Er erhielt eine Zustimmung von 94 Prozent.
Die deutschen Sozialdemokraten gehen mit dem bisherigen Umweltminister Sigmar Gabriel als Parteichef in die Zukunft. Am ersten Tag des Parteikongresses in Dresden rechneten viele Delegierte mit der elfjährigen Regierungszeit ab.
Gabriel wurde am Freitag nach einer stundenlangen Debatte über die Pleite bei der Bundestagswahl mit sehr großer Mehrheit zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er erhielt 472 von 501 gültigen Stimmen. Das entspricht einer Zustimmung von 94,2 Prozent.
"Wir sind kampfbereit"
Gabriel rief die SPD zu einem
Neuanfang auf. "Die SPD muss wieder eine Politikwerkstatt für den
gesellschaftlichen Fortschritt werden", hatte er in seiner
Bewerbungsrede gesagt. Streitfragen wie die Arbeitsmarktreformen sollten in
den nächsten zwölf Monaten geklärt werden. Wichtige Fragen sollten häufiger
durch Urabstimmungen der Mitglieder entschieden werden. Gabriel plädierte
dafür, von links die politische Mitte zurückzuerobern.
Zuvor hatte schon der scheidende Parteichef Franz Müntefering die SPD gemahnt, mutig und selbstbewusst voranzugehen. "Wir sind kampffähig, und wir sind kampfbereit", rief er den gut 500 Delegierten zu. "Wir kommen wieder." Wie Siege würden auch Niederlagen in der Demokratie nur auf Zeit gelten.
Schulterschluss
Zum Auftakt des dreitägigen Parteikongresses
rügten viele Delegierte Entscheidungen der Vergangenheit insbesondere in der
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Das habe die SPD Vertrauen bei den Wählern
gekostet. In einer gut fünfstündigen Debatte mit 66 Wortmeldungen wurde
Kritik insbesondere an der Reform-"Agenda 2010" des damaligen
SPD-Kanzlers Gerhard Schröder aus dem Jahr 2003 laut. Mit den Regelungen für
Langzeit-Arbeitslose ("Hartz-IV") sei gegen die Solidarität
verstoßen worden. Die Partei habe sich zu sehr "dem Mainstream des
Marktradikalismus" angepasst. Es sei zu viel abgenickt worden.
Mehrere Delegierte mahnten zum Schulterschluss. "Lassen wir uns von den Umfragen nicht die Zuversicht nehmen", sagte der Fraktions-Vize im Bundestag, Joachim Poß. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, nannte den Niedergang "ein Phänomen in Gesamteuropa". Eine "Renationalisierung des Sozialstaates" sei aber keine Alternative.
Müntefering reumütig
Müntefering gestand Fehler ein,
lehnte es aber ab, sich von der Regierungszeit zu distanzieren. Er
unterstrich mit Blick auf die Bundestagswahl vom 27. September: "Die
Niederlage war selbst verschuldet." Erschreckend sei die Dimension.
Nach Ansicht Münteferings war die Wahlpleite aber auch der Zeit geschuldet.
Die Zähmung der Finanzmärkte bleibe als "historische Aufgabe".
Es sei richtig gewesen, dass die SPD ab 1998 Regierungsverantwortung
übernommen habe: "Es war verdammt viel aufzuräumen."
Nach den Worten Münteferings bleibt die Sicherung des Sozialstaates eine Herausforderung für jeden, "der soziale Gerechtigkeit will". Ein Aufstieg könne nicht jedem leichtfertig versprochen werden, eine "ehrliche Debatte" bleibe der SPD nicht erspart. "So einfach ist das mit der Gerechtigkeit nicht."
Widerstand
Der scheidende Generalsekretär Hubertus Heil sagte,
im Bundestag müsse die SPD nun aus der Opposition heraus der Politik der
neuen schwarz-gelben Regierung von CDU/CSU und FDP den Kampf ansagen, weil
diese unsolidarisch sei. "Wir werden Widerstand zu organisieren haben",
fügte Heil hinzu. Die SPD
hatte bei der Bundestagswahl mit 23 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis
der Nachkriegszeit verbucht. Sie ist seitdem nicht mehr an der Regierung
beteiligt.
Der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, der jetzt die Bundestagsfraktion leitet, betonte in Interviews, dass die Ursachen für die Niederlage bei der Bundestags- wie bei der Europawahl vielfältig seien. Die SPD habe das Land modernisiert und nach vorne gebracht.
Nahles wird Generalsekretärin
Am Abend wählte der Parteitag
die weiteren Mitglieder der neuen Parteiführung. Nahles wurde mit 69,6
Prozent zur neuen Generalsekretärin gewählt. Zu den vier
Stellvertretern des neuen Parteichefs Sigmar Gabriel wurden die
nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Hannelore Kraft (90,2 Prozent), der
ehemalige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (85,7 Prozent), die
Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig (87,8 Prozent)
und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (89,6 Prozent) gewählt.