Einer der Ärzte der behinderten neunjährigen Ashley aus den USA, Douglas Diekema, hat die weltweit kontrovers diskutierte Behandlung des Mädchens verteidigt.
"Wir haben sehr gründlich darüber nachgedacht, ob bestimmte Behandlungen helfen könnten oder nicht", sagte der Mediziner. Mit Operationen und einer Hormontherapie ist das Mädchen auf dem körperlichen Entwicklungsstand einer Sechsjährigen gehalten worden, unter anderem damit es weiter von seiner Familie zu Hause im US-Bundesstaat Washington gepflegt werden kann. Das Mädchen leidet nach Angaben der Eltern an einer irreversiblen Hirnschädigung.
Entscheidung nach langer Diskussion
"Die Entscheidung fiel
nach einer langen Diskussion, und erst nachdem höchst verantwortungsvolle
Mitglieder unseres Ethik-Ausschusses die Eltern angehört haben und gesehen
haben, wie sie mit ihrer Tochter umgehen", sagte Diekema der Zeitung.
Neben "ein, zwei beunruhigenden E-Mails" habe er auch viel
zustimmende Post erhalten. "Jedes Mal, wenn wir Medikamente
verschreiben, ein gebrochenes Bein behandeln oder versuchen, Krebspatienten
zu heilen, verändern wir Dinge, die ansonsten eine natürliche Entwicklung
gewesen wären", erklärte der US-Mediziner.
Eingriff auch in den USA umstritten
Arthur Caplan,
Medizinethiker an der University of Pennsylvania, kritisierte den Eingriff,
das Mädchen am Erwachsen werden zu hindern. "Ich glaube, dass die
Peter Pan-Variante moralisch falsch ist", schrieb Caplan am Sonntag in
einem Kommentar in einer US-Zeitung. "Ashley klein zu halten ist eine
pharmakologische Lösung für ein soziales Versagen - die Tatsache nämlich,
dass die amerikanische Gesellschaft für schwer behinderte Kinder und ihre
Familien nicht genug Hilfe leistet".
Massive Kritik - und Unterstützung
Die Eltern teilten
online mit, ihre Webseite habe seit Bekanntwerden der Geschichte in den
Medien über eine Million Zugriffe erhalten. In 48 Stunden seien mehr als
1.000 Kommentare eingegangen. Im Internet erfuhren die Eltern Unterstützung,
aber auch massive Kritik. "Abscheulich", "grotesk" und "wie
bei Frankenstein", hieß es. "Hier haben die Ärzte nur wieder
versucht, Gott zu spielen."
Gebärmutter und Brüste entfernt
Der geistig und
körperlich schwer behinderten Ashley wurden im Sommer 2004 die Gebärmutter
und die Brüste entfernt, zweieinhalb Jahre lang bekam sie in hohen Dosen das
weibliche Geschlechtshormon Östrogen verabreicht. Die Östrogentherapie habe
das Wachstum des jetzt 135 Zentimeter großen Mädchens gebremst. Die
Gebärmutteroperation sorge dafür, dass Ashley nicht unter Monatsblutungen
und Schmerzen leiden müsse, argumentieren die Eltern.
Öffentlicher Brief der Eltern
In einem öffentlichen Brief
erklärten die Eltern ihre Beweggründe. "Ashley geht es gut,
sie ist gesund, glücklich und wird liebevoll betreut", heißt es
auf der eigens eingerichteten Internetseite. "Die "Ashley
Behandlung" hat den Zweck, die Lebensqualität unserer Tochter zu
erhöhen und nicht die Bequemlichkeit ihrer Betreuer."
Ursache lässt sich nicht klären
Die Ursache für die
Krankheit des Kindes ließ sich den Eltern zufolge trotz unzähliger
Untersuchungen nicht klären. Ashley ist nach Angaben ihrer Eltern auf dem
geistigen Entwicklungsstand eines drei Monate alten Babys. Sie könne sich
nicht selbst bewegen, umdrehen oder den Kopf halten, geschweige denn ein
Spielzeug in die Hand nehmen. "Wir nennen sie unseren Kissen-Engel",
schreiben die Eltern, "weil sie so süß ist und immer genau da bleibt,
wo wir sie hinlegen - normalerweise auf ein Kissen".
In Österreich nicht möglich
"Schwerste ethische
Bedenken" zum künstlichen Wachstums-Stopp bei der neunjährigen
behinderten Ashley aus Seattle brachte Ulrich Körtner, Vorstand des
Instituts für Ethik und Recht in der Medizin in Wien, am Freitag vor. "Man
hätte sich gegen diese Operationen aussprechen sollen und ich glaube auch,
dass man sich in Österreich aus medizinischer und rechtlicher Sicht anders
entschieden hätte", sagte der Universitätsprofessor.
"Die österreichische Rechtslage würde das meines Wissens nach nicht zulassen", meinte Körtner. Hier zu Lande würde die körperliche Unversehrtheit eines Menschen im Falle eines Rechtsstreits vermutlich sehr hoch gewichtet.
Urteil bei Grenzfällen schwierig
"In ethischen
Grenzfällen muss man vorsichtig sein, ein Urteil abzugeben", sagte
Günter Virt, stellvertretender Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in
der Medizin an der Universität Wien. "Wenn man einem Menschen
künstlich Wachstum und Reife nimmt, dann geht das an den Innenbereich der
Menschenwürde", meinte er. Und über die Menschenwürde könne
niemals ein anderes Gut gestellt werden, so der Moraltheologe.