Bulgarische Banden entführen immer öfter die Kinder von Millionären. Es kursieren Listen mit potentiellen Opfern.
Michail ist der Sohn des früheren bulgarischen Verkehrsministers Wilhelm Kraus und in einer gut betuchten Familie aufgewachsen. Dafür zahlte er einen hohen Preis: Der 30-jährige Unternehmer wurde in Sofia Opfer einer Entführung. Zwar kam er für ein Lösegeld von 300.000 Euro nach 29 Tagen frei. Doch als er nach Hause zurückkehrte, fehlte ihm der kleine Finger der rechten Hand.
Entführungen statt Auftragsmorde
Auftragsmorde waren
gestern, inzwischen gehen kriminelle Banden in Bulgarien einem "lukrativeren
Geschäft" nach: Kinder reicher Familien werden in der Hoffnung auf ein
Millionen-Lösegeld entführt. "Bande 'Muttersöhnchen' entführt nach Liste",
titelte die Zeitung "Standart" in Sofia. Die Summe, die meist ohne
Einschalten der Polizei an die Verbrecher gezahlt wird, ist meist deutlich
geringer als der geforderte Betrag, berichten Mitarbeiter der
Sicherheitsdienste.
Lösegeld erhalten, keine Spur hinterlassen
Im Fall Michail
Kraus wurde das in einen Sack gepackte Lösegeld vereinbarungsgemäß in eine
Mülltonne geworfen, schrieb die Zeitung "24 Tschassa", die den Fall
enthüllte. Die Bande sei professionell vorgegangen und habe keine Spuren
hinterlassen.
1,2 Mio. Euro Lösegeld gefordert
Die Entführer sollen
ursprünglich 1,2 Millionen Euro gefordert haben. Michails Vater und sein
Bruder gelten als zahlungskräftig. Der Ex-Minister ist Führungsmitglied im
bulgarischen Schwesterunternehmen des russischen Ölkonzerns Lukoil. Seine
Söhne sind erfolgreiche Unternehmer. Der Entführte, der an der Sorbonne in
Paris studierte, sei in der Weinbranche tätig, hieß es in Medienberichten.
Nur wenige Entführungen werden publik
Während der
Ex-Minister die Entführung dementierte, wurde der Fall von Hauptstaatsanwalt
Boris Weltschew bestätigt. Das Lösegeld sei gezahlt worden, um das Leben des
Entführten zu retten, erklärte er. Solche Fälle sollen nach Weltschews
Auffassung aber nicht "unnötig kommentiert" werden. Nur ein Teil der
tatsächlichen Entführungen gelangt überhaupt an die Öffentlichkeit, sagte
Zwjatko Zwetkow, ein ehemals führender Angestellter des Innenministeriums.
Die betroffenen Familien machen die Entführungen in der Regel nicht publik. Sie verhandeln direkt mit den Kriminellen, ohne die Polizei einzuschalten. Deswegen blieb dieses "ertragreiche Geschäft" bisher unbemerkt, erklärte der Experte Tichomir Beslow vom Zentrum zur Erforschung der Demokratie (ZID). Die Kinder der Reichen seien bequemere Ziele als ihre Eltern, die häufig professionell bewacht werden. Zehn schwerreiche Familien in Sofia haben nach Medienberichten schon Leibwächter für ihre Kinder eingestellt.
Entführungen richtig gutes Business
Entführer haben deutlich
bessere "Verdienstmöglichkeiten" als Auftragsmörder, denn ein Killer in dem
Balkanland bekommt nach Schätzungen "nur" zwischen 20.000 und 50.000
Euro. Außerdem ist die Angabe persönlicher Daten beim Kauf einer Handy-Karte
nicht vorgeschrieben. Die Kriminellen können daher problemlos ihre
Abmachungen mit den betroffenen Familien treffen. So ist bisher auch noch
kein Fall bekanntgeworden, in dem ein Entführer festgenommen wurde.
"Entführungen werden zum Business, das in eine Epidemie ausarten kann",
warnte "24 Tschassa".