Brüssel zieht die Zügel an: Die EU setzt die Beziehungen zu Russland auf den Prüfstand - und fordert den Truppenrückzug aus Georgien.
Die EU macht weitere Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen mit Russland von einem vollständigen russischen Truppenabzug aus Georgien abhängig. Dies sagte Bundeskanzler Gusenbauer nach Abschluss des Brüsseler EU-Sondergipfels zur Georgien-Krise. Demnach müsse sich Russland auf die Linien vor Ausbruch des Konflikts vom 7. August zurückziehen. Die Verhandlungen mit Moskau seien nicht ausgesetzt, so Gusenbauer. Bei einer Aussetzung hätte die Wiederaufnahme nur mit einstimmigen Beschluss des EU-Rates erfolgen können, nunmehr sei dies nicht erforderlich. Lesen Sie hier mehr dazu!
Russland enttäuscht
Russland hat mit Enttäuschung auf die
Drohung der EU reagiert, die Verhandlungen über ein gemeinsames
Partnerschafts- und Kooperationsabkommen wegen des Südkaukasus-Konflikts
auszusetzen. "Falls die Gespräche über ein so grundlegendes Dokument
tatsächlich verschoben werden sollten, würden wir dies bedauern",
sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Moskau am Montagabend der
Nachrichtenagentur Interfax. Russland habe außerordentliches Interesse an
einer Zusammenarbeit, da die Europäische Union für Moskau ein wichtiger
politischer und wirtschaftlicher Partner sei.
100 Sondergesandte
Brüssel will darüber hinaus nach Angaben
ihres Außenbeauftragten Javier Solana etwa 100 Beobachter nach Georgien
entsenden. Der Startschuss für die Mission werde hoffentlich in den nächsten
Wochen fallen, sagte Solana am Montag vor dem EU-Krisengipfel in Georgien.
Die zivilen Beobachter sollen die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen
Georgien und Russland überprüfen. Ein kleineres Team zur Vorbereitung der
Mission sei bereits vor Ort.
Zunächst sollten sie im georgischen Kernland eingesetzt werden, später aber auch bei der Kontrolle der Grenzen helfen. Die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien, aber auch weitere Landesteile sind noch von russischen Truppen besetzt.
Georgien plädiert für Chance für Russland
Vor dem
EU-Sondergipfel zur Kaukasuskrise plädiert Georgien dafür, Russland vor dem
Beschluss von Sanktionen eine "letzte Chance" zum Einlenken zu
geben. "Wir sind realistisch", sagte der georgische Botschafter in
Paris, Mamuka Kudava. "Man muss den Russen eine letzte Chance geben,
damit sie sich verpflichten, das von (EU-Ratspräsident Nicolas) Sarkozy am
12. August geschlossene Sechs-Punkte-Abkommen zu achten." Das Abkommen
verpflichtet zu Waffenruhe, Truppenrückzug und internationalen Gesprächen
über die Sicherheit der abtrünnigen georgischen Gebiete.
Als mögliche Sanktionen für Russland nannte Kudava das Einfrieren der Partnerschaft EU-Russland vor dem EU-Russland-Gipfel im November und das Einfrieren der Bankkonten russischer Unternehmen und Geschäftsleute, die von ethnischen Säuberungen in Südossetien und Abchasien profitierten. Sollte Moskau sich nicht an das Sechs-Punkte-Abkommen halten, sei Tiflis auch für den Boykott der Olympischen Winterspiele in Sotschi im Jahre 2014.
Unterdessen hofft Georgien auf eine engere Anbindung an Europa. "Wir glauben, das ist wirklich der Moment, eine noch umfassendere und engere Beziehung zwischen Georgien und der Europäischen Union zu erreichen - sowohl politisch als auch bei der ökonomischen Integration", so der georgische Ministerpräsident.
Konstruktiver Dialog
Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat
sich vor dem EU-Krisengipfel für einen "konstruktiven Dialog"
zwischen Moskau und Brüssel ausgesprochen. Der Kremlchef betonte in einem
Telefonat mit dem britischen Premier Gordon Brown, dass der Einsatz von
Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
(OSZE) im Konfliktgebiet von russischer Seite erwünscht sei.
Spannungen sollen entschärft werden
Die Regierungen in
Moskau und Berlin sind nach Angaben des russischen Außenministeriums am
Samstag übereingekommen, die aktuellen Spannungen beizulegen. Die Versuche,
die Spannungen in Europa nach dem Konflikt zwischen Georgien und Russland
anzuheizen, müssten "beendet" werden, erklärte das russische
Außenministerium.
Der georgische Präsident Michail Saakaschwili kündigte unterdessen schärfere Gesetze gegen eine Destabilisierung seines Landes an. Er warf Russland erneut vor, den Sturz der Führung in Tiflis geplant zu haben, berichtete der Fernsehsender Rustawi-2. Derartige Versuche müssten künftig verhindert werden.
Militärabkommen mit Kaukasus-Regionen
Der russische
Präsident Dmitri Medwedew kündigte am Sonntag an, Moskau werde die als
unabhängig anerkannten georgischen Regionen Südossetien und Abchasien
militärisch und wirtschaftlich noch enger an sich binden. Entsprechende
Verträge würden das Fundament für "alliierte"
Beziehungen zu Abchasien und Südossetien legen. Medwedew sagte nicht, wann
die Dokumente unterzeichnet werden sollen. In russischen Medien wurde
vermutet, dass dies schon in den nächsten Tagen geschehen könnte.
OSZE-Kritik an Georgien
Massive Kritik an Tiflis gibt es nach
einem Bericht des deutschen Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" in
der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. "Fehlverhalten"
der georgischen Regierung habe zum Ausbruch der Kaukasus-Krise beigetragen,
schreibt das Blatt. In Berichten der OSZE-Beobachter sei von möglichen
georgischen Kriegsverbrechen die Rede, hieß es. Die Experten berichteten,
dass die georgische Führung südossetische Zivilisten im Schlaf habe
angreifen lassen.
Auch Medwedew warf der Führung in Tiflis erneut vor, den jüngsten Krieg im Südkaukasus begonnen zu haben. Saakaschwili habe mit seinen "Aggressionen" gegen die abtrünnige Region Südossetien ein friedliches Zusammenleben von Südosseten, Abchasen und Georgiern in einem gemeinsamen Staat unmöglich gemacht.
Georgien soll Streubomben eingesetzt haben
Georgien hat nach
Angaben einer Menschenrechtsorganisation den Einsatz von Streubomben im
Krieg um Südossetien eingeräumt. Human Rights Watch erklärte, es habe einen
offiziellen Brief vom georgischen Verteidigungsministerium erhalten. Darin
werde erklärt, die georgischen Truppen hätten Streubomben vom Typ M85
verwendet. Der Waffenexperte von Human Rights Watch, Bonnie Docherty, sagte
vor Journalisten, auch Russland habe zweifelsfrei Streubomben eingesetzt.
Russland bestreitet das.
Berlin gegen Anerkennung
Der deutsche Außenminister kritisierte
laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung"
erneut die Anerkennung von Südossetien und Abchasien durch Moskau. Zugleich
übte er Kritik an Georgiens Entscheidung, die diplomatischen Beziehungen zu
Russland abzubrechen. "Die gefährliche Spirale der Eskalation"
müsse unterbrochen werden. "Wir brauchen eine starke und besonnene
europäische Rolle, um eine Rückkehr zu Vernunft und Verantwortung zu
ermöglichen", sagte Steinmeier.
Nicht kommentieren wollte die Bundesregierung am Samstag Äußerungen des russischen Regierungschefs Wladimir Putin. Den Gesprächen des EU-Gipfels solle nicht vorgegriffen werden, hieß es in Berlin. Putin hatte am Freitagabend in einem Interview mit dem ARD-Fernsehen die Europäische Union vor dem Gipfel zu einer "vernünftigen Position" aufgerufen. Lesen Sie hier mehr dazu.