Einen Tag nach der Entführung einer Deutschen zeigte das TV eine Video-Botschaft. Auch von der zweiten deutschen Geisel gab es ein Lebenszeichen .
Zum vierten Mal seit Anfang Juli ist ein deutscher Staatsbürger Opfer einer Entführung in Afghanistan gewordenDie Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation wurde nach Angaben des afghanischen Innenministeriums am Samstag aus einem Schnellrestaurant in Kabul von Bewaffneten verschleppt. Ihr Mann musste die Entführung mit ansehen, wie ein Sprecher der Hilfsorganisation Ora International mitteilte. Die Bemühungen um die verschleppten südkoreanischen zivilen Geiseln waren am Freitag gescheitert. In Berlin fand am Wochenende eine offizielle Trauerfeier für drei bei einem Bombenanschlag getötete deutsche Polizisten statt. Regierungsvertreter bekannten sich trotz der Verluste zum Afghanistan-Engagement Deutschlands.
Hilfsprojekt-Leiterin entführt
Bei der Entführten handelt
es sich um die 31-jährige Büroleiterin dieser Organisation in Kabul. Die
Frau sei sorgfältig auf ihren Einsatz vorbereitet worden und spreche die
Landessprache Dari fließend, erklärte Ora-Sprecher Ulf Baumann in Lübeck.
Sie stamme aus Süddeutschland und sei seit September 2006 in der
afghanischen Hauptstadt. Ora International beschäftigt in Kabul nach eigenen
Angaben ein Team von 20 Mitarbeitern, die sich vor allem um
Gesundheitserziehung kümmern. Die Organisation betreibt weltweit in 30
Ländern Hilfsprojekte. Baumann sagte, die 31-Jährige sei mit einem Deutschen
verheiratet, der ebenfalls für die Organisation arbeite und bei der
Entführung anwesend gewesen sei.
Geiselbotschaft im TV
Einen Tag nach der Entführung der
deutschen Leiterin einer Hilfsorganisation in Kabul hat der private
afghanische Fernsehsender Tolo TV am Sonntag ein Video mit der Geisel und
einem der Entführer ausgestrahlt. Die Geisel sagte in dem Video, ihr gehe es
gut, sie werde nicht bedroht. Sicherheitsexperten gingen nach
dpa-Informationen davon aus, dass es sich bei der in dem Video zu sehenden
Frau um die entführte 31-jährige Deutsche handelt. Kurz zuvor waren
maskierte Geiselnehmer im Bild zu sehen, die die Befreiung "unschuldiger
Häftlinge" forderten.
Geisel ist schwanger
Nach Angaben von einem ihrer Bekannten
wollte sie im Oktober nach Baden-Württemberg zurückkehren, um in der Heimat
ihr erstes Kind zur Welt zu bringen. Die "Stuttgarter Nachrichten"
(Montagausgabe) zitieren dazu den pensionierten evangelischen Pfarrer
Albrecht Hauser, der Christina M. und ihren Mann, einen Ingenieur, im Mai
dieses Jahres in Kabul besucht hatte. Hauser ist einer der Vorsitzenden des
Instituts für Islam-Fragen der evangelikal ausgerichteten Deutschen
Evangelischen Allianz.
"Sie haben sich in dem Land gut eingelebt, erstaunlich schnell die afghanische Sprache gelernt und etliche Hilfsprojekte auf den Weg gebracht", sagte Hauser. Christina M., die in Freudenstadt geboren wurde, hatte die zweijährige Ausbildung an der Akademie für Weltmission in Korntal-Münchingen (Baden-Württemberg) absolviert und war 2006 nach Afghanistan gegangen. Träger der Akademie sind rund 150 evangelische Missionsgesellschaften in Deutschland und der Schweiz.
Verhüllt vor einer weißen Wand
Christina M. saß mit
einem Kopftuch verhüllt vor einer weißen Wand am Boden. Sie nennt ihren
Namen und den ihres Mannes. Außerdem zeigt sie ihren Personalausweis und den
Ausweis der Hilfsorganisation Ora International, für die sie als
Büroleiterin in Kabul tätig war. Anschließend verlas sie einen auf Dari
verfassten Brief, in dem die Freilassung von Gefangenen gefordert wird. Die
31-Jährige wurde von einem gebrochen Englisch sprechenden Mann aufgefordert,
sich auf Englisch und Dari zu äußern.
Lebenszeichen auch von 2. deutschen Geisel
Nach dem Video der in
Kabul entführten Deutschen Christina M. hat es am Sonntag offenbar auch von
der zweiten deutschen Geisel ein Lebenszeichen gegeben. Reporter des
TV-Senders ARD aus Kabul berichteten, sie hätten am Sonntag telefonisch
Kontakt zu dem 62-jährigen Rudolf B. gehabt, der vor gut einem Monat
verschleppt worden war. Rudolf B. habe in dem Gespräch gesagt, sein
Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Er habe gefragt, warum nicht
Lösegeld gezahlt werde, damit seine Geiselhaft schnell zu Ende gehe. Der
Ingenieur habe die deutsche Botschaft in Kabul aufgefordert, sich stärker
für seine Freilassung zu engagieren, berichtete die ARD weiter. Die
Krisenstäbe im Auswärtigen Amt in Berlin und in der deutschen Botschaft in
Kabul arbeiten seit der Geiselnahme des Deutschen mit Hochdruck an dessen
Freilassung. Die ARD berichtete, nach Ansicht deutscher Behörden habe es
sich bei dem Interviewpartner mit höchster Wahrscheinlichkeit um Rudolf B.
gehandelt. Unklar blieb, unter welchen Bedingungen das Gespräch zustande kam.
Ehemann als Entführungs-Zeuge
Ein afghanischer Augenzeuge
berichtete, der Ehemann habe aufgeregt "Polizei, Polizei"
geschrien und dabei mit seinem Handy telefoniert. Ein afghanischer
Geheimdienstmitarbeiter erklärte, die Bewaffneten hätten vor dem Imbiss
angehalten, ein Mann sei ausgestiegen und habe im Lokal eine Pizza bestellt.
Zwei weitere Männer hätten vor dem Lokal gewartet, ein vierter sei im PKW
sitzen geblieben. Dann habe der Bewaffnete in dem Lokal eine Pistole
gezogen, sei zu dem Tisch mit der Frau gegangen und habe sie mitgenommen.
Alarmierte Polizisten entdeckten das schnell fahrende Fluchtfahrzeug und
eröffneten das Feuer. Sie verfehlten den dunklen Toyota aber und trafen
stattdessen ein Taxi, dessen Fahrer getötet wurde.
Häuser im Westen durchsucht
Am Sonntag vermutete die
Polizei die Deutsche und ihre Geiselnehmer im Westen der afghanischen
Hauptstadt. Im siebenten Distrikt durchsuchten die Beamten Häuser, sagte der
Chefermittler der Kabuler Polizei, Alishah Paktiawal, der dpa. Er sprach von
einer intensiven Fahndung. Die afghanische Polizei kontrollierte auch am
Sonntag die Ausfallstraßen aus Kabul. Die Beamten führten außerdem
Fußpatrouillen durch, um eine Flucht abseits der Straßen zu verhindern. Die
Polizisten sprächen verschleierte Frauen in den Landessprachen Dari oder
Paschtu an, um sicherzugehen, dass es sich nicht um die Deutsche handle,
sagte ein Polizeisprecher. In Berlin bemühte sich unterdessen der Krisenstab
in Abstimmung mit den afghanischen Behörden weiter um eine Lösung.
Deutscher Bauingenieur vermisst
Bereits seit dem 18. Juli
befindet sich der deutsche Bauingenieur Rudolf Blechschmidt in der Provinz
Wardek in der Gewalt der Taliban. Sein gemeinsam mit ihm verschleppter
Kollege Rüdiger Diedrich wurde von den Entführern erschossen. Am 5. Juli war
ein Deutscher nach einwöchiger Geiselnahme in Afghanistan freigelassen
worden. Die Hintergründe dieser Entführung blieben rätselhaft.
Trauerfeier für getötete Polizisten
Mit einer
bewegenden Trauerfeier im Berliner Dom gedachte die deutsche Bundesregierung
am Wochenende der drei deutschen Polizisten, die bei einem Anschlag nahe
Kabul am Mittwoch getötet worden waren. Die Beamten hätten ihren Einsatz für
Frieden und Freiheit mit dem Leben bezahlt, sagte Innenminister Wolfgang
Schäuble in seiner Trauerrede. Zugleich betonte er die Entschlossenheit der
Regierung, den Einsatz am Hindukusch fortzusetzen. "Wenn sich die
offenen, toleranten Gesellschaften durch die furchtbaren Verbrechen von
Terroristen verunsichern ließen, wäre die Zukunft nicht nur Afghanistans
verloren", warnte er. An der Zeremonie nahm auch Bundeskanzlerin Angela
Merkel teil. Unter den Toten ist einer ihrer Personenschützer.
Südkoreanische Geiseln: Verhandlungen gescheitert
Außerdem
wurden am 19. Juli 23 Südkoreaner in Afghanistan entführt. Zwei männliche
Geiseln wurden seither getötet, zwei Frauen wurden freigelassen.
Verhandlungen über die verbliebenen 19 Geiseln seien gescheitert, erklärte
ein Taliban-Sprecher am Samstag. Die Forderungen nach einer Freilassung von
23 inhaftierten Taliban blieben bestehen. Die afghanische Regierung hat dies
ausgeschlossen.
Bei einem Selbstmordanschlag in der Nähe eines Konvois einer privaten US-Sicherheitsfirma in der südafghanischen Stadt Kandahar wurden unterdessen 15 Menschen getötet und 26 verwundet. Wie die Behörden mitteilten, waren unter den Opfern auch mehrere Frauen und Kinder. Im Süden Afghanistans kam am Sonntag ein NATO-Soldat ums Leben, wie das Militärbündnis mitteilte. Der Soldat, dessen Identität nicht bekannt gegeben wurde, begleitete einen Konvoi.