube aber weiterhin, dass das Ende des diplomatischen Dialogs nicht erreicht ist." Das sagte er bei einem Lokalaugenschein an der sogenannte Kontaktlinie zwischen Regierungstruppen und Separatisten.
Konfliktgebiet
"Die Kanäle laufen auf Hochtouren", meinte Schallenberg im ukrainischen Konfliktgebiet Donbass gegenüber österreichischen Journalisten. "Die Möglichkeiten liegen auf dem Tisch, es fehlt nur der diplomatische Wille." Es bedürfe eines Verhandlungsprozesses, "um aus dieser bedrückenden Lage hinauskommen".
Von Charkiw aus flogen die Minister samt Delegationen knapp eineinhalb Stunden in betagten Helikoptern in die Oblast Luhansk. Dort machten sie sich - mit kugelsicherer Weste und Soldatenhelm bewehrt - am Checkpoint "Stanitsa Luhanska" bei einem Treffen mit Gouverneur Serhiy Haidai ein Bild der militärischen und humanitären Lage.
Kapazität
Der Checkpoint ist eine Art Grenzübergang mit einem drei Meter hohen Gitterzaun, Sicherheitsschleusen und mehreren Schalter zur Personenkontrolle. Aktuell überqueren pro Tag zwischen 8.00 und 16.00 Uhr im Schnitt bis zu 2.000 Menschen die Kontaktlinie zwischen dem ukrainischen Staatsgebiet und der von russlandfreundlichen Separatisten besetzten Region bei Luhansk. Die Kapazität wäre freilich weit höher, erklärte ein lokaler Kommandant. Früher waren an manchen Tagen bis zu 17.000 Menschen unterwegs.
Für die aktuelle niedrigere Frequenz ist einerseits Corona verantwortlich, andererseits seien die russischen Separatisten sehr restriktiv. Manche Bewohner der Region dürfen nur einmal pro Monat die Kontaktlinie überqueren. Sie nützen dies meist, um etwa ihre Pension zu holen, die sie weiterhin über ukrainische Banken beziehen. Daher haben sie auch Bankkarten zum Einkaufen. Sonst müssten sie auch noch Geld wechseln, auf der separatistischen Seite wird in russischen Rubel bezahlt.
Schallenberg
Warum die Separatisten so restriktiv sind? Für Schallenberg liegt es auf der Hand: "Es ist wohl nicht in ihrem Interesse, dass die Menschen in den besetzten Gebieten sehen, was sich in den vergangenen Jahren für ein Entwicklungsunterschied auftut zwischen der Ukraine und den besetzten Gebieten."
Nach dem Sturz des damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Jahr 2014 hatte Moskau zuerst die Halbinsel Krim annektiert und dann die russischsprachigen Separatisten im Donbass unterstützt. Teile der an Russland grenzenden Regionen um die Stadt Luhansk und die Metropole Donezk sagten sich von der Zentralregierung in Kiew los.
Am Dienstag wird Schallenberg in Kiew zudem mit Vertretern der Krimtataren konferieren und ein bilaterales Gespräch mit seinem Amtskollegen Dmytro Kuleba führen, ehe das Außenminister-Trio mit Präsident Wolodymyr Selenskyj zusammenkommt.
Solidarität
Mit dem Besuch soll "ein starkes Signal der zentraleuropäischen Solidarität" gesetzt werden, hieß es. "Wir werden unsere Solidarität mit einem Land ausdrücken, das unter starkem Druck steht", sagte Tschechiens Außenminister Lipavsky laut der Nachrichtenagentur CTK. Schallenberg hatte bereits vor der Reise festgehalten: "Auch wenn Österreich militärisch gesehen ein neutraler Staat ist, sind wir nicht neutral gegenüber Gewalt. Wenn es um die territoriale Integrität eines souveränen Staates geht, werden wir niemals schweigen, sondern immer entschieden dafür eintreten."
Aus dem Außenministerium verlautete dazu, die "gemeinsame Reise im "Slavkov-Format" zeige "die enge Verbundenheit unserer drei Länder mit der Ukraine". Schließlich sei die Ukraine "ein Teil Europas und ihre Souveränität auch eine Frage unserer eigenen Sicherheit". Das "Slavkov-" oder "Austerlitz-Format" ist eine Initiative, mit der Österreich, Tschechien und der Slowakei ihre Kooperation stärken wollen. Die Drei-Länder-Gruppe war Ende Jänner 2015 in Slavkov (Austerlitz) gegründet worden - in jenem Ort in Südmähren, nach dem die legendäre Drei-Kaiser-Schlacht 1805 benannt wurde.
Auslandskatastrophenfonds
Im Zuge der Reise kündigte Schallenberg auch an, dass der Ministerrat noch im Februar die Auszahlung von 2,5 Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds des Außenministeriums beschließen wird. Zur Bekämpfung der humanitären Krise in der Ukraine werden eine Million Euro für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sowie 1,5 Millionen für österreichische NGOs vor Ort zur Verfügung gestellt. Mit der Abwicklung wurde die Austrian Development Agency (ADA) beauftragt.
Im Rahmen des EU-Zivilschutz-Mechanismus wird Schallenberg zudem am Dienstag 42 Paletten mit Hilfsmitteln übergeben, darunter fünf Diesel-Generatoren und 28 Wassertanks mit einem Fassungsvermögen von jeweils 1.000 Liter. Auch Tschechien und die Slowakei kündigten Unterstützung für das ukrainische Rote Kreuz und NGOs an.
Frankreich
In Kiew geben sich derzeit die Chefdiplomaten die Klinke in die Hand. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock weilt ab Montag ebenfalls zwei Tage in der Ukraine. Am Dienstag stößt auch der französische Amtskollege Jean-Yves Le Drian dazu. Er ist mit Präsident Emmanuel Macron unterwegs, der nach einem Besuch bei Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Montag auch mit Amtskollegen Selenskyj in Kiew beraten will. Frankreich hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. Am Mittwoch folgt Polens Außenminister Zbigniew Rau, aktuell auch Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Schallenberg sieht in der OSZE ein "wesentliches Vehikel" für eine Vermittlung im Ukraine-Konflikt, stellte aber auch klar: "Dialog ja, aber sicher nicht die Drohung mit Verschiebung von Grenzen im 21. Jahrhundert durch Panzer und Raketen." Österreich habe in der Ukraine immer "deutlich Position bezogen", bekräftigte der Außenminister.
Der Westen ist angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarsches in der Nähe der Ukraine alarmiert. Russland seinerseits fordert Sicherheitsgarantien dafür, dass sich die NATO nicht Richtung Osten erweitert. Das Militärbündnis hält jedoch an der Beitrittsperspektive fest.