In einer leidenschaftlichen Rede rüttelt der US-Präsident Schwarze auf.
Es war die leidenschaftlichste Rede, die er bisher als Präsident der Vereinigten Staaten gehalten hat. Das war nicht der ewig coole Barack Obama, der in New York vors Podium trat. Nicht der agile Obama, der täglich in die Kameras blickt, immer lächelt - ob beim Thema Bankenkrise, Gesundheitskrise oder Afghanistan-Krieg. Ein halbes Jahr hat der erste schwarze US-Präsident gebraucht, bis er sich an eines der heikelsten Themen heranwagt: Die Rassenfrage, die tägliche Benachteiligung der Schwarzen - ein delikateres Thema kann es für einen Mann mit Vater aus Kenia im Weißen Haus kaum geben.
Niemals zuvor hat Obama derart leidenschaftlich, derart engagiert versucht, die schwarze Bevölkerungsgruppe in den USA aufzurütteln, aus der Lethargie zu reißen. Obama, Sohn eines Austauschstudenten aus Afrika und einer weißen Amerikanerin, nahm sich bei seiner Rede zum 100-jährigen Bestehen der Bürgerrechtsorganisation NAACP kein Blatt vor dem Mund. Er beließ es nicht bei der üblichen "politisch korrekten" Klage über die nach wie vor bestehenden Rassenschranken.
"Aufwühlende Predigt"
"Keine Entschuldigung!",
lautete seine knallharte Botschaft. Statt ewig über die eigene
Benachteiligung zu jammern, statt sich in der Opferrolle einzurichten,
sollen die Afro-Amerikaner endlich mehr eigene Anstrengungen unternehmen,
den Aufstieg aus der Misere suchen. Der Schlüsselsatz der Rede hieß: "Euer
Schicksal liegt in Eurer Hand!" Kein Zweifel: Ein weißer Präsident
hätte die Rede so nicht halten können. "Eine aufwühlende
Predigt", kommentierte die "New York Times" am Freitag.
Natürlich, Obama sprach auch vom Leidensweg der Schwarzen. Er sprach von Sklaverei, von Lynchjustiz, von alten und neuen Barrieren. Dass Schwarze häufiger im Gefängnis landen. Doch das war gleichsam nur Einleitung, ein Stück Seelenmassage für die Schwarzen. Dann kam die Philippika.
"Brauchen neue Mentalität"
Schwarze Eltern
müssten sich mehr um ihre Kinder kümmern, ihnen bei den Hausaufgaben helfen,
für ihren Schulerfolg sorgen. "Das heißt, die Computerspiele
wegräumen, die Kinder zu einer vernünftigen Zeit ins Bett stecken."
Worüber Obama sprach, war allen im Raum klar, es ging um eines der
traurigsten Kapitel: Die Vernachlässigung von Kindern in schwarzen Familien. "Wir
brauchen eine neue Mentalität, eine neue Haltung", sagte Obama.
Seine Stimme schien sich beinahe zu überschlagen. Jedem im Saal war klar,
der Präsident spricht aus tiefster Seele.
Die Lage der Schwarzen, das Verhältnis von Schwarz und Weiß - normalerweise meidet Obama dieses Thema. Vor allem im Wahlkampf versuchte er, dass Thema geradezu krampfhaft auszuklammern. Es waren die Auftritte seines ehemaligen radikalen schwarzen Pastors Jeremiah Wright ("Gott verdamme Amerika"), die ihm fast die Kandidatur gekostet hätten. Obama weiß: Lediglich 13 Prozent der Amerikaner sind Schwarze, will er gewählt werden, braucht er die Stimmen der Weißen. Dagegen fragten sich Kritiker aus den Reihen der Afro-Amerikaner zeitweise provokant, ob der "Mischling Obama" auch wirklich "schwarz genug" ist.
Auch im Weißen Haus versucht Obama konsequent den Eindruck zu vermeiden, er sei "ein Präsident der Schwarzen". Neuste Umfragen ergaben, dass 52 Prozent der Weißen hinter Obamas Politik stehen - bei den Schwarzen sind es dagegen 96 Prozent.