Die britischen Wähler haben die für den Brexit verantwortlichen Konservativen nach 14 Jahren abgewählt.
London. Bei der Unterhauswahl am Donnerstag hat die sozialdemokratische Labour Party von Oppositionsführer Keir Starmer eine absolute Mehrheit erzielt. Dies stand in der Nacht auf Freitag fest, obwohl noch 185 der 650 Wahlkreise auszuzählen waren. Der konservative Premier Rishi Sunak hatte seine Niederlage zuvor bereits eingestanden und seinem Kontrahenten Starmer gratuliert.
"Bereit für Wandel"
"Das Volk ist bereit für den Wandel. Jetzt ist die Zeit, dass wir umsetzen", sagte Labour-Chef Keir Starmer in der Nacht auf Freitag. Die Konservativen von Premier Rishi Sunak wurden vernichtend geschlagen, dem rechtspopulistischen Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage gelang der Parlamentseinzug.
Premierminister Rishi Sunak mit seiner Frau Akshata Murty auf dem Weg zur Stimmabgabe.
Nachdem eine erste Wählerbefragung die Tories bei einem historischen Tiefstand von 131 Mandaten verortet hatte, könnte es für die bisherige Regierungspartei in der Endabrechnung doch nicht so schlimm kommen. Eine nach Auszählung von rund der Hälfte der Wahlkreise aktualisierte BBC-Prognose sah die Konservativen am Freitag in der Früh bei 154 Mandaten. Die Liberaldemokraten würden demnach mit 56 Sitzen drittstärkste Kraft, die Schottische Nationalpartei erhielte sechs Sitze und die rechtspopulistische Reform UK vier.
Farage zieht ins Unterhaus ein
Größter Sieger des Abends schien der frühere langjährige Europaabgeordnete Farage zu sein, der sich sieben Mal erfolglos um ein Unterhausmandat beworben hatte. Nun gelang ihm in der Brexit-Hochburg Clacton-on-Sea mit 46,2 Prozent der Stimmen der Einzug ins britische Parlament. Der konservative Amtsinhaber Giles Watling büßte dort 44 Prozentpunkte auf 27,9 Prozent ein. Vor Farage war der Tory-Überläufer Lee Anderson im mittelenglischen Ashfield zum Wahlsieger erklärt worden. Der von den Tories wegen muslimfeindlicher Äußerungen suspendierte Anderson wurde damit zum ersten gewählten rechtspopulistischen Abgeordneten Großbritanniens.
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"Das ist nur der erste Schritt von etwas, das euch alle schockieren wird", sagte Farage in seiner Siegesrede. Im rechten politischen Spektrum gebe es eine "massive Lücke, und meine Aufgabe ist es, sie zu füllen". "Diese Labour-Regierung wird schon sehr bald in Schwierigkeiten stecken", kündigte Farage mit Blick auf die siegreiche Oppositionspartei an. Er wolle Labour die Wähler abspenstig machen, zumal es schon bei dieser Wahl keinerlei Enthusiasmus für die Partei gegeben habe. Stattdessen sei Reform UK innerhalb von wenigen Wochen und ohne finanzielle Mittel "etwas wirklich Außerordentliches" gelungen. "Wir sind in hunderten Wahlkreisen an zweiter Stelle gelandet."
Tatsächlich erklärte ein BBC-Moderator das starke Abschneiden von Reform UK zur "Geschichte des Abends". Landesweit stand sie nach Auszählung von knapp der Hälfte der Wahlkreise bei 15,6 Prozent der Stimmen. In zahlreichen Wahlkreisen konnte sie die Tories überflügeln und trug damit wesentlich zu Labour-Erfolgen bei. Mehrere konservative Kabinettsmitglieder, darunter der populäre Verteidigungsminister Grant Shapps, verloren ihre Mandate. Auch die mögliche Bewerberin für den Tory-Parteivorsitz, Penny Mordaunt, verfehlte den Wiedereinzug ins Parlament.
Dämpfer für Labour
Auch für Labour setzte es den einen oder anderen Dämpfer. So musste ausgerechnet Parteichef Starmer in seinem Wahlkreis wegen eines Protestvotums gegen seine Palästinapolitik einen massiven Verlust hinnehmen. Wenig Freude dürfte Starmer auch damit haben, dass sein Vorgänger Jeremy Corbyn seinen Londoner Wahlkreis Islington North als unabhängiger Kandidat verteidigten konnte. Corbyn war von 2015 bis 2020 Chef der britischen Sozialdemokraten und machte dabei keine gute Figur: Parteikollegen machten ihn mitverantwortlich für den Brexit, vier Jahre später fuhr er eine historische Wahlniederlage ein. Aus der Partei geworfen wurde er, weil er nicht energisch genug gegen antisemitische Tendenzen vorging.
Der Wahlkampf von Labour-Chef Starmer konzentrierte sich auf das Versprechen, nach 14 Regierungsjahren der Tories einen "Wandel" herbeizuführen. Damit spielte er auf die Wut vieler Briten über den schlechten Zustand des öffentlichen Dienstes etwa im Gesundheitswesen und über den seit Jahren sinkenden Lebensstandard an. Vielen Briten war es auch ein Anliegen, den regierenden Konservativen einen Denkzettel für den während ihrer Amtszeit erfolgten EU-Austritt Großbritanniens zu verpassen.
Der Regierungswechsel wird in Großbritannien rasch vollzogen. Sobald das amtliche Endergebnis feststeht, kommt es zur Machtübergabe. Schon im Laufe des Freitags dürfte Starmer von König Charles III. mit der Regierungsbildung beauftragt werden und anschließend bei einer Rede in der Downing Street seine Vision für Großbritannien darlegen.