Trotz Annäherung zwischen Griechenland und der Türkei werden wichtige Streitfragen ausgeklammert.
Zum ersten Mal seit fast fünfzig Jahren kommt ein griechischer Ministerpräsident zu einem offiziellen Besuch in die Türkei. Wenn Kostas Karamanlis am Mittwoch in Ankara türkischen Boden betritt, wird er damit Geschichte schreiben. Seit dem Jahr 1959, als sein Onkel Konstantinos Karamanlis in die Türkei reiste, hat kein griechischer Regierungschef mehr dem Nachbarland und NATO-Partner einen offiziellen Besuch abgestattet. Dennoch wird die Visite insbesondere in Griechenland kritisiert. Denn Karamanlis und sein türkischer Kollege Recep Tayyip Erdogan werden am Ende des dreitägigen Besuches voraussichtlich keine bahnbrechenden Vereinbarungen verkünden können. Die wichtigsten Streitfragen bleiben bis auf weiteres ausgeklammert.
Türkisch-griechische Aussöhnung in Sicht
Mit seinem
Besuch in Ankara beantwortet Karamanlis einen Besuch Erdogans in Athen vor
vier Jahren. Das heißt aber nicht, dass sich die beiden konservativen
Politiker, denen ein gutes persönliches Verhältnis nachgesagt wird, seitdem
nicht gesehen haben. Zuletzt eröffneten sie im vergangenen November ein
türkisch-griechisches Erdgasprojekt. Diese Art gemeinsamer Projekte ist Teil
der türkisch-griechischen Aussöhnung, die nach den schweren Erdbeben in
beiden Ländern im Jahr 1999 begann. Beide Seiten halten sich seitdem an
einen Grundsatz: Man kann über alles reden, was Vertrauen schafft, aber man
sollte über nichts sprechen, was das neu gewonnene Vertrauen aufs Spiel
setzen könnte. Türken und Griechen wissen, dass sie in der Frage ungeklärter
Gebietsansprüche in der Ägäis und beim Zypern-Problem auf absehbare Zeit
kaum Fortschritte erzielen können - deshalb ignorieren sie diese Themen
lieber.
1996 führten Spannungen fast zum Krieg
Ganz ausblenden
können Karamanlis und Erdogan die leidigen Probleme aber nicht. Erst am
vergangenen Wochenende gab es neue Spannungen zwischen griechischen und
türkischen Kriegsschiffen in der Ägäis. Wie im Jahr 1996, als beinahe ein
Krieg zwischen den beiden NATO-Staaten ausgebrochen wäre, ging es erneut um
die Abgrenzung der Hoheitsgewässer um eine unbewohnte Felseninsel in der
Ägäis, die für die Griechen Imia heißt und für die Türken Kardak.
Orhtodoxer Patriarch in Istanbul
Auch wird Karamanlis während
seines Besuches im Phanar in Istanbul mit der schwierigen Lage der
griechisch-orthodoxen Christen in der Türkei konfrontiert werden. Der
griechische Ministerpräsident wird dem Ökumenischen Patriarchen
Bartholomaios I. seine Aufwartung machen. Der Phanar ist das letzte Relikt
des 1453 mit der osmanischen Eroberung Konstantinopels untergegangenen
Byzantinischen Reiches. Nach den Pogromen von 1955 hatten rund
hunderttausend Angehörige der griechischen Minderheit die Türkei verlassen.
Die Europäische Kommission hat von der Türkei das Ende der Benachteiligung
nichtmuslimischer Religionsgemeinschaften verlangt. Die Regierung in Ankara
ist bisher nicht bereit, der Forderung nach Wiedereröffnung der
Theologischen Akademie von Chalki nachzukommen. Die bedeutendste geistliche
Ausbildungsstätte der Orthodoxie auf der Prinzeninsel, von den Türken
Heybeli genannt, im Marmarameer war vor 37 Jahren vom türkischen Staat
geschlossen worden.
Bringt der Besuch überhaupt etwas?
In Griechenland wird
bereits kritisiert, dass der Besuch des Regierungschefs beim Nachbarn nicht
viel bringen werde. Weder neue Ideen noch neue Vereinbarungen zeichneten
sich ab, sagte der griechische Türkei-Experte Thanos Dokos. "So mancher
meint, das bestmögliche Ergebnis bestünde darin, dass nichts Negatives
geschieht."