Brown will erst seine Visionen umsetzen und dann wählen lassen. Er schliesst einen Angriff auf den Iran nicht aus.
Der britische Premierminister Gordon Brown hat am Montag seine Entscheidung gegen vorgezogenen Neuwahlen verteidigt. Er habe Parlamentswahlen in Betracht gezogen und auch an einen Wahlsieg seiner Labour-Partei geglaubt, sagte Brown während seiner monatlichen Pressekonferenz, kurz vor seiner Rede zum Irak-Kurs im Unterhaus. Letztendlich habe er es aber vorgezogen, zu warten und einen längeren Anlauf zu nehmen.
Vorwurf: Absage wegen Umfrage-Tief
Medien und Opposition hatten
Brown am Wochenende vorgeworfen, er habe seine Meinung geändert, weil
Umfragen der Labour-Partei eine Wahlniederlage prognostizierten. Zuvor
hätten Browns Berater aber die Bürger schon auf Neuwahlen eingestimmt.
Will erst Visionen umsetzen
Brown trat diesen Vorwürfen entgegen:
"Alles was in der Downing Street geschieht, liegt in meiner direkten
Verantwortung", sagte er. Seine Entscheidung basiere auf einem "ersten
Instinkt". Er wolle seinen Bürgern vor den Wahlen zeigen, wie seine "Vision"
der Zukunft aussieht und sie auch umsetzen. Theoretisch kann Brown bis zum
Mai 2010 weiterregieren.
Will bis Weihnachten 1000 britische Soldaten aus dem Irak abziehen
Brown
warb zudem für seine Entscheidung, 1000 britische Soldaten bis Weihnachten
aus dem Irak abzuziehen. Die Truppen-Reduzierung, die Brown bei seinem
Irak-Besuch in der vergangenen Woche bekanntgegeben hatte, sei kein
Eingeständnis einer Niederlage sondern das Gegenteil. Es sei vielmehr ein
Zeichen dafür, dass sich im "Kampf um die Sicherheit" ein Sieg abzeichne,
sagte Brown. Die Iraker seien nun in der Lage, selbst für ihre Sicherheit zu
sorgen.
Britische Medien spekulierten, Brown werde bei seiner Parlamentsansprache am Nachmittag einen weiteren Teilabzug von 1500 Soldaten bis Mai 2008 angekündigten und damit die verbleibende Truppenstärke auf 3000 reduzieren.
Schließt gegen Iran nicht aus
Im Konflikt um das iranische
Atomprogramm hält sich Brown hingegen alle Optionen offen. "Ich schließe
nichts aus", sagte Brown im Hinblick auf ein mögliches militärisches
Eingreifen. Er glaube dennoch, dass sich diese Frage mit diplomatischen
Mitteln lösen lasse. Als Beispiele nannte er die Resolutionen des
UN-Sicherheitsrates und Sanktionen. Er nehme die Versuche der Iraner,
Anlagen für den Bau von atomaren Waffen zu bauen, sehr ernst.
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Der "Daily Telegraph", das Medienflaggschiff der Konservativen, verglich den Premierminister mit einem glücklosen Feldherren in einem alten englischen Kinderreim: "Der Herzog von York hatte zehntausend Mann. Die ließ er auf den Berg marschieren und gleich wieder runter."
Politische Prügel
Spott war noch das geringste, was der Erbe
von Tony Blair gut 100 Tage nach seiner Amtsübernahme einstecken musste.
Politiker der Opposition und Kommentatoren verpassten dem Labour-Führer
politische Prügel. Brown habe die Wähler "wie Idioten
behandelt", schimpfte Tory-Chef David Cameron. Er habe genau wie einst
Blair "Parteipolitik vor die Interessen der Nation" gestellt,
donnerte der Chef der Liberaldemokraten, Sir Menzies Campbell.
Kritik aus eigenen Reihen
Der Premierminister habe Labour "ein
Fiasko" beschert, sagte aber John McDonald vom eigenen linken
Parteiflügel. Signale der Meinungsforscher - und auch der Buchmacher, die
hohe Wetten auf einen Labour-Wahlsieg meldeten - hatten Brown in Versuchung
geführt. Die Chance, sich durch eine Wahl eindrucksvoll im Amt bestätigen zu
lassen, dürfe er nicht verstreichen lassen, hatten ihm Berater erklärt.
Rasch wurden Wahlkampfhelfer mobilisiert. Und Brown spannte ausgerechnet jene PR-Agentur ein, die einst Margaret Thatcher zu ihren Wahlsiegen verholfen hatte. Viele Tories gerieten in Panik. Vorgezogene Wahlen hätten die Partei, die kaum vorbereitet schien, zum vierten Mal in Folge auf die Oppositionsbänke verdammen können.
Stimmungsumschwung
"Ironischerweise haben die Wahlgerüchte
die Konservativen fest zusammengeschweißt", sagte
BBC-Kommentatorin Laura Kuenssberg. Cameron riss das Ruder vergangene Woche
mit einer flammenden Rede auf dem Tory-Parteitag herum. Sie gipfelte in der
Aufforderung an Brown, einen Wahltermin festzulegen. Dass Camerons Vision
des Königreichs unter Führung einer modernen konservativen Partei gut ankam,
war nicht der einzige Grund für den Stimmungsumschwung.
Labour fiel in allen Umfragen hinter die Tories zurück
Unfreiwillig
half Brown selbst nach: Ausgerechnet während des Tory-Parteitags flog er
nach Bagdad, um medienwirksam den Rückzug von 1.000 britischen Soldaten bis
Weihnachten zu verkünden. Die auf Fair Play bedachten Briten erkannten die
Absicht und waren verstimmt. Dann stellte sich sogar heraus, dass der
Rückzug weitgehend schon zu Blair-Zeiten beschlossen und verkündet worden
war. Ergebnis: Labour fiel in allen Umfragen hinter die Tories zurück.
Kein Wunder, dass sich sogar der linksliberale "Observer" am Sonntag abfällig über den Mann äußerte, der den Briten Sauberkeit und Aufrichtkeit in der Politik versprochen hatte: "Browns Gründe, das Feuer einzustellen, beruhten, genaue wie jene für den Beginn seines schwindlerischen Krieges, einzig und allein auf Wahlkampfmathematik."